Claudia Stosik

Türkei - Entdeckungen im Morgenland


Скачать книгу

verkehrsreichen Straße gelegen, lässt seine Gäste kaum zur Ruhe kommen, denn durch die Hitze war an Schlaf kaum zu denken. Ventilatoren, sofern vorhanden und wenn sie dann auch funktionierten, schufen etwas Abhilfe. Der erste Eindruck ist ungewöhnlich nach dem Nachtflug. Der nächste Morgen kündigt sich an, denn die Stimme des Muezzin ertönt in der ganzen Stadt. Für den Erstreisenden in ein islamisches Land sind das ungewohnte Klänge, es sei denn, man ist oft genug in Berlin-Kreuzberg unterwegs. Nicht dest trotz war die Nacht recht kurz. Was hält der neue Tag bereit?

      ***

      Fahrt nach Tarsus und Mersin

       7. September:

      Eine Bildungsreise ist angesagt, unser Reiseleiter und Pfarrer übervoll an Wissen und Eifer, und so starten wir am frühen Morgen nach Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus. Cicero1, der berühmte römische Philosoph und Dichter, hatte hier als Stadthalter ein Amt inne. Insgesamt schien die Stadt stark römisch gesonnen zu sein. Die Lufttemperatur beträgt 36 Grad – heute, im Jahr 2020, auch für uns keine ungewöhnlichen Temperaturen mehr. Die Stadt Tarsus hat im Jahr 1990 80.000 Einwohner. Aus der Antike bis heute erhalten, besichtigen wir das Kleopatrator, durch das schon Alexander der Große durchgeritten sein soll. Tarsus, einst eine Hafenstadt, befindet sich nun einige Kilometer im Land, da der Hafen verlandet ist.

       Kleopatrator, Paulus-Brunnen und ein Mosaik

      Das Tor nannte man einst Meerestor, später nach der Legende von Kleopatra und Antonius benannt, die sich angeblich an dieser Stelle getroffen haben sollen. Durch Tarsus's Gassen entdecken wir noch einige armenische Häuser, jedoch

      im schlechten Zustand. Alte Frauen lehnen am Fenster – beinahe wirken sie wie eine Kulisse. Was hatte Tarsus, in der Antike zum geistigen Zentrum erkoren, noch zu bieten?

      Die nächste Station ist der Paulus-Brunnen, wo unser Pfarrer eine Andacht hält: Stille – dann folgt eine dem historischen Ort angepasste Predigt. Also: Unter freiem Himmel in aller Öffentlichkeit. Gleichzeitig wird das „heilige Wasser“ aus dem 37 m tiefen Brunnen hochgezogen. Wasser, zuallererst war Wasser der Wegweiser.

      Eine Wandtafel in englischer Sprache erinnert an den

       „Saint Paul of Tarsus“.

      Wir sollten eine Gemeinde sein, eine Gemeinde von Christen in einem islamischen Land. Die meisten der Teilnehmer sehen das wahrscheinlich auch so. Wir singen einige Lieder und genießen den Augenblick. Schließlich stimmt ein Kantor, bereits im (Un)Ruhestand, aber noch sehr aktiv, die bekannten und weniger bekannten Lieder aus dem Gesangbuch an.

       Moschee Eshab 'I Kehf

      Die rege Gesangsbeteiligung der Teilnehmer ließ vermuten, dass die meisten dem sonntäglichen Gottesdienst nicht fern stehen. Ich war interessiert, musste aber bei einigen Kirchengesangsbuchliedern passen. Anschließend machen wir Mittagspause in einem Gartenrestaurant, in dem es auch ein extra Frauencafé gibt, sehr zu unserem Erstaunen. Unterwegs besichtigen wir eine Moschee. (siehe Abbildung) Selbstverständlich mit Kopftuch und ohne Schuhe, wobei Männer und Frauen extra Räume betreten, in denen mehrere bunte

      Teppiche übereinander liegen. Es wird immer Richtung Mekka gebetet und das fünfmal am Tag. Vorher erfolgt die rituelle Reinigung. Es folgt die Abfahrt nach Mersin am Mittelmeer: Dort besuchen wir die byzantinisch-orthodoxe Kirche St. Michelle. Das Gebet findet unverkennbar in arabischer Sprache statt. Die Texte stammen aus dem syrischen Kontext.

      Die eindrucksvolle Innenausstattung mit einem hohen Kirchengestühl bringt uns die hiesige religiöse Prächtigkeit nahe.

      … weiter bringt uns der Bus in Richtung Osten

      ***

      Am Golf von Iskenderun

       8. September:

      Meine Aufzeichnungen von damals erinnern mich, dass sich die Abfahrt in Richtung Iskenderun wohl um einige Minuten verzögert hatte. Es ist eigentlich nicht erwähnenswert, doch bei dieser Reise ist der Zeitplan eng kalkuliert. Unterwegs werden wir von unseren zwei türkischen Reiseführern in die Geschichte der Hethiter eingewiesen. Sie hatten die gleiche Regierungsform wie die Osmanen. Diese Großreiche regierten über lange Zeit in Kleinasien, aber letztendlich zerfielen diese mächtigen Reiche. Für die Zerstörung des Hethiterreiches gab es viele Gründe, zum Beispiel auch die Völkerwanderungen. Nach den Hethitern kamen die Assyrer. Auf die Geschichte dieser Völker werde ich in späteren Kapiteln noch genauer eingehen. Nur soviel: Die Hethiter hatten ihre Blütezeit um 2000 v. Chr.

      Am Golf von Iskenderun angekommen, die gleichnamige Stadt hieß in der Antike Alexandrette, legen wir eine Badepause im Mittelmeer ein, für die Reisefreunde aus der (noch) DDR eine willkommene Premiere.2 In Erinnerung geblieben ist ein sehr schönes Café direkt am Meer. Die Toilettenanlage entspricht weniger unserem Standard.

      ***

      Die Felsenkirche des Apostels Petrus

       Aufstieg zur ersten Kirche, (Grotte) der Christen

      Immer biblischer erscheint das Land, wir nähern uns der syrischen Grenze, damals ein sicheres Gebiet, zumindest in der gefühlten Wahrnehmung, was man allerdings heute von dieser Region nicht mehr behaupten kann. Ziel ist die Felsenkirche des heiligen Petrus am Hang des Staurus-Berges.

      Nach dem Tod von Jesu gingen die Apostel in alle vier Winde – Petrus kam hierher und es fanden die ersten Treffen zur Verbreitung des Christentums statt. Die Felsenkirche ist 13 m lang und 9,5 m breit. Sie wurde im 6. Jahrhundert weiter ausgebaut.

      Ergänzend möchte ich erwähnen, dass noch vor der Zeit der römischen Provinzen3 ein Streifen der Türkei ursprünglich einmal zu Syrien gehörte. Selbstverständlich handelte es sich damals nicht um Ländergrenzen, sondern um die kulturelle durch inschriftliche Zeugnisse belegte Entwicklung. Aus geografischer oder/und kulturhistorischer Sicht zählten dazu die Gebiete um den Golf von Iskenderun bis hin nach Gaziantep.4 Diese Stadt werden wir im Laufe der Reise noch kennenlernen genauso wie Harran, wo heute noch syrische Araber leben, die nur arabisch oder persisch sprechen und vermutlich kein türkisch. Doch zu diesem Thema in einem späteren Kapitel.

      An diesem denkwürdigen Ort hält unser Reiseleiter und Pfarrer eine Andacht, die etwas theatralisch wirkt, denn er spricht von den „hier lebendigen Gebeinen in Verkörperung unserer Gruppe“.

      Um den Glaubensfrieden noch zu bestärken, singt die Gruppe: „Donna nobis pacem“. Die singende christliche „Gemeinde“ wirkte missionarisch, mitunter peinlich. Wir waren doch nicht die einzigen Besucher in der Felsenkirche. Das Pastorale erhob sich gnadenlos und unbescheiden, dabei waren wir doch nur Gäste in einem fremden Land?! In einem Land, wo es erst einmal darum ging, die hiesigen Gewohnheiten kennenzulernen bzw. sie im Rahmen der eigenen Toleranzgrenze zu akzeptieren. Das betraf die für unsere Ohren ungewohnte Musik, das öffentliche Ausrufen der Gebete durch den Muezzin und natürlich das gewöhnungsbedürftige Klima. Aber das Singen von Kirchenliedern sollte noch öfters praktiziert werden, manchmal sinnvoll, manchmal völlig unpassend. Man stelle sich vor, eine muslimische Reisegruppe reist durch Deutschland singt bei jeder sich bietenden Gelegenheit Suren aus dem Koran. Die Aufgeregtheit der einheimischen Bevölkerung wäre vermutlich voraussehbar. Die Toleranz des jeweils anderen wäre das Ideal.

      Auf den Spuren der Apostel:

      In diesem Zusammenhang war für uns die Erkenntnis neu, dass die Türkei nach dem Staat Israel mit den wichtigsten Stätten des Christentums aufwarten kann: Die Apostel Paulus und Petrus, der islamisch-urchristliche