die Markwards sind eine Familie für sich… Eltern und Kind. Die wollen sich nicht immer an unsere Fersen heften. Ich habe das Gefühl, du bist eifersüchtig, wenn ich mich ein bißchen mit Herrn Berger unterhalte… aber das mußt du doch verstehen. Es ist nichts dabei.«
»Das sagst du!« erklärte Sara altklug. »Aber er findet dich bestimmt toll. Und dann will er dauernd mit dir ausgehen. Wirst du schon sehen.«
Kiki, dessen Käfig heute morgen am Fenster in der Frühlingssonne stand, hatte nun lange genug still zugehört. Jetzt fand er es an der Zeit, sich in das Gespräch einzumischen.
»Luv und Lee!« rief er krächzend. »Auf, Matrosen. Setzt die Segel!«
»Du hast recht!« lachte Isabel. »Auf geht’s… wir sind schon zehn Minuten zu spät dran, Saramaus! Paß auf, ich mache dir einen Vorschlag, damit wir uns nicht länger zanken. Wenn ich den Herrn Berger nochmal treffe, sage ich ihm, daß wir gern am Sonntag in den Zoo möchten. Und wenn er mag, kann er uns begleiten. Wie findest du das? Vielleicht ist er ja wirklich nett, und du verträgst dich toll mit ihm!«
»Na gut!« stimmte Sara zu. »Ich bin ja nicht so. Mami, sieh nur, jetzt ist Kiki wieder traurig, weil wir gehen!«
*
Tatsächlich ließ der Kakadu betrübt seine gelbweiße Haube hängen, trat von einem Fuß auf den anderen und brabbelte vor sich hin:
»Alle Mann von Bord, Klabautermann!«
Die Stunden bis zur Mittagszeit, wenn Mutter und Tochter wieder nach Hause zurückkehrten, waren für den armen Kiki die reinste Folter. Er hing mehr an den beiden, als man es einem Vogel zugetraut hätte. Mitunter hatte er schon so verzweifelt ausgesehen, daß Isabel ihn kurzerhand bei den Markwards nebenan abgegeben hatte… nur, damit er in Gesellschaft war. Aber da er sich dort meist aufführte wie ein Wilder und ständig sein ganzes Repertoire zum Besten gab, war das nur selten möglich.
»Wir lassen ihn raus und geben ihm die Knopfdose zum Sortieren! Bitte, Mami!« bat Sara inständig. Es rührte sie jedesmal zu Tränen, wenn ihr gefiederter Freund so traurig auf der Stange hockte.
»Na schön… ich hoffe nur, er macht keinen Blödsinn.«
Wenn Kiki einsam war, half nur eins: Die Schachtel mit den vielen verschiedenen Knöpfen. Vor allem glänzende waren es, die den Kakadu immer wieder entzückten. Stunde um Stunde beäugte er diese Schätze, hob einen Knopf nach dem anderen mit dem Fuß hoch, hackte kurz danach und legte das Prachtstück dann wieder zurück.
»Du darfst raus, Kiki!« Sara öffnete den Käfig. Normalerweise benahm sich der Kakadu gesittet. Er besaß eine hölzerne Schaukel, die an zwei Zimmerpalmen befestigt war, auf der er sofort landete. Von dort aus beobachtete er zufrieden die Vorbereitungen für einen kurzweiligen Vormittag.
Sara deckte den Wohnzimmertisch mit Zeitungspapier ab und entfernte den Deckel von der Knopfdose. Mit einem Blick erkannte Kiki, daß zwei neue Kostbarkeiten die Sammlung ergänzten, und zwar goldene Knöpfe mit einem kleinen Farbstein in der Mitte. Isabel hatte sie erst gestern von einer Bluse abgetrennt, die ihr nicht mehr paßte.
»Viel Spaß, Kiki!« ermunterte Sara ihren Liebling. »Bis mittags dann!«
Der Aufbruch vollzog sich wie immer: Handtasche, Kindergartenbeutel, eine Tüte diverse andere Utensilien, Autoschlüssel, Hausschlüssel.
Vor dem Haus wartete schon Timmy Markward, der ebenfalls mit ins Auto kletterte, und ab ging’s zum Kindergarten.
»Tschüß, Mami!« An der Eingangstür bekam Isabel ein Abschiedsküßchen von ihrer Tochter. Sara war in der »Igelgruppe«, die von Frau Herder betreut wurde.
Isabel war als Erzieherin für die »Hasen« tätig, ein paar Türen weiter. Dazwischen hatten die »Springmäuse« und die »Maulwürfe« ihr Reich. Und die ganz Kleinen, Neulinge in dem modernen, hübsch eingerichteten Kindergarten, waren natürlich die »Marienkäfer«.
»Fahrt ihr dieses Jahr in Urlaub?« erkundigte sich Timmy bei Sara, als sie ihre Kindergarten-Rucksäche an den Haken hängten.
»Im Sommer? Ich weiß nicht. So große Lust hab’ ich dazu nicht, weißt du. Mami gibt sich immer sehr viel Mühe, aber es ist manchmal langweilig im Urlaub.«
»Echt?« fragte Timmy. Er sah Sara begeistert an. Sie war ganz toll, fand er, und wenn er einmal heiraten sollte – in einer schier unermeßlich fernen Zukunft – dann natürlich nur sie.
»Ja, echt langweilig. Letztes Jahr waren wir in Spanien!« Sara zog ihr Malzeug hervor. »Zuerst am Meer, aber da war es so heiß und so voll, daß Mami Migräne gekriegt hat. Dann haben wir so blöde Sehenswürdigkeiten besichtigt, alte spanische Burgen und so was.«
»Bleibst du lieber hier in Köln?« erkundigte sich Timmy hoffnungsvoll. »Meine Eltern haben gesagt, wir verreisen nicht. Es ist zu teuer. Wir haben erst das Haus reni – rena… wie heißt das Wort?«
»Keine Ahnung!« bekannte Sara. »Aber ich weiß, was du meinst. Ihr habt alles neu anstreichen lassen. Ja, ich bleibe ganz gern in Köln, die Sommerferien sind doch toll hier. Man kann ins Schwimmbad gehen oder mit dem Rheindampfer fahren oder…«
»Hoffentlich fahrt ihr wirklich nicht weg!« meinte Timmy. »Ohne dich ist es öde. Ich könnte dann bloß Fußball spielen. Am Ende würden meine Eltern mich zu meiner Tante Ulrike in die Eifel schicken. Mann, da ist es vielleicht gräßlich! Den ganzen Tag stellt sie mir blöde Fragen und kocht andauernd Eintopf. Bloß die Kaninchen mag ich, hinter dem Haus in einem Stall…«
»Ich sage Mami, daß ich nicht verreisen mag!« versprach Sara treuherzig. »Und jetzt hör auf damit, Timmy. Es ist noch so lange bis zum Sommer!«
»So lange auch wieder nicht!« meinte Hanna Herder, die Erzieherin. Sie hatte Saras Worte gehört und lächelte. »Immerhin haben wir Frühling, und die Zeit vergeht wie im Flug! Wir müssen an Ostern denken. Deshalb wollen wir heute überlegen, was wir in diesem Jahr basteln. Ich habe einige Vorschläge, und gemeinsam stimmen wir dann ab. Einverstanden?«
Sara liebte die Vormittage im Kindergarten. Nur wenn sie an Kiki dachte, tat ihr das Herz ein bißchen weh. Ob er immer noch die Knöpfe sortierte?
Mittags landeten sie wieder wohlbehalten in der Rotenbuchstraße. Isabel ging in die Küche, um für die Kleine und sich zu kochen. Unterdessen landete Kiki mit einem Freudenschrei auf Saras Schulter.
»Segel hissen!« erklärte er und knabberte zart an ihrem Ohr. »Ab in die Kombüse!«
»Du bist süß, Kiki!« flüsterte Sara und kraulte sein Gefieder. »Ich hab’ dich doll lieb!«
Brav hatte er die schillerndsten Knöpfe in eine Reihe sortiert. Ein paar lagen auf dem Boden, zwei Blätter von Mamis Zimmerpflanzen hatten dran glauben müssen, aber was machte das schon aus? Hauptsache, Kiki ging es gut!
Abends klingelte es plötzlich an der Tür. Sara tupfte gerade mit Fingerfarben ein Kunstwerk – Blumen auf einer Wiese – auf einen großen weißen Papierbogen, während ihre Mutter in Jeans, T-Shirt und Schürze die Küchenschränke putzte. Es war mal wieder nötig gewesen!
»Wer kann das sein?« murmelte Isabel und zog ihre Gummihandschuhe aus, von denen die Seifenlauge tropfte. Na ja, egal, es konnte nichts Wichtiges sein… vielleicht nur Timmy, der manchmal am Abend noch herüberkam.
Aber es war nicht der kleine Junge mit den blonden Locken. Ein ausgesprochen gut aussehender Mann, groß und nach Rasierwasser duftend, stand mit einem Blumenstrauß vor der Tür.
»Sie?« fragte Isabel erstaunt.
»Ich komme doch nicht ungelegen?« Rolf Berger setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Ich weiß, ich weiß… vielleicht hätte ich kurz anrufen sollen. Aber ich befürchtete, Sie würden mir einen Korb geben, liebe Frau Sievers… äh, Isabel.«
Die Blumen landeten in ihrem Arm: Iris und Rosen. Ein riesiges Gebilde, umrahmt von Zierfarn.
»Vielen Dank!« meinte sie verdattert.