Sarah Michaela Orlovský

ich


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bin ich nur Platzhalter.

      Ganz ehrlich: Lieber sitze ich allein im Keller und starre die Decke an.

      Keine von uns würde es zugeben. Aber in dem Moment, in dem Papa zur Tür hereinkommt, nachdem wir ihm zugesehen haben, wie er aus dem Auto steigt, wie er seinen Rollkoffer aus dem Kofferraum hebt, nachdem wir zur Haustür gegangen sind, betont langsam, das Willkommen-daheim-Lächeln auf dem Gesicht ausgebreitet, in dem Moment, wo Papa also endlich da ist, aber noch bevor er die Schuhe aufgemacht hat – in diesem Moment geht es nur um eines: Wen von uns beiden er zuerst umarmt.

      Heute bin ich erst aus dem Keller gekommen, als ich schon das Brummen der Kaffeemaschine gehört habe. Wer so verzweifelt ist, dass er zwei Mal putzen muss, der hat’s wohl bitter nötig. Und ich bin kein Unmensch.

      Beim Abendessen hat Papa von seinem Flug erzählt. Von diesem spanischen Minister, der so große Flugangst hat, dass er drei doppelte Schnäpse kippen muss, bevor Papa überhaupt den Motor anlassen darf. Mama und ich haben zugehört, gelacht, Fragen gestellt. Kommunikation Mama-Papa, Nono-Papa. Schweigen Mama-Nono. Alles wie immer. Alles in bester Ordnung. Doch dann kommt die Rede auf diese Flugbegleiterin in Papas Team, die Nette, mit dem Wuschelkopf.

      „Im September kommt sie zurück“, erzählt Papa. „Da geht ihr Mann in Karenz.“

      „Ein Jahr vergeht so schnell“, meint Mama.

      Und plötzlich schauen sie sich ganz komisch an. Und Papa nimmt Mamas Hand. Und Mama nickt. Und dann lassen sie die Bombe platzen:

      „Nono“, sagt Papa. „Du bekommst ein Geschwisterchen.“

      Ich hab zuerst nicht kapiert, was er meint. Ja, ich weiß, die Wörter an sich sind jetzt nicht so kompliziert, aber – HÄ?!

      Mama, ganz säuselig: „Ich bin schwanger.“

      Und dann steht sie tatsächlich auf, geht ins Badezimmer und kommt mit diesem Ding zurück, das aussieht wie eine Füllfeder oder ein Skalpell. Nur dass es natürlich kein Skalpell ist. Es ist ein SCHWANGERSCHAFTSTEST. So einer, auf den man PINKELN muss. Und sie legt ihn auf den ESSTISCH, damit ich die zwei STREIFEN sehen kann!!! WIE GRAUSIG KANN MAN SEIN? HALLO?????!!!!! So etwas gehört in den MÜLL!!!!!

      Sie ist im VIERTEN Monat.

      Trommelwirbel,

      Rosenregen,

      Schnurrbartzwirbel,

      Kindersegen.

      Noch einmal für den Taschenrechner: vierter Monat.

      Das heißt, sie wissen es schon drei Monate lang. Na ja, mindestens zwei. Und NIEMAND hat mir etwas gesagt. KEIN WORT. Sie wollten „auf Nummer sicher gehen“.

      Damit ich „nicht enttäuscht bin“, falls es „doch nichts wird“.

      Noch mal: HÄ?!

      Es wundert mich ja nicht, dass Mama nichts gesagt hat. Aber Papa war in dieser Zeit schon mindestens zwei Mal zu Hause. Jedes Mal für zwei ganze Woche. Und er hat nicht ein Mal den Mund aufgekriegt. Nicht ein einziges Mal!

      Dafür redet er jetzt plötzlich wie ein Wasserfall. Dass sie sich so freuen. Dass das so schön ist, „wieder was Kleines daheim zu haben“. Dass ich mich sicher auch freue. Dass er so froh ist, dass ich schon so „groß und vernünftig“ bin, dass ich Mama unterstützen kann, wenn er nicht da ist … Ich war kurz davor, Verli anzurufen, in Amerika, koste es, was es wolle. Aber dann würde sich Verli Zeit nehmen und das Thema mit mir durchdiskutieren und sich ständig melden, wie es mir geht … das lasse ich schön bleiben. So viel Platz kriegt Mamas Bauch nicht in meinem Leben. Verli gehört mir. Ich brauche eine Insel. #for.me.only. Und Verli wird es noch früh genug erfahren.

      Immerhin kriegen meine Eltern ein Ersatz-Kind. Ein liebes, süßes, kleines Gugugaga-Baby. Und ich bin draußen.

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       Schwester sein

      Ich hab noch einmal nachgedacht.

      Fakt #1 Was da in Mamas Bauch schwimmt, ist mein Bruder oder meine Schwester.

      Fakt #2 Wir werden so ziemlich das gleiche Leben haben. Wir werden gemeinsam warten, zwei Wochen lang, dass Papa endlich wieder nach Hause kommt. Dann werden wir zwei Wochen lang genießen, dass wir eine richtige Familie sind. Und dann geht das Spiel von vorne los. Nur, dass ich irgendwann ausziehe (= so bald wie möglich). Und dann ist das Baby allein mit Mama (= wie ich jetzt = wenig wünschenswert).

      Es kann ja gut sein, dass Mama das Baby lieber hat als mich. Dass die beiden einen besonderen Draht zueinander haben werden. So wie ich und Papa, oder zumindest so, dass man sich nicht beim Frühstück schon auf den Zeiger geht, nur weil man unterschiedliche Auffassungen darüber hat, ob Butter unter die Nutella ein Verbrechen am Gesundheitssystem ist oder ob Nutella ohne Butter drunter Kalorien ohne Geschmack sind. Kann sein, dass Mama endlich das Kind kriegt, das sie sich immer gewünscht hat. Ein Spross, der mit ihr die Buchhaltung durchgeht und den perfekten Soundtrack für den Urlaub zusammenstellt und einen Plan macht, was aus dem Hochbeet in welcher Form in welches Einmachglas kommt. Trotzdem: Wir müssen zusammenhalten, das Baby und ich. Von wem soll der/die/das Kleine sonst etwas über die Welt lernen?

      Denn, Fakt #3 Eltern haben doch in Wirklichkeit keinen blassen Schimmer vom richtigen Leben.

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      Okay. Heute Morgen dachte ich noch, das mit dem Baby war die Bombe. Alter Schwede, da hat sich jemand gründlich getäuscht.

      Unser Urlaub, drei Wochen Norwegen, mit dem Wohnwagen? – Gestrichen.

      Der Grund? – Mama.

      Und das sagen sie mir noch so locker, beim Frühstück, als wäre nichts dabei, als hätte ich mich nicht schon wochenlang, monatelang, ein Leben lang darauf gefreut.

      Offizielle Begründung: Risikoschwangerschaft. Weil sie schon 35 ist. Als würden wir nicht in einer Zeit leben, in der sechzigjährige Amerikanerinnen in aller Ruhe Achtlinge zur Welt bringen. Ich bin aufgestanden und gegangen. Sonst hätte es Verletzte gegeben. Oder kaputtes Geschirr. Oder beides in Kombination. In der Garderobe bin ich über Papas gepackten Koffer gestolpert. Das hat mich noch wütender gemacht. Papa ist mir hinterher (war einkalkuliert), hat mir die Hand auf die Schulter gelegt, mich massiert, so mit zwei Fingern – da bin ich explodiert. Nein, implodiert. Es hat mich innerlich zerrissen. Zwei Wochen war ich sauer auf Papa, war hart, habe nur das Notwendigste mit ihm geredet, seinen treuherzigen Dackel-, nein, Cockerspaniel-, nein, haha, Cockpitspanielblick ausgehalten, Mamas Bauchgetätschle, den Getreidekaffeegeruch. War im Recht. Wurde belächelt wie ein bockiges Kleinkind. Und ganz plötzlich erzählt Papas Hand, dass es ihm leidtut, und binnen einer Sekunde läuft das Fass über und schwemmt mich weg und ein Tsunami verschluckt mich, ausgerechnet eine Stunde, bevor Papa sich wieder auf den Weg macht. Und ich treibe ganz alleine zwischen den Trümmern meines Sommers.

       Mitbringsel

      Auf dem Regalbrett über meinem Bett steht mein Weltenbummlerschatz. Da ist zum Beispiel Boris, der kleine hölzerne Bär mit dem grün-weiß gestreiften Pulli und der Anstecknadel am Rücken (Moskau). Daneben hockt der Stoffelefant im wilden Batik-Look (Kuala Lumpur). Da ist der hölzerne Füller, für den man ein richtiges Tintenfass braucht (Barcelona), die Mini-Kaffeetasse mit dem Lorbeerkranz drauf (Rom) und natürlich der funkelnde Eiffelturm, der im Dunkeln leuchtet (guess where from).

      Wo