wird, doch werden sie immer klar von dem unterschieden, was Jesus gesagt hatte. Im 7. Kapitel des 1. Korinther-Briefes beispielsweise unterscheidet Paulus klar, wenn er ein ‚Wort von Jesus hat‘ oder wenn er den historischen Jesus zitiert. In der Offenbarung kann man die paar Stellen eindeutig erkennen, wo Jesus direkt zu seinem Propheten spricht – also zu Johannes, dem Apostel, wie man traditionell annimmt – und wo Johannes seine eigenen inspirierten Visionen wiedergibt.
Und im 14. Kapitel des 1. Briefes an die Korinther, wo Paulus die Kriterien für echte Prophetie nennt, spricht er von der Verantwortung der Ortsgemeinde, die Propheten unter die Lupe zu nehmen. Da er Jude war, wissen wir, dass folglich für ihn zu den Kriterien für echte Prophetie gehört, ob die Voraussagen wahrhaftig sind und ob sie mit früher offenbarten Worten von Gott übereinstimmten.
Doch das stärkste Argument ist das, was in den Evangelien nicht vorkommt. Nach der Himmelfahrt Jesu gab es eine ganze Reihe von Kontroversen, die die frühe Kirche bedrohten. Sollten Christen beschnitten werden? Wie sollte das Zungenreden reguliert werden? Wie konnte man Juden und Heiden unter einen Hut bringen? Welche Rolle sollten Frauen im Dienst einnehmen? Konnten Christen sich von nichtchristlichen Ehepartnern trennen?
Diese Fragen hätte man am praktischsten lösen können, indem die ersten Christen einfach in den Evangelien nachgelesen hätten, was Jesus ihnen aus dem Jenseits zu diesen Themen gesagt hatte. Doch dies ist nie passiert. Die Kontinuität dieser Kontroversen zeigt, dass die Christen daran interessiert waren zu unterscheiden, was zu Lebzeiten Jesu geschah und was später in den Gemeinden diskutiert wurde.“
2. Die Frage nach der Möglichkeit
Selbst wenn die Autoren daran interessiert gewesen waren, Geschichte zuverlässig aufzuzeichnen, bleibt immer noch die Frage, ob sie dazu überhaupt die Möglichkeit hatten. Wie können wir sicher sein, dass das Material über Leben und Lehren Jesu in den 30 Jahren, bevor es schließlich in den Evangelien aufgeschrieben wurde, gut bewahrt worden war?
Also fragte ich Blomberg: „Würden Sie nicht zugeben, dass schlechte Erinnerung, Wunschdenken und Legendenbildung irreparable Schäden angerichtet haben könnten, bevor die Evangelien schriftlich fixiert wurden?“
Er umriss zu Beginn seiner Antwort den sozialen Kontext. „Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass wir uns in einem fernen Land zu einer anderen Zeit, an einem Ort und in einer Kultur befinden, in der der Computer noch nicht erfunden war und es nicht einmal die Druckerpresse gab. Bücher – oder vielmehr Papyrusrollen – waren relativ selten. Deshalb vollzogen sich Unterricht, Lernen, Gottesdienst und Unterweisung in religiösen Gemeinschaften mündlich.
Rabbis waren bekannt dafür, dass sie das ganze Alte Testament auswendig kannten. So liegt es durchaus im Rahmen des Möglichen, dass die Jünger Jesu viel mehr im Gedächtnis gespeichert hatten, als in den vier Evangelien zusammen zu finden ist – und dass sie es akkurat an andere weitergeben konnten.“
„Einen Augenblick“, warf ich ein. „Ehrlich gesagt scheint mir dieses Erinnerungsvermögen recht unglaublich zu sein. Wie ist so etwas möglich?“
„Ja, für uns heute ist das schwer vorstellbar“, gab er zu. „Doch haben wir es damals mit einer mündlichen Kultur zu tun, in der man großen Wert auf das Auswendiglernen legte. Und Sie sollten auch berücksichtigen, dass 90% der Worte Jesu ursprünglich poetische Form hatten. Das heißt nicht, dass es hier um Reime geht, sondern um Metrum, ausgeglichene Zeilen, Parallelismen etc. Das alles war für das Gedächtnis eine große Hilfe.
Der zweite Aspekt ist, dass die Definition von Auswendiglernen damals flexibler war als heute. In Kulturen mit mündlicher Überlieferung gab es viel Freiheit, Geschichten je nach Situation zu variieren – was man erzählte, was man wegließ, was man paraphrasierte, was ausführlich erklärt wurde und so weiter.
Eine Studie ergab, dass in der Antike im Nahen Osten bei der Wiedergabe einer heiligen Überlieferung 10 bis 40% von einer Gelegenheit bis zur nächsten variieren konnten. Doch gab es immer Fixpunkte, die unveränderbar waren, und die Gemeinschaft hatte das Recht, hier einzugreifen und den Erzähler zu korrigieren, wenn er einen dieser wichtigen Punkte der Geschichte ausließ oder falsch erzählte.
Es ist ein interessanter“ – er machte eine kurze Pause und suchte nach dem richtigen Wort – „‚Zufall‘, dass 10 bis 40% genau der Bereich ist, in dem die Synoptiker bei jedem gegebenen Abschnitt voneinander abweichen.“
Ich wollte, dass Blomberg deutlicher wurde. „Was wollen Sie damit sagen?“, hakte ich nach.
„Ich will damit sagen, dass man einen großen Teil der Ähnlichkeiten und Unterschiede bei den Synoptikern erklären kann, indem man davon ausgeht, dass die Jünger und andere frühe Christen eine Menge von dem, was Jesus sagte und tat, im Gedächtnis hatten, dass sie sich aber die Freiheit nahmen, diese Informationen in verschiedenen Formen weiterzugeben, wobei sie aber immer die Bedeutung der ursprünglichen Worte und Taten Jesu beibehielten.“
Doch ich hatte immer noch meine Zweifel an der Fähigkeit der ersten Christen, diese mündliche Überlieferung originalgetreu zu bewahren. Ich hatte zu viele Erinnerungen an die Spiele auf den Partys meiner Kindheit, in denen Worte innerhalb von Minuten entstellt wurden.
Stille Post
Vermutlich haben auch Sie in Ihrer Kindheit das Spiel „Stille Post“ gespielt: Ein Kind flüstert einem anderen Kind etwas ins Ohr, zum Beispiel: „Du bist mein bester Freund.“ Und dieser Satz wird in einem großen Kreis von einem zum nächsten weitergeflüstert, bis er am Ende völlig verdreht ist, zum Beispiel zu: „Du bist mein schlimmster Feind.“
„Mal ehrlich“, sagte ich zu Blomberg, „ist das kein guter Vergleich für das, was möglicherweise mit der mündlichen Überlieferung über Jesus passiert sein könnte?“
Blomberg nahm mir diesen Erklärungsversuch nicht ab. „Nein, wirklich nicht. Und ich sage Ihnen auch, warum nicht. Wenn Sie etwas sorgfältig auswendig lernen und sich bemühen, es nicht weiterzugeben, bevor Sie nicht sicher sind, dass Sie alles richtig wissen, dann geht es um etwas völlig anderes als bei ‚Stille Post‘.
Bei diesem Spiel besteht die Hälfte des Spaßes schon darin, dass man das Gesagte beim ersten Mal nicht richtig versteht oder vielleicht nicht einmal richtig hört und nicht nachfragen darf. Dann sagt man das vermutlich schon falsch Gehörte weiter, und zwar auch im Flüsterton, sodass die nächste Person dann noch ein bisschen mehr daneben liegt. Wenn ein Satz auf diese Weise die Runde durch einen Kreis aus 30 Personen macht, dann kommt am Ende höchstwahrscheinlich etwas Lächerliches heraus.“
„Warum“, fragte ich nach, „ist das dann kein guter Vergleich für die Weitergabe mündlicher Überlieferungen in der Antike?“
Blomberg trank einen Schluck von seinem Kaffee, bevor er antwortete. „Wenn Sie dieses Beispiel wirklich auf die mündliche Kultur der Antike übertragen wollen, dann müssen Sie berücksichtigen, dass damals wahrscheinlich etwa jede dritte Person die erste Person laut und deutlich gefragt hat, ob das Gesagte noch stimmt. Wenn nicht, musste sie es ändern.
Die Gemeinschaft überwachte das Gesagte ständig und griff ein, um Korrekturen vorzunehmen. Das garantierte die Integrität der Botschaft“, sagte er. „Und das Ergebnis war völlig anders als bei dem Kinderspiel ‚Stille Post‘.“
3. Die Frage nach dem Charakter
Bei diesem Test geht es darum, ob es dem Charakter der Autoren entspricht, aufrichtig und wahrhaftig zu sein. Gibt es Belege für unehrliches oder unmoralisches Handeln, die ihre Bereitschaft oder Fähigkeit, Geschichte akkurat zu überliefern, beeinträchtigen könnten?
Blomberg schüttelte den Kopf. „Wir haben einfach keinen vernünftigen Anhaltspunkt dafür, dass wir es hier nicht mit völlig integeren Menschen zu tun haben“, sagte er.
„Sie berichten uns die Worte und Taten eines Mannes, der sie zu einem Maß an Integrität auffordert, wie dies von keiner anderen existierenden Religion bekannt ist. Sie waren bereit, ihren Glauben bis zu dem Punkt zu leben, an dem zehn der elf verbleibenden Jünger einen grausamen Tod erleiden mussten. Und das zeugt von äußerst starkem Charakter. Wenn es um Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit,