Edna Meare

Mami Staffel 11 – Familienroman


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erklärte sie mit erhobener Stimme. »Aber ich werde zu seinem Konzert nach Verona fahren und ihn danach um die Scheidung bitten.«

      »… um was?« Claudia, die sich schon wieder die Stöpsel in die Ohren stecken wollte, versteinerte.

      »Um die Scheidung!« wiederholte Annalena lauter. »Wolfgang und ich lieben uns. Du hast ihn doch kennengelernt und sympathisch gefunden. Darum werden wir die ganzen Ferien bei ihm verbringen. Nach den Ferien ziehen wir dann in eine gemeinsame Wohnung. Du bist doch dabei?«

      Claudia begriff immer noch nicht. »Und… und Papa?«

      »Dein Vater liebt mich lange nicht mehr, Claudia. Unsere Ehe besteht nur noch auf dem Papier. Er braucht die Bewunderung anderer Frauen. Und ich liebe Wolfgang. Wolfgang versteht und braucht mich.«

      Die Elfjährige starrte mit offenem Mund nach vorn in den Regen. Was sie da unerwartet zu hören bekam, verwirrte sie so, daß sie nicht mal weitere Fragen stellen konnte.

      »Findest du ihn nicht nett?« wollte Annalena wissen.

      »Nein!« schrie Claudia. »Überhaupt nicht!«

      Annalena trat noch heftiger aufs Gas.

      »Aber ich liebe ihn doch! Und du wirst ihn schon liebgewinnen. Er ist ein wunderbarer Mann. Ganz anders als dein Papa!«

      »Nein! Nein!! Ich will nicht, Mama! Ich will nicht an den Gardasee. Ich will in unser Haus am Strand!« Claudia ballte die Fäuste. Sie liebte ihre Eltern, und deshalb ertrug sie diesen Zwiespalt nicht, den ihre Mutter ihr plötzlich aufbürdete.

      »Es ist auch mein Leben, Claudia. Ja, ich will leben und lieben! Und dazu brauche ich Wolfgang.«

      In einer Rechtskurve setzte Annalena zum Überholen eines Lasters an. Da Claudia sie von hinten an der Schulter rüttelte, verlor sie für Sekunden die Gewalt über den Wagen. Er schrammte gegen die Planke, geriet ins Schleudern, prallte gegen den Laster, wurde mitgeschleift und kam erst nach einer Ewigkeit zum Stehen.

      »Mama!« schrie Claudia verzweifelt, löste ihren Gurt und öffnete die Tür, um ihrer Mutter, die vornübergebeugt über dem Steuer lag, schneller zur Hilfe zu kommen. Sie konnte nicht erkennen, daß von hinten ein Sportwagen in rasendem Tempo auf sie zukam. Sie spürte nur noch einen heftigen Stoß, dann einen stechenden Schmerz und verlor das Bewußtsein.

      *

      Daß Dr. Kurt Wittek an diesem Tag eine halbe Stunde früher zum Dienst in der Klinik antrat, war auf einen Zufall zurückzuführen. Eigentlich hatte er sich mit seiner Frau am späten Nachmittag noch zu einer Tasse Kaffee treffen wollen, aber Valerie hatte im letzten Moment abgesagt, weil sie mal wieder länger in der Apotheke stehen mußte.

      Kurt kannte das schon. Er hatte einen kleinen Spaziergang gemacht, um die frische Luft nach dem langen Regen an diesem Tag zu genießen und kam nun wie immer in recht guter Stimmung und fast eine Stunde zu früh ins Krankenhaus.

      »Dr. Wittek!« rief ihm die Pförtnerin entgegen. »Gut, daß Sie endlich da sind! Sie müssen sofort zu Dr. Hoffmann. Beeilen Sie sich bitte!«

      »Zu Astrid? Was ist los?« Astrid Hoffmann war ihm mehr als eine Kollegin. Sie, seine Frau und er waren seit langem dicke Freunde.

      »Exitus! Ein Unfallopfer von der Autobahn. Innere Verletzungen. Dr. Hoffmann und das OP-Team haben stundenlang um ihr Leben gekämpft. Vergeblich. Damit wird Dr. Hoffmann nicht fertig. Sie sitzt völlig apathisch im Ärztezimmer. Sie müssen jetzt gleich ihren Dienst übernehmen.«

      Kurt Wittek riß sich im Weitergehen das Jackett von den Schultern, schlüpfte in den Raum neben dem Ärztezimmer, holte einen frischen Kittel aus dem Regal und zog ihn hastig über.

      Als er das Ärztezimmer betrat, standen drei junge Kollegen um einen der drei Schreibtische. Kurt sah nur das rotblonde Haar Astrids. Sie hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und die Arme schützend darüber verschränkt.

      »Sie können gehen«, raunte er den Ärzten zu.

      Dann war er mit Astrid allein. Kurt Wittek gehörte zu den Menschen, die sich, wann immer es ging, bei allem viel Zeit lassen. Es dauerte Sekunden, bis er sie tröstend berührte. Wie schwer die Verantwortung für das zweite Team im OP gerade auf Astrid lastete, hatte er immer geahnt.

      Sie galt als befähigte Chirurgin mit ihren gerade mal dreiunddreißig Jahren, aber wenn es um Leben und Tod ging, fragte keiner, ob ihrer Seele nicht vielleicht einige Jahre fehlten, um die Last der Verantwortung zu ertragen.

      Hatte er ihr nicht deshalb schon häufig geraten, sich nicht für die privaten Angelegenheiten der Unfallverletzten zu interessieren? Daran konnte jeder Arzt scheitern. Und was war er dann noch als Mediziner wert?

      Er strich ihr zärtlich übers Haar. »Du bist nicht die einzige, die vor Gevatter Tod kapitulieren muß. Du weißt doch, wie oft wir es alle erleben müssen.«

      Sie rührte sich nicht. Nur ein leises Schluchzen war zu hören. Da stand er auf und füllte eine Tasse mit dem Kaffee aus der Maschine. Er fügte Zucker und Sahne hinzu und trat wieder zu ihr.

      »Hier, trink einen Schluck. Seit wann hast du heute Dienst? Seit sieben Uhr früh, nicht? Es ist gleich fünf Uhr nachmittags, Astrid. Du gehörst nach Hause ins Bett. Und morgen sieht alles schon wieder anders aus.«

      Mehr fiel ihm nicht ein. Wenn ihm ihr Kummer nicht so nahgegangen wäre, hätte er vielleicht klügere Worte gefunden. Er stellte die Tasse ab und sah sich suchend nach dem Krankenblatt um. Annalena Ossiander, geborene Achtmann, dreiunddreißig Jahre, stand da. Innere Verletzungen. Quetschungen der Milz und Leber… Da wußte er alles.

      »Ich habe jämmerlich versagt«, hörte er Astrid flüstern. »Eine junge, schöne Frau, Mutter einer Tochter, voller Leben, Liebe und Hoffnung.« Sie schluckte. »Sie starb mir unter den Händen weg.«

      »Ich weiß, daß ihr nichts unversucht gelassen habt, Astrid. Das Tages-Team im OP leistet genauso Unmenschliches wie wir im Nachtdienst.«

      »Aber wir hätten… aber es ging nicht. Glaube mir, ich habe nichts unversucht gelassen. Es war zu spät.«

      Sie hob den Kopf. Ihr herzförmiges Gesicht mit dem rosigen, von niedlichen Sommersprossen übersäten Teint sah ihm tränenüberströmt entgegen. Die hellblauen Augen verrieten Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und grenzenlose Verzweiflung.

      »Ihre Uhr war abgelaufen, Astrid. Du weißt, wie oft ich mir damit selbst helfen mußte.«

      »Ach, Kurt! Gut, daß du da bist!« aufschluchzend hob sie die Arme und lehnte sich gegen ihn.

      Dr. Wittek reichte ihr die Tasse, und sie trank.

      »Sind die Angehörigen schon benachrichtigt?« fragte er vorsichtig, als er bemerkte, daß sie ruhiger wurde.

      Astrid nickte.

      »Fabian Ossiander ist heute mittag zu einem Konzert nach Stuttgart geflogen. Er wird erst morgen eintreffen.«

      »Ach du Schreck. Der Dirigent Ossiander? Und die Tochter?«

      »Die Tochter?« Sie sah ihn an, als erwache sie aus einem Traum. »Sie liegt noch im Beobachtungsraum. Irgendwann wird sie aus der Narkose erwachen.«

      Kurt verstand nicht gleich. »War sie auch in den Unfall verwickelt?«

      »Ja, Quetschung des Knies, Fraktur des Oberschenkels, ein fast zertrümmerter Beckenteil. Aber die vom ersten Team haben sie wieder zusammengeflickt.«

      Astrid sprach jetzt wie eine erfahrene und abgebrühte Medizinerin. Aber ein Blick, und er sah wieder ihre andere Seite. Die ihrer verletzlichen Seele, die von der Teilnahme an Patientenschicksalen immer wieder verwundet wurde und danach so schwer heilte.

      »Es wird Monate dauern, bis sie wieder laufen kann, Kurt.«

      Er nickte. »Weiß sie vom Tod ihrer Mutter?«

      »Nein! Das kann ich nicht. Das muß ihr doch der Vater sagen.«

      Nach längerem Nachdenken nahm er ihre Hand. »Astrid,