Friederike von Buchner

Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman


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eingestellt bin. Ich war sogar so clever, dass ich mir in meinem Arbeitsvertrag zusichern ließ, dass meine Tätigkeit firmenintern ist und ich nicht reisen muss. So viel zur Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Aber ich kann einfach nicht ablehnen. Ich bin so sauer! Das Wort ›Nein‹ kommt mir einfach nicht über die Lippen. Danach bin ich nicht nur meinem Chef böse, sondern vor allem mir selbst. Ich habe Seminare geleitet, in denen es um die Entwicklung der Persönlichkeit ging. Ich kenne mich mit den anerzogenen Strukturen aus, besonders bei Frauen. Mädchen werden von frühester Kindheit gedrillt, ja, gedrillt nenne ich es. Es wird Teil ihrer Persönlichkeit. Sie müssen lieb, brav und freundlich sein. Sie müssen sich anpassen und nachgeben, auch wenn sie dabei verzichten müssen. Himmel, ich könnte mich selbst ohrfeigen, dass ich wieder einmal nachgegeben habe! Ich kann anderen helfen, eine stabile Persönlichkeit zu entwickeln, aber ich selbst knicke ein und lasse mit mir Schlitten fahren.«

      Judith sah abwechselnd Susanne und Sven an.

      »Nun sagt doch etwas! Stimmt mir zu, dass ich dumm und blöd bin!«

      »Wirst du dich dann besser fühlen?«, fragte Susanne.

      »Ich weiß nicht!«

      »Gut, dann probieren wir es aus! Liebe Judith, hast dich mal wieder falsch benommen! Bist in alte Muster zurückgefallen. Du solltest dich schämen!«

      Sven und Susanne lachten, und Judith huschte ein Lächeln über das Gesicht.

      »Ich schwöre euch, dass ich mich nie mehr so überrumpeln lasse! Nie mehr, bei allem, was mir heilig ist!«

      Sven schenkte Judith ein Glas Rotwein ein. Sie trank und holte Luft.

      »Also, ich muss mal wieder die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Der Referent für das Führungsseminar fällt aus. Ich muss mal wieder einspringen – übermorgen! Ich würde sagen, der Herr drückt sich!«

      Sie trank wieder einen Schluck.

      »Das passt mir überhaupt nicht! Erstens bin ich nicht gerne unterwegs und zweitens bin ich sauer. Alles deshalb, weil ich ledig bin. Mein Chef meint, er könnte meine Flexibilität ausnutzen. Ich bin aber nicht mit der Firma verheiratet. Ich habe noch ein Privatleben! Und außerdem passt es mir im Augenblick überhaupt nicht. Meine Eltern sind in Urlaub und haben mir ihre zwei Katzen zur Pflege gebracht. Dazu steht meine ganze Terrasse voll mit Pflanzen. Wenn ich fort bin, gehen sie ein und die Katzen müssen auch versorgt werden. Ich sagte meinem Boss, dass ich dieses Mal unmöglich einspringen kann und habe ihm die Gründe erläutert. Er meinte, ich sollte die Katzen in eine Tierpension bringen. Meine Eltern lynchen mich, wenn ich das

      tue.«

      Judith holte Luft.

      »Deshalb will ich euch fragen, ob es euch – ob es dir, Sue, möglich ist, nach den Tieren und den Pflanzen zu schauen. Ich weiß, dass das eine Zumutung ist. Es ist mir auch peinlich, euch bitten zu müssen.«

      Sue lächelte Judith an.

      »Mach daraus kein Drama! Wie lange bleibst du weg?«

      »Es sind zwei Seminare von je einer Woche. Dazwischen liegt eine freie Woche. Mein Chef will mir die dazwischenliegende Woche als Sonderurlaub geben. Er will mir sogar das Hotel bezahlen. Er muss wirklich in Druck sein.«

      »Du wirst ihm Druck gemacht haben, Judy!«

      »Ja, das habe ich! Darauf kann ich wenigstens stolz sein. Ich habe mich teuer verkauft, auch wenn ich am Ende nachgegeben habe.«

      »Wo geht es denn hin, Judith?«

      »Der Ort heißt Waldkogel. Das ist wohl ein kleines Dorf in den Bergen. Ruhig und idyllisch soll es sein.«

      Sven und Sue warfen sich Blicke zu.

      »Wenn es Waldkogel bei Kirchwalden ist, dann kennen wir den Ort gut.«

      »Ja, Sue! Es liegt ganz in der Nähe von Kirchwalden. Dort fanden bisher die Managerseminare statt. Aber das Tagungshotel hat abgesagt, deshalb findet die Veranstaltung jetzt in Waldkogel statt. ›Zum Ochsen‹ heißt das Hotel. Klingt ziemlich rustikal! Bin gespannt, was mich dort erwartet! Ich denke, dass der Herr Trainer sich deswegen drückt. Das Hotel scheint ihm nicht fein genug zu sein. Er ist so ein Überflieger, ihr wisst schon, ein typischer Yuppie eben.«

      »Das ist ein feines Sternehotel! Du wirst überrascht sein, Judy. Ich bin sicher, dass es dir gefallen wird.«

      »Das ist ja beruhigend! Wenn den gestressten Managern, die zum Seminar kommen, die Unterbringung nicht gefällt, dann gibt es Probleme.«

      »Da musst du dir keine Sorgen machen, Judy! Waldkogel ist ein ganz reizender Ort. Meine beste Freundin hat dort hingeheiratet. Sie lebt mit ihrem Mann auf der Berghütte. Ich kann dir nur raten, sie zu besuchen. Vielleicht verbringst du die freien Tage zwischen den Seminaren auf der Berghütte, da kannst du dich schön erholen. Wenn du willst, rufe ich an und kündige dein Kommen an.«

      »Berghütte! Ich weiß nicht recht?«

      Unschlüssig schaute Judith die beiden an.

      Susanne ergriff das Wort:

      »Also, du gibst mir den Schlüssel zu deiner Wohnung. Ich kümmere mich um die Katzen und die Pflanzen. Du musst dir keine Sorgen machen!«

      Judith seufzte.

      »Danke, Susanne! Ich bin morgen am Vormittag noch mal kurz im Büro, aber am Nachmittag daheim. Komm rüber, dann zeige ich dir alles!«

      »Gut, dann bin ich so gegen Drei bei dir. Ich bringe Kuchen mit!«

      Judith trank ihr Glas leer. Sie stand auf. Susanne brachte sie zur Tür.

      »Du bist lieb, Sue! Was würde ich ohne dich machen?«

      »Nun übertreibst du aber! Du würdest dir für die Katzen einen anderen Katzensitter suchen.«

      »Ha, das sagt sich so leicht!«

      »Nun geh und schlafe gut! Wir sehen uns dann morgen, Judy!«

      Susanne blieb noch an der Tür stehen, bis Judy im gegenüberliegenden Haus verschwunden war.

      »Ist Judy fort?«

      »Oh ja! Sie ist eine ganz Liebe, aber sie ist im Augenblick selbst etwas gestresst. Ihr Chef beutet sie richtig aus. Und Judith kann nicht Nein sagen. Sie springt immer wieder ein und spielt Feuerwehr. Dabei ist das gar nicht ihre Aufgabe. Aber alle anderen in der Firma sind verheiratet und weigern sich standhaft.«

      »Judy liebt Tiere und Pflanzen! Ich bin sicher, sie wird sich in der schönen Natur rund um Waldkogel gut erholen, Sue. Überrede sie, dass sie einige Tage auf der Berghütte bei Toni und Anna verbringt.«

      »Ja, Sven, ich werde es versuchen!«

      Für die beiden wurde es auch Zeit, schlafen zu gehen. Sie stellten die Weingläser in die Spülmaschine und gingen hinauf. Sie warfen noch einen Blick ins Kinderzimmer, in dem der kleine Peter fest schlief.

      *

      Alban Grummer war bei seinen zukünftigen Schwiegereltern zum Mittagessen eingeladen. Er stand vorm Spiegel und legte seine Krawatte um. Er freute sich auf Alinas Eltern. Er kam gut mit ihnen aus. Sie waren reizende Menschen. Alina war ihr einziges Kind. Die beiden hatten spät geheiratet und waren erst nach Jahren Eltern geworden. So war Alina ein Einzelkind geblieben. Das hatte sich ausgewirkt. Alban war klar, dass Alina verwöhnt war. Ihre Eltern hatten ihr alle Wünsche erfüllt, wie es so oft bei Einzelkindern geschieht. Erschwerend kam dazu, dass die Eltern schon älter waren. Alina war eine kluge junge Frau. Sie hatte Sprachen studiert und arbeitete bei einer großen Messeagentur als Simultanübersetzerin. Alban kannte sie schon lange. Aus einer zufälligen Begegnung auf einer Yachtmesse war zuerst Freundschaft geworden. Man sah sich öfters und es wurde mehr daraus. Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, jedenfalls nicht bei Alban. Er war ohnehin ein Mensch, der sich seine Gefühle nicht anmerken ließ. Nur wenn man ihn sehr gut kannte, war es möglich, die kleinen Veränderungen in seiner Mimik zu deuten. Alban war früh Vollwaise geworden, als sein Vater am Berg verunglückte und seine Mutter bald darauf an gebrochenem