übersinnliche Begabung zu besitzen. So verhält es sich zum Beispiel mit all jenen Menschen, die sich ganz stark auf die Erfüllung eines bestimmten Wunsches konzentrieren und dafür bereit sind, Rituale – welcher Art auch immer – zu vollführen, um dieses Ziel zu erreichen. Dafür ist man jederzeit bereit, auf die ältesten und sinnlos scheinenden Bräuche zurückzugreifen, die seit Beginn der Menschheit existieren. Nicht einmal die Mitglieder der europäischen Herrscherhäuser haben davor zurückgeschreckt, sich ihrer im Bedarfsfall zu bedienen. Als ein Beispiel von vielen kann der Besuch einer heidnischen Kultstätte herangezogen werden, die eines Tages auch die damalige Königin von Frankreich aufgesucht zu haben scheint. Warum sie das tat und was sie sich davon erwartete, wird in den folgenden Zeilen erklärt: »In der Umgebung von Verdun setzen sich die kinderlosen Frauen auf einen Felsen, der die Umrisse einer sitzenden Frau aufweist und in der Gegend der ›Stuhl der heiligen Lucie‹ genannt wird. Sie sind überzeugt, daß dadurch ihre Kinderlosigkeit behoben wird, und es heißt, daß Anna von Österreich*) vor der Geburt Ludwigs XIV. ebenfalls hier gesessen sei.« (Flammarion, S. 31)
Unter den Mitgliedern der österreichischen Kaiserfamilie, die im 19. Jahrhundert lebten, galt Kaiserin Elisabeth als besonders abergläubisch. Um das sogenannte »Böse« von sich abzuwehren, trug sie stets eine Menge Glücksbringer und Amulette mit sich. Ein Leben lang wich sie den Blicken der (nach Volksglauben) unheilbringenden Raben aus und vermied aus Angst vor Spuk und Erscheinungen Gänge in der Dunkelheit. Hauptsächlich scheint eine außerordentlich rege Phantasie Schuld an ihrer Furchtsamkeit getragen zu haben. Ein anderer Grund, warum paranormale Phänomene damals ständig präsent waren, lag am herrschenden Zeitgeist. Denn zu Elisabeths Lebzeiten war es geradezu »Mode« geworden, mit der außersinnlichen Welt in Kontakt zu treten. Da auch sie »chic« sein wollte, nahm sie – wie übrigens etliche Mitglieder der kaiserlichen Familie – an spiritistischen Zirkeln teil. Neben all diesen Einflüssen von außen war sich die Kaiserin zudem ganz sicher, eine übersinnliche Begabung zu besitzen. Vor allem meinte sie, jederzeit mit Verstorbenen in Kontakt treten und sich mit ihnen austauschen zu können. Welche Erlebnisse sie dabei hatte und wieviel Erfolg ihr beschieden war, ist auf den Seiten 96 ff. nachzulesen. Wie seine Mutter und etliche andere Habsburger hat auch Kronprinz Rudolf an »mediumistischen Séancen« teilgenommen. Noch intensiver hat sich seine einzige Tochter Elisabeth, spätere Prinzessin Windisch-Graetz, mit der außersinnlichen Welt auseinandergesetzt. Sie hat gemeinsam mit einem der bedeutendsten Wissenschaftler ihrer Zeit Poltergeist-Erscheinungen untersucht und mit ihm parapsychologische Experimente geleitet.
Wenn man von den Habsburgern und paranormalen Phänomenen spricht, darf man die zahlreichen Prophezeiungen nicht vergessen, die – bei Nostradamus begonnen und bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs reichend – niedergeschrieben wurden und später auch tatsächlich eingetroffen sind. Selbstverständlich haben Weissagungen, Spuk und Erscheinungen mit dem Niedergang der Monarchie aber nicht ihr Ende genommen. Vielmehr geistert und poltert es noch immer heftig in den meisten ehemaligen habsburgischen Palästen: Allerdings sind die Betroffenen heute nicht mehr die Mitglieder der kaiserlichen Familie, sondern eine völlig andere Menschengruppe – die Bewohner und Beamten der verstaatlichten Schlösser. Die meisten Vorfälle wurden und werden bis in unsere Zeit aus der Hofburg gemeldet, doch auch das viel jüngere Schloß Schönbrunn und einige andere Häuser, die sich noch in Familienbesitz befinden, blieben nicht vom Spuk verschont. So habe ich im Zuge meiner Beschäftigung mit der Kulturgeschichte der österreichischen Kaiserfamilie von deren Nachkommen mehrmals gehört, daß auch andere Villen, Land- und Forsthäuser sowie Wirtschaftsgebäude von Erscheinungen heimgesucht wurden. Ich brauche sicherlich nicht zu betonen, daß ich solchen Geschichten immer sehr aufmerksam lauschte. Denn die Thematik des Übersinnlichen hat mich schon immer sehr interessiert. Außerdem konnte ich mir gut vorstellen, daß es eine Menge daran interessierter Leser gäbe. Jedoch hatte ich mir strikt vorgenommen, niemals darüber zu schreiben. Und das obwohl sich mir das Thema immer wieder – und besonders in letzter Zeit – immer stärker »näherte«.
Zu Kaiserin Elisabeths Lebzeiten war es geradezu »Mode« geworden, mit der außersinnlichen Welt in Kontakt zu treten. Da auch sie »chic« sein wollte, nahm sie – wie etliche Mitglieder der kaiserlichen Familie – an spiritistischen Zirkeln teil.
Zum ersten Mal hatte man mir in den frühen 90er-Jahren von paranormalen Phänomenen erzählt, als ich begann, Bücher über die Habsburger zu schreiben. Ich erfuhr von den verschiedensten außersinnlichen Wahrnehmungen und Ereignissen, die ich zwar gut in Erinnerung behielt, mir aber niemals notierte, da ich ja auch nicht darüber arbeiten wollte: Denn erstens ist die Parapsychologie ein heikles Thema und zweitens gibt es ohnehin zu viele Menschen, die dieser Wissenschaft gegenüber skeptisch eingestellt sind. Ein anderer Grund, warum ich mich in die Materie nicht allzu sehr vertiefen wollte, bezog sich auf die Bemerkungen von Betroffenen, die mich vor dem zu häufigen – und vor allem vor dem zu saloppen – Umgang mit der außersinnlichen Welt warnten. Ganz besonders wurde mir abgeraten, an Sitzungen und Experimenten mit unbekannten Medien teilzunehmen und Séancen jemals in den eigenen Wohnräumen abzuhalten. Denn allzuoft habe sich schon der sprichwörtlich bekannte Goethe-Satz bewahrheitet, daß man die »Geister, die man rief« nicht mehr los wurde*). Diesen Ratschlag habe ich beherzigt. Mehr noch: Ich habe in der Folge sogar einen Schutzwall um mich aufgebaut und jeden, der mich auf dieses Thema ansprach, mit einer freundlichen Entschuldigung abgewiesen. So auch Peter Mulacz, einen Parapsychologen aus Wien, den ich im vergangenen Sommer kennenlernte. Er erzählte mir von seiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Parapsychologie, einschließlich seiner historischen Forschungen zur Geschichte der Parapsychologie in Österreich. In diesem Zusammenhang interessierte er sich besonders für die Beschäftigung mancher Habsburger – konkret Erzherzog Johann und Kaiserin Elisabeth – mit dem Paranormalen. Zuletzt fragte er mich, ob ich diesbezüglich etwas über die Kaiserin wüßte. Ich bejahte zwar, sagte ihm aber auch, daß ich nicht gerne darüber sprechen wollte. Das hat er rückhaltlos akzeptiert und sich mit einem freundlichen Gruß von mir zurückgezogen.
Kurz nach dieser Begegnung fragten mich die Mitarbeiter meines Verlags, worüber ich im nächsten Jahr schreiben wollte. Da sich von meiner Seite kein Thema besonders aufdrängte, bat ich um Ideen und staunte nicht schlecht, als sich in der Liste der vorgeschlagenen Titel unter anderem »Die Habsburger und das Übersinnliche« befand. Diesen Zufall, zur selben Zeit von zwei verschiedenen Seiten auf dasselbe Thema angesprochen zu werden, faßte ich nun als deutliche »Aufforderung von drüben« auf, mich endlich schriftlich mit dieser Materie zu befassen. Da ich aber – wie früher erwähnt – niemals Notizen über die mir berichteten Phänomene oder Erscheinungen gemacht hatte, befand ich mich nun in der unangenehmen Lage, das vor Jahren Erfahrene aus dem Gedächtnis zurückrufen zu müssen. Das klappte natürlich nur in den wenigsten Fällen, weshalb ich daran ging, meine ›Informanten‹ von früher neuerlich zu kontaktieren. Da in der Zwischenzeit zwei ältere Herrschaften verstorben waren, wandte ich mich an deren Nachkommen und fragte um etwaige Notizen nach. Wirklich war das meiste in schriftlicher Form erhalten. Zuletzt bat ich um die Erlaubnis, das an mich Weitergegebene veröffentlichen zu dürfen. Ich habe sie für alle Geschichten erhalten, wurde aber manchmal gebeten, nicht alle Betroffenen beim Namen zu nennen. Diesem Wunsch bin ich selbstverständlich entgegengekommen.
Idealszenerie zum Thema »Die Habsburger und das Übersinnliche«: Blick von Schloß Schönbrunn auf das nebelige Wien (aufgenommen wenige Tage nach dem Tod Kaiser Franz Josephs im November 1916).
Bevor ich die mir erzählten Erlebnisse weitergebe, möchte ich eine Geschichte voranstellen, die mir vor etlichen Jahren selbst widerfahren ist und die auch mit den Habsburgern in Zusammenhang steht. Sie stammt aus einer Zeit, als ich mich noch lange nicht mit der Kulturgeschichte der österreichischen Kaiserfamilie beschäftigte. Ich war damals Studentin der französischen Literatur- und Kunstgeschichte und hielt mich für ein paar Tage in Paris auf, um an der Bibliothèque St. Geneviève Literatur für meine Dissertation zusammenzutragen. Wenn Zeit blieb, besichtigte