Ein bisschen Normalität inmitten des wilden Chaos hier unten, dachte er, die unabänderliche Sturheit der Betriebsmaschinerie. Ein Grinsen flog über seinen Mund.
„Ja, und was machen wir nun?“, hakte Wolff nach. „Mach mal nen Spruch!“
Thamm sah sich verdutzt um. Wolff hatte es ja selbst gesagt, dass zuerst die Jungs von der Feuerwehr ihre Arbeit erledigen mussten, bevor sie da rankonnten. „Tja, was! Ich würde sagen, erst mal nichts“, meinte er harmlos.
„Das ist aber nicht gerade viel“, hörte er da eine feixende Stimme hinter sich. Möllering – der hatte Thamm gerade noch gefehlt. Mit betont lässigen Schritten kam er auf die beiden Kommissare zu. „Ich habe den Staatsanwalt eben zu seinem Wagen begleitet und er hat gemeint, ich solle Ihnen beiden noch einmal klarmachen, wie hier die Kompetenzen gelagert sind. Also frage ich Sie lieber noch mal, bevor irgendwelche Missverständnisse auftreten: Kann ich mich auf Sie verlassen?“
Thamm warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich tue hier nur meine Arbeit“, meinte er trocken. Für einen Moment maßen sich die Männer schweigend, beide ihre Geringschätzigkeit für den anderen kaum verbergend, dann fiel Möllering in ein unverbindliches Lächeln zurück. „Okay, dann mal ran an den Speck. Oder besser gesagt: ran an die Leiche! Wir sehen uns!“
Damit schlenderte er genauso elastisch, wie er gekommen war, zurück zum Parkplatz und verschwand in irgendeinem Auto.
„Und was nun?“, fragte Wolff.
„Ja, was denn!“, brüllte Thamm ihn an. „Hast du doch gehört, wir sollen an die Leiche.“ Und wütend bahnte er sich einen Weg durch die herumwuselnden Leute, einen verärgerten Wolff im Schlepptau.
Bei den ersten abgebrannten Autos wartete Krause, umgeben von den Jungs von der Spurensicherung, mit denen er vertraut plauderte. Inzwischen tat es Thamm ein bisschen leid, dass er Wolff so dermaßen angepflaumt hatte. Okay, er hatte ziemlich blöd gefragt, aber die ganze Nerverei war ja nicht seine Schuld, Wolff wurde ja genauso rumgeschubst von diesem Möllering wie er auch.
„Da seid ihr ja“, begrüßte sie Krause freudig. „In einer Viertelstunde können wir ran, sagt der Oberhäuptling von der Feuerwehr.“
„Sag das dem Pappsack da drüben“, meinte Thamm versöhnlich und nickte zu Wolff rüber, „der ist heute besonders schwer von Kapisch.“
„Blödian“, knallte ihm Wolff in demselben gutmütigen Ton an den Latz. Und grinste dabei, wie Thamm zufrieden feststellte. Alles wieder eingerenkt.
„Na ihr seid ja gut drauf!“, goutierte Krause diesen kurzen Schlagabtausch. „Wenn ich mal eben eure Aufmerksamkeit auf das Corpus Delicti lenken dürfte … So weit ich das bislang von hier aus einsehen konnte, befindet sich der oder die Tote auf dem Fahrersitz. Was mir etwas merkwürdig vorkommt, ist, dass die Leiche so schön aufrecht sitzt. Normalerweise kommt bei so einem Brand irgendwann der Airbag raus. Der hätte sie dann eigentlich zur Seite drücken müssen. Seht ihr?“
Krause deutete auf einen der Wagen so ziemlich in der Mitte der Brandstelle. Aber so sehr sich Thamm auch bemühte, in all dem Qualm und umherflirrenden Licht konnte er nicht erkennen, wie es in dem Auto aussah. Um Krauses Einblick stand es wohl auch nicht besser, denn nun beendete er seine Ausführungen mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Aber vielleicht ist der Airbag auch gar nicht gekommen, wer weiß“, meinte er nur.
Thamm aber hatte genug vom Warten. Ohne auf irgendeine Erlaubnis zu warten, marschierte er auf den ausgebrannten Wagen zu. Dort holte er tief Luft und warf dann endlich einen ersten Blick hinein. Und atmete erleichtert aus. Irgendwie hatte Thamm es viel härter erwartet. Aber da war kein Blut, keine wirr ins Leere glotzenden Augen, nichts. Nur eine völlig verkohlte Leiche. Wenn nicht noch die letzten Fetzen von Kleidung an ihr kleben würden, hätte man sie glatt für ein Stück verbranntes Holz halten können. Ja, dachte Thamm, die Arme, der Brustkorb, sogar der Kopf – nichts hatte mehr die vertraute Form, nichts löste in ihm den gewohnten Brechreiz aus, der ihn sonst beim Anblick von Toten so zuverlässig überkam. Das Unterbewusstsein hielt das, was sich ihm da bot, viel eher für das Überbleibsel von einem Lagerfeuer.
Aber dann kapierte es doch langsam. Die unter der aufgelösten Haut hervorgetretenen Zähne, das versengte Haar hinter dem krustigen Ohr, der widerwärtige Gestank von verbranntem Fleisch. Und da war es auch schon, wie bestellt. Mühselig hielt sich Thamm den Ärmel vor die Nase und inhalierte tief den Geruch von Holzlack und abgestandenen Männerschweiß. Sofort fühlte er sich an einen Baumarkt erinnert, sein Magen beruhigte sich, er konnte wieder klar denken. Eine Leiche also, stellte er für sich fest.
„Aber anfassen würde ich den nicht“, hörte er Krause dicht hinter sich sagen. „Der dürfte noch ein paar Grad über der Außentemperatur haben. Ah, da haben wir ja auch schon die Erklärung!“ Thamm fühlte sich beiseitegeschoben – was ihm nicht gerade ungelegen kam – und beobachtete nun Krause, wie er einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche fingerte und vorsichtig in den Halsbereich der Leiche kiekste. „Ein Seil. Unser Freund hier wurde also angeschnallt. Seht ihr? Deshalb konnte ihn der Airbag nicht auf die Seite hauen.“
Thamm nickte, ohne hinzusehen. Baumarkt, dachte er, ein Stück Holzkohle, Baumarkt. Wolff hingegen beugte sich fast bis an Krauses Kugelschreibermine heran. „Krass. Und sonst so?“, fragte er. Da aber nahm Krause schon sein Schreibgerät von der Leiche und klemmte es zurück an sein Hemd. „Mit deiner Erlaubnis werde ich unseren Freund hier erst mal zu Tisch in meine Pathologie bitten, dann mehr.“
Krause wandte sich von Wolff ab und war für die Kommissare nicht mehr zu haben, fortan hatte er nur noch Augen für die Leiche. Wolff tapste etwas missmutig neben Thamm aus dem verbrannten Dreck, der das ganze Areal überzog. Die Feuerwehr hatte den Brand inzwischen in den Griff bekommen, es dampfte nur noch aus den Autowracks und aus der Dielung der Balkone. Die Morgenröte breitete sich zögerlich über der Silhouette der Stadt aus.
„Also haben wir erst mal noch nichts“, konstatierte Wolff niedergeschlagen. „Hat sich ja voll gelohnt.“
„Bedank dich bei Möllering, der hat uns zu der Leiche geschickt“, meinte Thamm. „Und genau das macht die Sache so spannend.“
Wolff sah seinen Partner fragend an.
„Na ja, Möllering muss doch klar gewesen sein, dass von dem Toten noch nicht viel zu haben ist. Aber trotzdem bestand er darauf, dass wir uns der Sache gleich annehmen und das alles natürlich nach dem üblichen Prinzip: Wer hat wen weshalb umgebracht? Und über diese Routine könnten wir ja dann ganz gut die im Moment viel interessanteren Fragen aus den Augen verlieren.“
„Die da wären?“
„Warum interessiert sich ein BKA-Mann für eine Brandleiche in Merseburg? Wieso ist der Kerl aus der Zentrale in Wiesbaden schneller vor Ort als wir? Oder anders: Warum war der schon in der Stadt, bevor der Brand losging? Warum bringt er nicht seine eigenen Leute mit, sondern lässt uns die Drecksarbeit machen?“
„Du meinst, da will uns jemand für sein Spielchen einspannen?“, fragte Wolff und klang dabei alles andere als begeistert. Thamm zuckte mit den Schultern.
„Ich meine, dass uns das Chefchen auf jeden Fall erst mal eine Erklärung schuldet.“
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