Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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gemacht hatte. Seine leidenschaftliche Anbetung schmeichelte ihr außerdem. Und als er ihr einen Heiratsantrag machte, sagte sie mit Freuden ja.

      Aber die lange Wartezeit bis zur Hochzeit – er wollte erst eine gutbezahlte Stellung haben, bevor er eine Familie gründen wollte – hatte ihre Geduld auf eine Probe gestellt, die sie nicht bestanden hatte. Das Angebot, als Fotomodell tätig zu sein, hatte ihr Leben kurz darauf von Grund auf geändert. Sie war nun mit Menschen zusammen, die das Leben von einer anderen Warte aus betrachteten als diejenigen, die sich nur in bürgerlichen Kreisen bewegten.

      Claus und sie lebten sich von da an auseinander. Eines Tages trennten sie sich ganz. Wie sehr er unter dieser Trennung gelitten hatte, war ihr erst sehr viel später bewusst geworden, als sie ihm nach vielen Jahren wieder begegnet war. Erst da hatte sie begriffen, dass er sie noch immer liebte. Und nur deshalb hatte er ihr auch in ihrer schlimmsten Zeit geholfen.

      Betty stöhnte auf. Wie war es nur möglich, dass dieser Mann, der sein Blut für sie hergegeben hätte, sie nun bis aufs Blut aussaugte? Konnte ein Mensch sich denn so verändern?

      Oder wusste Claus nichts davon? Hatte er seinen Bruder vielleicht gar nicht geschickt? Hatte Martin Aarhof vielleicht irgendwie von dieser Geschichte erfahren? Vielleicht durch dieses Mädchen? Warum war sie noch nicht auf diesen Gedanken verfallen?

      Aber das änderte auch nichts an der Tatsache, dass sie erpresst wurde. Auf alle Fälle würde ihr Brief die Sache ins Rollen bringen. Sollte Claus tatsächlich nichts von den niederträchtigen Machenschaften seines Bruders wissen, würde er ihr bestimmt helfen.

      Betty atmete auf. Vielleicht würde nun doch noch alles gut werden. Vielleicht würden Enno und sie wieder zueinanderfinden. Vielleicht … Aber sie musste sich zusammennehmen und versuchen, von ihrer Sucht loszukommen. Nur aus Angst vor diesem Mann hatte sie die Tabletten genommen, sonst wäre sie innerlich zerbrochen, sonst hätte die furchtbare Angst vor der Entdeckung ihres Verbrechens sie keine Minute mehr zur Ruhe kommen lassen.

      Betty blickte zum Fenster hinaus. Der Tag war einzig schön. Sie sah einige Patienten im Garten spazierengehen. Andere wiederum saßen auf den weißen Holzbänken und unterhielten sich lebhaft.

      Ja, auch sie wollte ein wenig an die frische Luft gehen, dachte sie und stand schon auf. Der rosa Morgenrock passte ihr wieder. Das bedeutete, dass sie schlanker geworden war. Auf einmal fühlte sie sich wie neugeboren. Ja, alles würde wieder gut werden, sagte sie sich und verließ ihr Zimmer.

      Als Betty die Halle durchquerte, um das Haus über die Terrasse zu verlassen, achtete sie nicht auf den ungefähr vierzigjährigen Mann, der im gleichen Augenblick das Sanatorium betrat. Der Besucher machte auf den ersten Blick einen äußerst sympathischen Eindruck. Man konnte ihn unbedingt zu den gut aussehenden Männern zählen mit seinen dunkelbraunen Haaren und seinen markanten Zügen. Nur das unstete Flackern in seinen graugrünen Augen zeugte davon, dass er ein unausgeglichener Mensch war, der immer auf der Flucht vor irgendetwas zu sein schien.

      Als er Betty Cornelius erblickte, breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Glück muss der Mensch haben, dachte er. Bei seinem gestrigen Besuch hatte ihm der Portier erklärt, Frau Cornelius dürfe keinen Besuch empfangen. Doch an diesem Tag hatte ein anderer Portier an der Pforte gesessen. Martin Aarhof hatte einen der Namen, die er am Tag zuvor gehört hatte, aufs Geratewohl genannt und war ohne Schwierigkeiten ins Haus gekommen.

      Betty stieg die flachen Stufen der Terrasse hinab und ging langsam den Kiesweg zwischen den Blumenbeeten entlang. Tief atmete sie den schweren Duft der Rosen ein. Lächelnd beobachtete sie eine Spatzenmutter, die ihre Jungen voller Eifer fütterte.

      Freundlich begrüßte sie einige Damen, die sie bereits kennengelernt hatte. Dann setzte sie sich auf eine Steinbank bei dem Springbrunnen. Von dort aus hatte sie einen herrlichen Ausblick auf den See, dessen Wasserfläche dunkelgrün zwischen den Bäumen schimmerte.

      Plötzlich aber wurden Bettys Bewegungen nervös und fahrig. Schweiß brach aus ihren Poren. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

      Das Verlangen, ihre gewohnten Tabletten einzunehmen, packte sie mit Gewalt. Aber sie bekam keine Tabletten mehr.

      »Ich glaube, ich komme gerade im rechten Augenblick«, hörte sie da wie aus unendlicher Ferne eine ihr bekannte Stimme sagen.

      »Sie?«, fragte sie und hob abwehrend die Hände. »Gehen Sie! Ich will Sie nicht mehr sehen! Lassen Sie mich doch endlich in Ruhe!«

      »Frau Cornelius, schauen Sie, was ich habe. Ihre Tabletten«, entgegnete er, ihre Worte übergehend. »Wasser gibt es dort im Brunnen genug.« Zynisch lachte er auf, als er ihr das Röhrchen mit den Tabletten zeigte, es aber blitzschnell wieder in seiner Tasche verschwinden ließ, als sie die Hand danach ausstreckte.

      »Bitte, geben Sie mir eine Tablette«, flehte Betty erregt.

      »Erst, nachdem Sie einen Scheck für mich ausgeschrieben haben.«

      »Ich habe mein Scheckheft nicht da. Wirklich nicht. Und bares Geld habe ich auch nur wenig. Ein paar Hundert­euroscheine. Mehr nicht. Das müssen Sie mir glauben. Ich …«

      Martin Aarhof lachte spöttisch. »Also, dann nicht. Leben Sie wohl …« Er wandte sich zum Gehen um.

      Betty blickte gequält auf seinen breiten Rücken. Eine lodernde Flamme von Hass züngelte in ihr hoch. Wenn ich jetzt die Kraft aufbrächte, ihn gehen zu lassen, wäre ich endlich von ihm befreit, dachte sie. Aber nur er kann mir die Tabletten beschaffen.

      »Bleiben Sie«, keuchte sie und taumelte zur Bank zurück. »Ich hole Ihnen das Geld. Ungefähr achthundert Euro. Sie sollen es bekommen.«

      »Besser, als gar nichts«, erwiderte er mit gerunzelten Brauen.

      »Geben Sie mir die Tabletten.«

      »Erst, wenn ich das Geld und Ihr Versprechen habe, dass Sie mir in zehn Tagen mehr Geld geben.«

      »Aber, ich kann es nicht. Ich weiß nicht mehr, wie ich das Geld beschaffen soll, ohne dass mein Mann es merkt! Bitte, lassen Sie mich doch in Ruhe! Nicht wahr, Claus weiß nichts von Ihren Erpressungen?«, fragte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      »Natürlich weiß er es. Glauben Sie, er verdient in diesem Hospital im Urwald genügend? Er und ich wollen uns mit dem Geld eine neue Zukunft aufbauen. Aber wir brauchen noch viel mehr. Ihr Mann schwimmt doch im Geld. Er …«

      »Bitte, ich kann nicht …«

      »Dann wird er erfahren, was damals in Amsterdam geschah. Dass Sie ihn belogen und betrogen haben.«

      »Sie können doch nicht so gemein sein!«, rief sie außer sich.

      »Nicht so laut, meine Schöne. Wir wollen doch nicht auffallen. Außerdem möchten Sie doch die Tabletten haben.«

      »Ja, ja.« Betty schlug die Hände vors Gesicht und weinte leise in sich hinein. Wie gemein die Brüder Aarhof doch waren! Wie gemein! Damals, als Claus ihr das Baby gebracht hatte, hatte sie geglaubt, nun sei alles gut. Schließlich hatte sie dem Mädchen, der Mutter des Babys, viel Geld gegeben. Aber Claus und sie hatten sich strafbar gemacht, weil sie eine Schwangerschaft vorgetäuscht hatten, die gar nicht vorhanden gewesen war. Doch Claus hatte sie geliebt und hatte ihr deshalb helfen wollen. Hatte er sie wirklich geliebt? Heute konnte sie daran nicht mehr glauben. Wahrscheinlicher war, dass er ihr das Kind nur deshalb gebracht hatte, weil er schon damals die Absicht gehabt hatte, sie zu erpressen. Um sich den damit verbundenen Schwierigkeiten zu entziehen, hatte er sich ganz einfach in den Urwald abgesetzt und ließ nun seinen Bruder diese schmutzige Arbeit verrichten.

      »Ihr seid ein ganz gemeines Brüderpaar«, zischte Betty hasserfüllt.

      »Damals waren Sie anderer Meinung, meine Gnädigste«, erwiderte Martin Aarhof ungerührt. »Damals wollten Sie das Kind haben. Und Claus hat seinen Beruf aufs Spiel gesetzt, um Ihnen zu helfen. Nach wie vor sitzt er auf einem Pulverfass. Sollte nämlich die ganze Geschichte herauskommen, würde es nicht nur für Sie unangenehm werden. Er würde seinen Doktortitel verlieren und nicht mehr als Arzt arbeiten können.«

      »Dann