Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?


Скачать книгу

und Wohnungsnot spielten dabei eine zentrale Rolle.

      Die Ausbreitung und Radikalisierung des Antisemitismus in den ersten Jahren unmittelbar nach dem Krieg sind oft beschrieben worden. Es war ein Mikromilieu eigener Art, zunächst vor allem im Umfeld der radikalen Rechten einschließlich der DNVP, von der sich 1922 ein radikaler, dezidiert antisemitischer Flügel, die Deutschvölkische Freiheitspartei, abspaltete. Auf diesem völkischen Flügel tummelten sich viele Organisationen, nach der Revolution zunächst am bedeutsamsten der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund. Die frühen Auseinandersetzungen 1919/20 zeigen aber zugleich, wie diffus die Frontlinien verliefen, wenn es um das Thema »Korruption« ging, bei dem sich Positionen von Völkischen, sozialdemokratischen Renegaten wie Sonnenfeld und Davidsohn sowie von Mitgliedern der Demokratischen Partei überschnitten. 1925 spielte dann die KPD die Klaviaturen populärer Ressentiments, allen voran Karl Radek und mit ihm die sogenannten »Ultraradikalen«, die auch Erinnerungen an den Krieg wachhielten. Sie alle appellierten an Stereotype, in deren Mittelpunkt »Wucherer«, »Schieber«, »Kriegs«- und dann auch »Inflationsgewinnler« standen. Für die Linke waren das die Blüten des Kriegskapitalismus.121 Im Umfeld der Konservativen findet man einen ungezügelten Hass auf Institutionen der Kriegswirtschaft, die mit »den Juden« in Verbindung gebracht wurden: Die Zeitschrift für Nahrungsmittel sprach im Oktober 1919 vom »bolschewistische[n] Reichsmakler Barmat«, dem man unterstellte, »wohl ähnlich Braunstein-Trotzki [gemeint war Leo Trotzki – MHG] seinen Namen umgeschnitten« zu haben; dabei wurden Vergleiche mit der Ballin’schen Z.E.G. (Zentrale Einkaufsgenossenschaft unter Führung des als Juden diffamierten Reeders Albert Ballin) hergestellt, deren »werktätige Meister und Geister in die der neuen Reichseinfuhrstellen verwandelt werden mußten, als die Z.E.G.-Skandale zum Himmel stanken«.122

      Wie kein anderer traktierte der weit über Stuttgart hinaus bekannte Alfred Roth das Thema »Kriegswirtschaft und Juden«. Seine 1925 auf Grundlage früherer Publikationen mit heißer Nadel gestrickte Flugschrift Von Rathenau zu Barmat aus dem Jahr 1925 ist dafür ein gutes Beispiel (siehe Abb. 3, S. 83): Der als Jude stigmatisierte Walther Rathenau wird als Begründer der deutschen Kriegswirtschaft, die angeblich jüdischen wirtschaftlichen Interessen diente, dargestellt; Julius Barmat und andere Personen jüdischer Konfession erscheinen als Rathenaus wahre Erben. Roth zog alle Register der antisemitischen Agitation, wie sie im Umfeld des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes Konjunktur hatten. Demnach waren die Juden an allem schuld: dem »feigen« Kriegsende und Friedensschluss, der Teuerung und der Kriegszwangswirtschaft, Hunger, Not und Elend. Das waren die Themen von Flugblättern und Handzetteln, in denen eine »Ostjudenplage« beschworen wurde.123

image

      Abb. 3 Das Krokodil als ikonografisches Symbol für Betrug und Täuschung

       Titelbild der Flugschrift von Otto Armin [Alfred Roth], Von Rathenau zu Barmat, Stuttgart 1925

      Repro: Hauptstaatsarchiv Stuttgart

      Solche Geschichten griff später auch der unter dem Pseudonym Gottfried Zarnow publizierende Moritz Ewald in seinem Bestseller Gefesselte Justiz (1931) auf: In Schwanenwerder, am Tisch des »sy-baritischen Nabos«, begann demnach eine große Verschwörung; diesen Ort erkoren sich »Parvus-Helphand und Barmat […], erfolgreichste Nutznießer der demokratischen Politik […], um ihre großmächtigen Gönner zu empfangen und sie vor den zudringlichen Blicken des hungernden Volkes zu verbergen«.127 Dass sich, wie wir noch sehen werden, dieser Radikale den Sozialdemokraten zugerechnet hatte, so wie viele Völkische zuvor (national-)liberalen Parteien, verweist auf die diffuse politische Stimmung nach dem Krieg. Welche politische Richtung genau dieser Radikalismus nehmen würde, war offen; die Grundlagen sind aber deutlich zu erkennen.

      Kapitel 2

      Grenzgänger des Kapitalismus in der Zeit von Hyperinflation und Währungsstabilisierung 1923/24