auf Schloss Dragovac. Fürst Georghiu saß mit Gemahlin und seinen drei Söhnen, eine Tochter war ihm bislang nicht geschenkt worden, beim späten Nachmittagsplausch, als ihm die Meldung überbracht wurde.
»Eine Nachricht, Euer Gnaden! Eine dringende Nachricht!« stammelte der Bote, der in einem Gewaltritt vom Donauufer quer durch das riesige Waldgebiet die Distanz in einer Rekordzeit zurückgelegt hatte. Karolo war ein Eingeweihter, der seine Aufgabe darin sah, den Bestand der Dragovac-Dynastie zu unterstützen und damit zu gewährleisten.
»Gebt ihm einen Becher vom roten Wein!« befahl der Fürst. »Und auch vom Braten und den Würsten. Er muss wieder zu Kräften kommen!«
Und während der Mundschenk und die Magd alles wie befohlen herrichteten, lauschte die fürstliche Familie der Kunde von weither:
»Es ist weitergegeben worden, dass der Nachkömmling einer zweifachen Mischehe in diese Region unterwegs ist. Und es ist uns auch mitgeteilt worden, dass es wichtig wäre, diesen zu einem der Unsrigen zu machen.«
Ein Mischling – das war schon etwas Seltenes für die Bewohner von Schloss Dragovac, denn ein Mischling war ein Bastard aus einer Verbindung von Ihresgleichen mit einem sogenannten Normalen. Ein zweifacher Mischling wiederum war ein Abkömmling aus der geschlechtlichen Verbindung zwischen einem Mischling und einem Normalen. Wobei es gleichgütig war, welcher der jeweiligen Partner weiblichen oder männlichen Geschlechts gewesen war.
Mischlinge waren für den Bestand des Clans wichtig, denn sie sorgten für eine Blutauffrischung in der Gemeinschaft. Etwas, das durch den Biss in den Hals eines Normalen nur unwesentlich ergänzt werden konnte.
Während Karolo gierig das Essen hinunterschlang und den Wein fast in einem Zug kippte, herrschte Stille am Tisch, denn auch die fürstliche Familie hatte mit dem Speisen begonnen. Dann aber, nachdem der Fürst sein Besteck beiseitegelegt hatte, war der Bote dabei, auch noch den Rest der Botschaft zu verkünden.
»Auf dem Schiff, das den großen Fluss hinunterfährt, soll sich auch ein Spürhund befinden, der von jenem weltweiten Netz, das alle Kontinente von Amerika bis zur Antarktis überspannt, beauftragt ist, die Unsrigen zu verfolgen.«
Das schreckte den Fürsten Georghiu, sonst eher lethargisch in seiner Machtfülle verharrend, plötzlich auf: »Wir müssen alles tun, damit jener Suchende zu uns findet!« ordnete er an. »Es ist das Blut, das zählt. Unser Blut, auch wenn es nur noch anteilig vorhanden ist.«
Und seine Frau Constanta bestärkte ihn darin mit einem lauten »Ja! Ja! Ja!«, während sie sich ihren von der allzu dicken Soße bekleckerten Mund abwischte.
Nun schien der Fürst der Meinung zu sein, damit genügend geäußert zu haben, jedenfalls schwieg er beharrlich und entließ Karolo mit verabschiedender Geste. Dieser war bereits daran gewöhnt, dass hier nur Allgemeines, nie etwas Konkretes angeordnet wurde. Sollten die Verantwortlichen am Rande des Waldgebietes nahe der Donau die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.
Damit machte er sich auf den Rückweg. Es war immer etwas unheimlich, hierher zu kommen. Schon manches Mal hatte er befürchtet, nicht heil wieder wegreiten zu können. Aber die Bezahlung war gut, und von irgendetwas musste er mit seiner Familie schließlich leben.
*
Die Kabine, in die eine Stewardess Angelika gebracht hatte, es war die Nummer 231, war mit Sicherheit nicht die größte auf der »Danubia Queen«, aber mit geschätzten 14 Quadratmetern für eine einzelne Person geräumig genug. Sie lag mittschiffs auf dem Oberdeck und besaß ein relativ breites Panoramafenster, vom dem aus die vorbeiziehende Landschaft gut zu beobachten war. Angenehm empfand Angelika die Tatsache, dass die Klimaanlage offenbar einwandfrei funktionierte. Sie beschloss, sich etwas Anderes, etwas Leichteres und dabei doch Eleganteres für den Abend anzuziehen. Beim ersten Zusammentreffen mit den übrigen Gästen musste sie einen guten Eindruck hinterlassen, mit dieser Absicht hatte sie entsprechende Sachen eingepackt.
Eine bereit gelegte Information besagte, dass die »Danubia Queen« vor sieben Jahren in Holland gebaut worden war und vor wenigen Wochen zur Überholung im Dock gelegen hatte. Vierzig Mann Besatzung kümmerten sich um das Wohl der (bei Vollbelegung) 157 Passagiere. Besonders hervorgehoben wurde die Leistung der Küche, die – so der Prospekt – von hervorragender Güte sei.
Angelika las diese Beschreibung mit Wohlgefallen, denn gutes Essen – das war etwas für sie. Wenn das zutraf, denn wäre einer ihrer Zweifel, die sie zu Anfang gehegt hatte, ausgeräumt.
In ihre Überlegung hinein platzte die per Lautsprecher in die Kabine gegebene Nachricht, im Aufenthaltsraum – der sogenannten Aussichts-Lounge – stünden Kaffee und Kuchen bereit zur Stärkung der bereits eingetroffenen Gäste. Es gebe auch Säfte und Wasser sowie Bier. Der Rundruf war für Angelika Grund genug, der Aufforderung zu folgen. Denn Durst hatte sie bei dieser Hitze natürlich immer, auch in der gekühlten Kabine.
Die Lounge war überraschend geräumig, Angelika hatte damit nicht gerechnet. An der Bar gab es zwei Stewardessen und einen Steward, die bemüht waren, alle Wünsche zu erfüllen. Unweit des großen Panoramafensters fand Angelika einen ihr genehmen Tisch, an dem bis jetzt nur ein etwa dreißig Jahre alter Mann Platz genommen hatte.
»Sie erlauben?« fragte sie höflich, und während der Mann aufstand, um ihr galant den Sessel zurecht zu rücken, hatte sie sich schon hingesetzt.
»Hoppla!« sagte er, lachte und setzte sich wieder. »Wie sagte doch ein bedeutender Staatsmann: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben? Aber bestraft komme ich mir eigentlich nicht vor, bei so reizender Reisebegleitung!«
Diese etwas forsche Art störte Angelika keineswegs, war sie dergleichen doch von ihrem Frankfurter Arbeitsplatz gewohnt.
»Ich heiße Angelika Neubert«, sagte sie und stellte sich damit vor. »Aus Frankfurt. Und Sie?«
Anscheinend hatte der neue Bekannte ebenfalls keine Scheu, gesellschaftliche Normen zu brechen. Er trug einen fast militärischen Haarschnitt; Angelika schätzte ihn auf eine Körpergröße von etwa einen Meter 85, also einen Kopf größer als sie selbst. Seine Gesichtszüge hatten etwas leicht orientalisches, die Augen waren braun, sein Lächeln verbindlich, vielleicht sogar herzlich.
»Schwandorff mein Name, mit zwei ‚f‘ am Ende, Jan-Herbert, Immobilienmakler. Aber alle rufen mich Jonny. Ich will die alte Heimat meiner mütterlichen Vorfahren besuchen, denn diese Linie stammt aus Rumänien. Allerdings«, er lächelte ein wenig verlegen, wie es Angelika schien, so, als sei er sich nicht ganz sicher. »Das ist einige Generationen her. Und doch scheint es noch eine Verbindung dorthin zu geben, jedenfalls ist es mein großer Wunsch seit langem, einmal dorthin zu reisen.«
Ihr Gegenüber hatte dunkelblondes Haar und sah sportlich sehr durchtrainiert aus. Jedenfalls sah man ihm die Abstammung von einem Balkanvolk, abgesehen von der leichten Hautfärbung, nicht unbedingt an.
Sie glaubte, einen Witz machen zu müssen. »Wenn das so lange her ist, dann muss ich bestimmt keine Angst haben, dass hier ein Vampir vor mir sitzt, oder? Diese Blutsauger, wie man sie nennt, sollen doch dort ihr ursprüngliches Nest haben.«
Schwandorffs Reaktion auf diese Bemerkung fiel heftiger aus, als erwartet: »Oh, da brauchen Sie keine Angst zu haben. Derlei Gelüste sind mir fremd!« stieß er hervor.
Just in diesem Augenblick hatte Eugenie Schmitz-Wellinghausen ihren Auftritt. Erfreut, bereits jemanden auf diesem Schiff zu kennen, hatte sie schnurstracks Angelika angesteuert.
»Wollen Sie mir nicht diesen attraktiven jungen Mann vorstellen, meine Liebe?«, forderte sie mit lauter Stimme. »Kaum an Bord und schon haben Sie netten Anschluss. Das nenne ich schnelles Handeln!«
Schwandorff stand bereits, als sie die letzten Worte gesprochen hatte. »Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?« fragte er, um dann fortzufahren: »Schwandorff ist mein Name; ich komme aus der Umgebung von München, allerdings nicht dort geboren, vielmehr in Wien, denn von dort stammt meine Mutter.«
Frau Schmitz-Wellinghausen stellte sich nun ihrerseits vor, erwähnte ihren Beruf allerdings mit keiner Silbe. Sie musterte den Immobilienmakler aufmerksam und meinte dann nachdenklich: