Martin M. Lintner

Von Humanae vitae bis Amoris laetitia


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      1. Humanae vitae – ein Wendepunkt nicht nur im Pontifikat von Paul VI.

      Humanae vitae ist die siebte Enzyklika von Papst Paul VI., veröffentlicht im sechsten Jahr seines Pontifikates. Sie wird auch die letzte bleiben: In den verbleibenden zehn Jahren seiner Amtszeit wird er nicht mehr auf diese feierliche und autoritative Form von päpstlichen Lehrschreiben zurückgreifen, um der Lehre der Kirche und seinen Anliegen Gehör zu verschaffen. Auch wenn sich der Papst klar darüber war, „wie hart und bitter“ sein Lehrschreiben viele Eheleute treffen würde und „welche schwerwiegenden Folgen“ es haben werde9, war er von der Heftigkeit der folgenden Diskussionen persönlich getroffen, vor allem auch von der Kritik aus den Kreisen der Bischöfe. Darüber, mit welch harscher, vielfach auch bissiger Kritik sein Lehrschreiben bedacht worden ist, war er enttäuscht, ja auch verbittert. Zwar hat er im Begleitschreiben an die Bischöfe, verfasst vom damaligen Staatssekretär Kardinal Amleto Giovanni Cicognani, sowie in der Enzyklika selbst10 alle Bischöfe aufgerufen, sich mit den Lehraussagen der Enzyklika auseinanderzusetzen und sich für die Verkündigung ihrer Lehre einzusetzen. Allerdings wird er von der Art überrascht gewesen sein, wie insgesamt 34 Bischofskonferenzen weltweit bzw. von nationalen Bischofskonferenzen beauftragte Kommissionen11 diesen Aufruf wahrgenommen haben: Auch wenn die grundsätzliche Übereinstimmung der Bischofskonferenzen mit der vom Papst vorgetragenen Lehre nicht zu übersehen ist, fanden doch deutliche Akzentverschiebungen statt, z. B. „bei der Darstellung des Verhältnisses zwischen Gewissen und Autorität oder bei der Frage nach der objektiven und subjektiven Sündhaftigkeit der Empfängnisverhütung“12. Von der Öffentlichkeit sind viele dieser Stellungnahmen nicht nur als Kritik an, sondern als Dissens mit, ja sogar als Widerspruch gegen die Lehre der Enzyklika wahrgenommen und interpretiert worden. Der Papst selbst habe vorausgesehen, dass seine Entscheidung in der Frage der Geburtenkontrolle nicht von allen angenommen werde, wie Ferdinando Lambruschini, damals Professor für Moraltheologie an der Lateranuniversität, bei der offiziellen Präsentation der Enzyklika am 29. Juli 1968 berichtete, bei der er übrigens auch betonte, dass die Enzyklika dem sog. „authentischen Lehramt“ angehöre und deshalb hinsichtlich der verpflichtenden Kraft „keine unfehlbare Aussage“ darstelle, auch wenn ihr die Gläubigen volle Loyalität und innere, nicht nur äußerliche Zustimmung schulden.13 Weder vor noch nach Humanae vitae hat es ein weiteres päpstliches Lehrschreiben gegeben, das in der gesamten Weltöffentlichkeit ein derart großes Echo gefunden hat und zugleich so umstritten war. Dabei bleibt die Feststellung gültig: „Die Auseinandersetzungen sind umso schwerwiegender, als sie von Anfang an nicht allein um den Inhalt der Enzyklika kreisten, sondern sich auf andere Wesensfragen der Kirche ausdehnten: auf die Frage nach der Lehrautorität des Papstes, nach der Verbindlichkeit päpstlicher Äußerungen, nach dem Verhältnis Papst – Bischofskollegium, nach dem Gehorsam gegenüber dem Lehramt, nach der Freiheit des Gewissens – mehr noch: Im Grunde wird nach dem Selbstverständnis von Papst, Hierarchie und Gesamtkirche gefragt.“14 Der folgende Beitrag setzt sich jedoch nicht mit der Wirkungsgeschichte von Humanae vitae auseinander15, sondern mit ihrem Entstehen und will einen historisch-genealogischen Zugang zur Enzyklika eröffnen16. Eine historische Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte von Humanae vitae ist bedeutsam, damit dieses Lehrschreiben in einen weiteren Kontext eingeordnet und von ihm her verstanden werden kann.

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