André Bergelt

Affentanz


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Toilette gehen!“

      Kurze Zeit später auf den oberen Toiletten des Zoo.

      Ich stehe vor dem riesigen Einheitswaschbecken. Mein Puls rast, gefühlte 180 Schläge pro Minute. Der Kopf glüht. Ich wasche mir das Gesicht mit kaltem Wasser, trockne mich mit meinem T-Shirt ab und sehe mich um. Auch hier oben hat die nächste Generation schon alle Spielfelder besetzt. Mädchen und Jungs, die gerade mit Studieren angefangen haben, drücken sich knutschend auf den Sitzelementen herum. Touristen aus aller Welt lauern vor den Toiletten auf die Runner der Clubticker oder unterhalten sich in bizarr anmutenden Dialogen über das zuletzt gehörte DJ-Set.

      Ist das überhaupt noch mein Publikum? Oder bin ich, ohne es zu merken, der Clubszene entwachsen?

      „Mach mal Platz, bitte!“

      Ein blutjunges Mädel mit über die Maßen geschminkten Augen, die ihre leere Wasserflasche auffüllen will, sieht mich herausfordernd an. Ich trete beiseite, lehne mich an einen der Heizkörper und atme gleichmäßig ein und aus. Von der gegenüberliegenden Couch lächelt mir der Toulouser zu. Er bedeutet mir etwas Unverständliches in Zeichensprache und winkt mich freundlich zu sich. Ich stoße mich vom Heizkörper ab, umkurve ein Skinhead-Pärchen und steuere auf meinen Schwarm zu. Doch als ich an der Couch ankomme, ist sie leer. Ich sehe mich hilflos um und werde zu einem Hindernis. Hinter mir bildet sich ein Stau. Die Leute fangen an zu schieben. Sie wollen zur Tanzfläche.

       Der Strom der Feiernden reißt mich hinfort. Auf Höhe der Gitterbar gelingt es mir, mich mit Hilfe einer Körpertäuschung in Richtung Raucherlounge abzusetzen.

      Von hier aus führt eine nicht ganz so stark frequentierte Außentreppe zum unteren Floor hinunter. Vorsichtig nehme ich Stufe für Stufe. Mir ist plötzlich, als würde diese Treppe niemals enden wollen. Erneut klinke ich mich aus, parke auf dem Zwischenpodest und gönne mir eine weitere Auszeit. Die Leute drücken sich an mir vorbei. Einige hinterlassen seltsame Duftsäulen, als würden sie mir so heimlich ihre Visitenkarte zustecken wollen. Ich fühle mich unwohl. Noch immer bin ich zu schwach, um meinem Umfeld zu entfliehen. Ich schlage mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Das so freigesetzte Adrenalin löst meine letzten Energiereserven. Vorsichtig nehme ich die verbliebenen Stufen, passiere mit angehaltener Luft die Raucherlounge und durchschreite einen dunklen Zwischenraum. Ich biege nach rechts ab und nehme meinen Lieblingsplatz hinter der vergitterten Balustrade ein. Endlich kann ich wieder frei atmen. Von der Bühne her dröhnt ein ohrenbetäubender, glasklarer Lärm. Eine aus drei vor sich hin wackelnden Jungs bestehende Band malträtiert die Tasten ihrer Instrumente. Die langhaarigen Elektro-Punks geben einen mitreißenden Liveact zum Besten. Auch diese Jungs spielen zusammen. Sie bieten ihre Musik gemeinsam dar. Erst jetzt erfasse ich die Bemerkung des Russen in all ihrer Komplexität. Ich brauche dringend einen Unterstützer. Jemanden, der vorbehaltlos an mich und meine Visionen glaubt. Jemanden, der mir den Rücken freihält, mir zuarbeitet und sich, wenn nötig, für mich und meine Kunst opfert. Nur so würde ich es schaffen, der Welt eine epochale Klanginstallation zu schenken.

      Die Massen unter mir pfeifen und grölen vor Begeisterung.

      Ich breite meine Arme aus und murmle verzückt: „Bald schon werde ich euch mit meinen Bildern und Klängen verzaubern. Ihr werdet mich bedingungslos und für alle Zeit lieben. Ich werde kometengleich aufsteigen und mit meiner Kunst der Welt Frieden schenken …“

      Luca tritt von hinten an mich heran. Er schaut durch die vergitterte Balustrade zur Bühne hinüber und knöpft sich den Hosenstall zu.

      „Ich dachte schon, du bist gegangen. Was war denn los?“

      „Noch bin ich ja da. Aber vielleicht hast du Recht, vielleicht sollte ich mal ausnahmsweise einen vorzeitigen Abgang in Erwägung ziehen“, antworte ich.

      „Wie, du willst schon wieder ziehen?“, fragt Luca.

      Ich schüttle den Kopf.

      „Nein, Mann! Ich meinte, vielleicht sollte ich heute mal früher nach Hause gehen.“

      Luca sieht mich an, als hätte ich das letzte Einhorn geschändet.

      „Du willst gehen? Aber die Party hat doch gerade erst angefangen!“

      Ich deute auf die Bühne, wo die Elektro-Punks abermals in ihre Instrumente dreschen.

      „Na, mal sehen, was die Jungs da unten noch so anzubieten haben. Bisher war die Mucke ja ganz annehmbar.“

      „Ja, aber welche Bar, die oben oder die unten?“

      „Ich meinte, die Musik“, brülle ich zurück.

      Luca nickt zufrieden und sagt: „Gut, dann lass uns nach unten gehen. Die eine Barfrau hat mir vorhin zugezwinkert.“

      Ich gebe es auf, mich Luca gegenüber verständlich zu machen, hebe den Daumen und signalisiere meinem italienischen Freund so, dass ich seine Entscheidung, sich weiter hemmungslos zu betrinken, vorbehaltlos teile.

       In einem italienischen Restaurant. Ich sitze mit Frau Schulz, einer ketterauchenden Architektin aus der Steiermark, an dem für uns reservierten Tisch. Frau Schulz leidet unter einer massiven Essstörung und steht auf blutjunge Typen.

      Von meinem Lammkotelett ist nichts mehr zu sehen. Auch die Bratkartoffeln habe ich verspeist. Nun widme ich mich, mit einem Stück Weißbrot bewaffnet, den Überresten meiner Soße. Frau Schulz hingegen kämpft noch immer mit der Vorspeise, einem riesigen, venezianischen Salatteller. Ungeschickt schiebt sie die frittierten Garnelen hin und her. Das Gemüse hat sie erst gar nicht angerührt.

      „Natürlich gibt es noch Atelier- und Ausstellungsflächen, aber wir richten die Räume ja nur her. Als Architektin habe ich weder ein Nutzungs- noch ein Vorkaufsrecht.“

      Ich nicke meiner österreichischen Freundin zu, stopfe mir das vollgetunkte Weißbrot in den Mund und lecke mir die Fingerkuppen ab. Frau Schulz wischt sich den Mund mit der Serviette sauber. Sie gönnt sich einen Schluck Rotwein, schiebt ihren Salatteller zu mir herüber und winkt elegant in Richtung Tresen. Der Kellner, ein gutaussehender Albaner Anfang zwanzig, sieht es und serviert meiner Freundin ihren zweiten Gang.

      „Gefüllte Entenbrust mit Bärlauch-Risotto an Feigenquark“, raunt der albanische Adonis und lässt den Teller wie eine Frisbee-Scheibe über den Tisch schlittern.

      Frau Schulz bedankt sich höflich, sieht zu mir und erklärt: „Was ich allerdings in Erfahrung bringen kann, ist, ob es derzeit ein Atelier-Programm gibt. Irgendetwas, das der Senat unterstützt. Der Vorteil bei so einem Modell sind die übersichtlichen finanziellen Belastungen.“

      „Aber muss man da nicht ewig lange warten? Weil, ich bräuchte das Atelier sofort. Meinen ersten Entwurf muss ich in wenigen Wochen präsentieren. Das schaffe ich nur, wenn ich konzentriert und ohne Ablenkung arbeiten kann.“

      „Nun, die Wartezeiten sind schon ordentlich, aber wenn du die Leute kennst, die die Bewerberlisten führen, ist da sicher was zu machen“, erwidert die Schulz.

      „Wie gesagt, ich brauche das Atelier unmittelbar!“

      Frau Schulz sieht mich skeptisch an und fragt: „Aber wie willst du dir denn ein freies Mietobjekt leisten? Hast du Geld geerbt?“

      Ich mache mich über die Reste des venezianischen Salattellers her und antworte mit vollem Mund: „Du weißt doch, bei uns Ostlern gibt’s nicht viel zu erben, und das Wenige, was ich mal hätte bekommen sollen, habe ich schon lange durch den Schornstein gejagt. Aber ich habe einen Mäzen an Land gezogen, der mir finanziell unter die Arme greifen will.“

      „Einen Mäzen, soso …“

      Frau Schulz nickt anerkennend. Sie legt sich die Entenbrust zurecht und schneidet diese seitlich auf. Gekonnt löst sie ein Stück Fleisch aus, legt es sich auf die Zunge und kaut darauf herum. Mit angestrengtem Gesichtsausdruck würgt Frau Schulz den Bissen hinunter.

      „Keine Ahnung, was das sein soll, gefüllte Ente ist es jedenfalls nicht.“

      Mir