Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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      Claus stöhnte leise auf. »Mein Gott, wenn es nur das wäre, Betty. Ich hätte bestimmt nicht mit meinem Bruder gesprochen, wenn ich nicht so verzweifelt gewesen wäre.« Plötzlich war er entschlossen, Betty die volle Wahrheit über den kleinen Pieter zu sagen.

      Sie hörte erregt zu. »O Gott«, flüsterte sie. »Warum hast du das getan?« Die arme junge Frau.«

      »Warum? Weil ich ein verliebter Narr war, Betty. Ich habe nur an dein Gesicht denken können, an deine Enttäuschung.«

      »Ja, das wird es sein.« Betty blickte an ihm vorbei zum Fenster hinaus. »Und weißt du, wo diese Frau lebt?«

      »Nein, Betty, ich weiß es nicht. Ich habe damals versucht, sie völlig aus meinem Gedächtnis auszulöschen. Aber es ist mir nicht gelungen. Und als Martin mich zu erpressen begann, bin ich aus Europa fortgegangen. Ich konnte nicht ahnen, dass Martin sich an dich heranmachen, dich bis zum Wahnsinn treiben und damit deine Ehe zerstören würde. Ich habe ihn noch nicht gefunden. Er scheint keine feste Adresse zu haben. Aber ich werde ihn finden. Verlass dich darauf!« In seinen Augen stand plötzlich unversöhnlicher Hass.

      »Claus, wenn ich Enno nicht so lieben würde und ihm keine Enttäuschung bereiten wollte, müssten wir Pieter seiner Mutter zurückgeben. Aber Enno liebt seinen angeblichen Sohn. Und für Pieter ist es auch besser, wenn er bei Enno bleibt. Kannst du verstehen, dass ich den Jungen nicht mehr sehen kann?«

      »Ein bisschen schon, Betty. Willst du dich denn von deinem Mann wirklich trennen?«

      »Ich weiß es nicht. Enno liebt mich nicht mehr. Er empfindet nur noch Mitleid für mich. Eine Zeitlang habe ich versucht, ihn mit Gewalt zurückzuhalten. Aber seitdem diese Frau van Arx bei ihm ist, scheint er nur noch an sie zu denken «

      Claus zuckte zusammen. Hatte nicht auch die junge Mutter, der er Pieter genommen hatte, Arx geheißen? Ja, so war es gewesen. Julia van Arx.

      »Was hast du, Claus?«

      »Mein Gott, Betty, das Leben ist manchmal eine Posse.«

      »Wie meinst du das?«

      »Wenn ich jemand erzählen würde, dass es einen solchen Zufall gibt, würde er mich auslachen. Weißt du, wer die Mutter des Kindes ist? Julia van Arx.«

      Betty begann zu zittern. »Mein Gott«, flüsterte sie. »Damit hätte sie alle Fäden gegen mich in der Hand. Deshalb darf sie niemals erfahren, dass ihr Kind lebt. Dass Enno und ich es aufgezogen haben. Niemals! Versprich mir, dass du den Mund hältst. Versprich es mir!« Sie fasste nach seiner Hand und umklammerte sie. »Bitte, versprich es mir. Sonst habe ich Enno endgültig verloren.«

      »Ich verspreche es dir, Betty. Ich werde versuchen, mit meiner Schuld weiterzuleben.« Er nahm ihre eiskalte Hand zwischen seine Hände und rieb sie. »Betty, ich bin immer für dich da. Ich liebe dich noch immer. Du musst gesund werden. Und wenn du nicht mehr weiter weißt, komme zu mir. Du brauchst mir nur zu schreiben.«

      »Ich danke dir«, schluchzte sie auf. »Ich habe deine Liebe nicht verdient. Vielleicht werde ich eines Tages tatsächlich auf dein Angebot zurückgreifen.« Sie lächelte ihn unter Tränen an. Dieses herzzerreißende Lächeln sollte Claus Aarhof immer in Erinnerung behalten.

      Als Betty allein war, fühlte sie sich elender denn je. Wohl zum ersten Mal spielte sie an diesem Tag mit dem Gedanken, sich weiterem Elend und Leid zu entziehen, um im kühlen Grab endlich die so ersehnte Ruhe zu finden.

      *

      Es war für Julia eine Enttäuschung, dass man ihr nicht erlaubte, Betty Cornelius zu besuchen. Als Grund gab man deren schlechten Zustand an.

      Julia blieb nichts anderes übrig, als nach Essen zurückzukehren und sich bei Enno im Werk zurückzumelden. Das Wiedersehen mit ihm machte ihr noch deutlicher, dass sich ihre Gefühle für ihn in keiner Weise geändert hatten. Sie liebte ihn jetzt noch heftiger, noch inniger.

      Unverständlich war ihr jetzt, dass sie ihn zuvor so kühl und abweisend behandelt hatte. War nicht auch er ein Opfer der Machenschaften seiner Frau? Er lebte doch in dem festen Glauben, dass Pieter sein Sohn sei.

      »Ich bin sehr froh, dass die Spannung zwischen uns behoben ist«, stellte er erleichtert fest und sah sie wie ein kleiner Junge an, der besonders reichlich vom Weihnachtsmann beschenkt worden war. »Ich war schon völlig kons­terniert. Denn ich brauche so dringend einen Menschen, dem ich mein ganzes Vertrauen schenken kann.«

      »Es tut mir leid, dass ich mich so benommen habe«, erwiderte sie kleinlaut. »Ich kann mir nicht erklären, was in mich gefahren war. Ich hatte doch einen ziemlich großen Schock von dem Unfall.«

      »Ja, das wird es gewesen sein.« Sein Lächeln vertiefte sich. »Julia, Pieter war für mich in dieser Zeit mein letzter Halt. Ohne ihn wäre ich manchmal am Leben verzweifelt.«

      Ich werde ihm nie die Wahrheit über Pieters Herkunft sagen können, dachte sie unglücklich. Oder war Pieter vielleicht doch sein Sohn? Wenn sie nicht endlich Klarheit bekam, würde sie noch überschnappen. Sie setzte ihre letzte Hoffnung auf die Ärztekammer, an die sie geschrieben hatte. Dort wusste man vielleicht mehr über Dr. Aarhofs jetzigen Aufenthalt.

      »Julia, wo sind Sie mit Ihren Gedanken?« Enno riss sie aus ihren Grübeleien.

      »Ich? Verzeihung«, murmelte sie und lächelte ihn verlegen an.

      »Ist schon gut, Julia. Ich habe Sie gefragt, ob Sie mich am Wochenende nach Sophienlust begleiten möchten. Pieter fragt immer wieder nach Ihnen.«

      »Gern«, erwiderte sie erregt. »Natürlich komme ich mit.«

      Dann erzählte Enno von seiner Frau. Still hörte Julia ihm zu. Obwohl sie diese Frau eigentlich hassen müsste, gelang ihr das doch nicht ganz. War Betty Cornelius ein vom Schicksal geschlagener Mensch? Ja, der Herrgott sorgte schon dafür, dass keine Bäume in den Himmel wuchsen, dachte Julia.

      Am Samstagmorgen holte Enno Julia ab. Um ausgeschlafen zu sein, hatte sie am Abend zwei Schlaftabletten genommen, die noch in ihr nachwirkten. Aber sie empfand diesen leicht schwebenden Zustand eher als angenehm. Die entsetzliche Spannung in ihr, die sie in den letzten Wochen gequält hatte, war einer ausgeglichenen, fast glücklichen Ruhe gewichen.

      Auch Enno hatte gewaltsam die Alltagssorgen und den Kummer um Betty abgestreift. Julias Nähe half ihm noch, sie nicht wieder in den Vordergrund treten zu lassen.

      Es war ein wunderschöner Spätsommertag, der schon einen Hauch des kommenden Herbstes in sich trug. Hie und da leuchtete ein gelbes Blatt zwischen dem Grün der Bäume und Sträucher. Ein lauer Wind strich über die Getreidefelder und Wiesen. Immer wieder begegneten ihnen Heuwagen.

      »Ich liebe diese Jahreszeit sehr« sagte Julia. »Bei uns daheim empfindet man sie doppelt schön.«

      Enno lächelte sie an. »Wohl jeder hält seine Heimatstadt, den Ort, an dem er aufgewachsen ist, für etwas Besonderes.«

      »Mag schon sein«, gab sie zu und sehnte sich nach Ennos Umarmung.

      Er fuhr langsamer, als spüre er ihre Sehnsucht. Dann ließ er den Wagen ausrollen. Mit einer scheuen Zärtlichkeit legte er den Arm um ihre Schultern. Überwältigt von ihren Gefühlen lehnte sie ihren Kopf gegen seine Schulter.

      »Julia, wir hätten uns früher begegnen müssen«, erklärte er leise.

      »Ja, Enno, das hätten wir«, stimmte sie ihm bei.

      »Aber wir haben uns nicht früher getroffen.« Mit einem resignierten Lächeln zog er seinen Arm zurück und fuhr weiter.

      Bis Sophienlust sprachen sie kaum noch miteinander, aber ihre Blicke trafen sich immer wieder. Und dann erreichten sie das kleine Paradies auf Erden. Sofort wurden sie in den Sog des Glücklichseins hineingezogen.

      Als Julia Pieter begrüßte, suchte sie mit einer schier gierigen Verzweiflung nach einer Ähnlichkeit mit Wim oder mit sich selbst.

      Und dann erkannte sie mit schmerzlicher Deutlichkeit, dass Pieter Wim glich. Nicht nur äußerlich, sondern auch in seinen Bewegungen,