geklopft, bis seine Witwe in Tränen zerflossen sei; und hier, sagte Lizzie, habe auch Mrs. Cook ein wenig geweint.
Wann der Mann wieder fortgegangen sei?, wimmerte Selina. Was die Matrone bei all diesem täte?, wollte Florence wissen; was genau? Wie sich das abspiele? Wie es eingerichtet sei? Wie die Matrone es einfädle und abwickle, mit welchen Gaben, welcher Kunst, welcher Berechtigung? Lizzie lachte. Sie konnte den Mädchen nicht helfen. Vielleicht klopfte der tote Gatte, einmal gerufen, bis heute, woher sollte Lizzie das wissen, Mrs. Cook hatte es nicht erzählt. Das Gespräch sei schnell beendet gewesen, kürzte das Hausmädchen die Sache ab, und dann versuchte sie Selina zu trösten, die sich in eine allgemeine Weltfurcht hineingesteigert hatte und sich in einem ganz desolaten Zustand befand.
Florence Cook war nicht klüger als zuvor. Sie schlief schlecht. Am nächsten Morgen war sie gesund und blieb es.
III
Am 5. Dezember 1870 lief das Panzerschiff HMS Urgent aus dem Hafen von Portsmouth aus, besetzt mit Wissenschaftlern, die nach Oran in Algerien reisten, um dort die totale Sonnenfinsternis zu studieren. Geleitet wurde die Expedition von Mr. Huggins, einem Privatmann aus dem Brauereigewerbe, der sich als astronomischer Spektroskopist einen Namen gemacht hatte. Mit von der Partie waren der Physiker und Alpinist John Tyndall, Mr. Gladstone vom Observatorium in Greenwich, Reverend Howlett, der geschickt mit dem Zeichenstift war, der Instrumentenmacher Ladd, eine Gruppe junger Studenten aus Oxford, die ein wertvolles Polariskop bewachten, sowie William Crookes, der zwar zu Recht als Virtuose der chemischen Spektrographie galt, von Sonnenstrahlen indes eher wenig verstand; er berichtete für die Times und das Echo.
Crookes trat die Reise mit gemischten Gefühlen an: Seit Philips Tod graute ihn, unter anderem, vor Schiffen. Eine Ahnung von Seekrankheit und ein leichter Schwindel hatten ihn befallen, noch bevor er einen Fuß auf die Urgent gesetzt hatte, und nun, an Bord, stellte er fest, dass er einen Großteil seiner Papiere zuhause vergessen und stattdessen allerlei Nutzloses eingepackt hatte: eine Vakuumröhre, Unmengen Magnesiumdraht, den Faraday’schen Indikator aus Newmans Laden in der Regent Street, zwei Feze und genügend Zigarren, um drei Monate damit zu überdauern. Er würde die Hilfe von Professor Tyndall und Mr. Huggins in Anspruch nehmen müssen, um sich auf der Überfahrt genügend Wissen über Eklipsen anzueignen; das gefiel ihm nicht. Auch seine Kajüte gefiel ihm nicht. Dichter Nebel hing über Portsmouth. Crookes löste Seidlitzpulver in Wasser und nahm es mit Chlorodyne.
Daheim in London las Mrs. Crookes den Daily Telegraph. Hier wurde über die Expedition ausführlich und poetisch berichtet. »Um eine Corona zu erobern«, las sie, »lohnen sich, ganz wie für eine Krone, die größten Strapazen. Und sollte uns Neptun noch grollen, weil wir mit Telegraphenkabeln seine Fluten und Gestade entweihten, so bitten wir ihn um Gnade für unsere wackeren Händler himmlischer Herrlichkeit, unsere Strahlenjäger und Fischer des Lichts, deren einziger Lohn das Gold der Sonne und das Silber makrokosmischer Schönheit ist. Kein ›Narrenschiff‹ ist dies, wie die Deutschen sagen, sondern ein ›Schiff der Philosophen‹; und wäre Horaz mit an Bord, er würde eine Ode verfassen, sic te diva potens Cypri …«
Nelly Crookes ließ die Zeitung sinken. Das Schiff war wohl eben erst ausgelaufen. Nichts wusste der Leitartikler über das Schicksal der Expedition.
Mrs. Crookes trug schon wieder Trauer, diesmal für eine Tante, und erwartete in großer Bälde ihr achtes Kind. Sie seufzte, stieß auf, seufzte noch einmal und nippte an ihrem Likör. Eine Schwangere in Trauer, fand Mrs. Crookes, war ein trauriger Anblick. Wieder einmal fiel ihr ein, dass sie ihren jungen Schwager nie hatte leiden können, Philip mit seinen roten Wangen und seinem leicht verschwitzten Haar, den ›kleinen Philip‹, wie er in der Familie hieß, mit seinem Gerede von Guttapercha und Pferderennen. Und die Tante hatte sie auch nicht gemocht. Mrs. Crookes sank tiefer ins Sofa, ein Privileg der werdenden Mütter, und hörte matt und ein wenig weinerlich dem hellen Summen zu, das von Ferne aus der Kinderstube zu ihr drang; keine Wand, kein Treppenhaus vermochte es ganz zu verschlucken. Wenigstens erforderten Tanten kein Krepp, dachte Mrs. Crookes, und konnten in Seide betrauert werden. Doch dann käme der nächste Tod. Und das nächste Kind. Es gab ein blaues Kleid in ihrem Schrank, das sie seit Jahren gerne getragen hätte. Nun war es längst aus der Mode und sie immer noch schwanger und immer noch schwarz. Was für ein Trauerspiel.
William Crookes war 38 Jahre alt und noch immer Herausgeber der Chemical News. Eine magnetische Spaltung der Streifen im Flammenspektrum war ihm noch immer nicht geglückt und er wusste noch immer nicht, warum sie ihm so sehr am Herzen lag. Seit Philips und Faradays Tod hatten Ärgerlichkeiten ihn heimgesucht, lauter kleine Rückschläge und Missgeschicke, die er zunehmend schlechter verdaute. Der Royal Society hatte sein binokulares Spektrum-Mikroskop nicht gefallen. Die Ärztekammer hatte seinen Entwurf zur verbesserten experimentellen Ausbildung von Medizinstudenten zuerst verspätet und knapp beantwortet und dann nicht umgesetzt. Das lukrativste Projekt, eine Verbesserung des Natriumamalgamverfahrens zur Extraktion von Edelmetallen, stockte seit Jahren, verschmutzte das Hauslaboratorium und hinterließ auf Crookes’ Zahnfleisch unansehnliche blassgraue Quecksilberflecken. Seine Gesundheit war angegriffen. Er litt unter bösen Träumen und zuweilen auch unter Lücken im Intellekt. Größer und größer, grauer und grauer wurde der Gelehrtenbart in seinem Gesicht. Zagheit hatte sich in seine Leidenschaft für die Wissenschaft eingeschlichen, sein guter Humor war verkrampft und dieser Bart, fand Crookes, als er neben dem Waschtisch in seiner Kajüte vor dem Spiegel stand, wuchs hemmungslos wohin auch immer er wollte, in beliebigen schwächlichen Büscheln.
Draußen zog die Isle of Wight vorüber, die man wegen des Nebels nicht sah. Ein lebhaftes Schiff, hatte der Kapitän gesagt; Crookes wurde übel, sobald er nur daran dachte. Er zog sich um fürs Souper. Die Urgent lag ruhig und doch schienen Wände und Boden zu schwanken, Crookes brauchte drei Anläufe, um seine Krawatte zu binden, und selbst dann saß der Knoten noch schief. Eine gewisse Beruhigung fand er nur darin, dass auch Mr. Huggins und Mr. Gladstone, ja selbst der Alpinist Tyndall und die meisten jungen Studenten das Nachtmahl nur in kleinen Bissen und unter sichtbaren Qualen verspeisten.
Man sprach über die Höhe der Chromosphäre, die bei verfinsterter Sonne wohl gut zu vermessen sei, über die Sauerstofflinien im Spektrum der Corona, die vielleicht von vielen anderen interessanten Linien gestört würden, über Mr. Ladd, der zu Bett lag und sich zuvor lange und lautstark übergeben hatte, über türkische Bäder, über vermutete Frauen in solchen, über die Schönheit der englischen Seefahrt und über den Spiritismus; ohne dieses Thema kam derzeit kaum eine Gelehrtenrunde aus. Während Gladstone noch über badende Orientalinnen spekulierte, war Huggins schon längst dort gelandet. Ein Medium seiner Bekanntschaft, so Huggins, sprühe Funken wie eine Leidener Flasche, sobald es in Trance fiele, und dies beweise unzweifelhaft, dass es sich bei den sogenannten spiritistischen Kräften schlicht um Elektrisches handle.
»Elektrisch«, sagte Professor Tyndall. »So einfach ist das nicht.«
Gladstone, der länger schon auf einem Stück Braten kaute und von den Frauen gerade nicht lassen mochte, erlaubte sich einen Scherz über das funkensprühende Medium, der nicht ganz hasenrein war, was Huggins ärgerte und Reverend Howlett aus einem schwindligen Dösen weckte. William Crookes, in etwas sinnloser Stimmung, trat leicht gegen ein Tischbein, das im Boden der Messe verschraubt war, und wies darauf hin, dass Tischdrehen, Tischklopfen, Tischrücken und ähnliche Experimente auf dem Ozean wohl durchaus erschwert seien; um hier etwas auszurichten, müssten die Geister an Werkzeugen geschult oder stark wie die Bären sein.
»Geister? So einfach ist das nicht«, sagte Professor Tyndall.
»Die Winterstürme in der Biskaya …«, begann der Kapitän der Urgent, der gerne das Thema gewechselt hätte.
»Halluzinationen, Mesmerismus oder Reichenbach-Kraft«, warf einer der Studenten ein.
Crookes merkte, wie sein Hals zu schwellen begann. Dies geschah ihm in letzter Zeit öfter. Er wusste nicht, ob es Zorn war oder ein inneres, ängstliches Abdrücken der Luft. Er schätzte den Spiritismus nicht sehr. Nur wenig hatte er bislang darin dilettiert, kaum drei-, viermal selbst gesessen. Doch in Gelehrtenkreisen war ihm nicht zu entkommen.