Diana Richardson

Zeit für Männlichkeit


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im System herbeiführt. Was schade ist.

      Was kannst du also tun?

      Das Grundproblem ist nicht die Erregung als solche. Es liegt vielmehr in unseren sexuellen Zielen begründet und darin, wie wir mit der Erregung umgehen. Meist gehen wir mit einer Absicht an den Geschlechtsakt heran. Wir stimulieren in voller Absicht die Körper und die Geschlechtsteile und erhöhen den Grad der Intensität solange, bis es zum Höhepunkt – zum Überlaufen – kommt. Diese Taktik erzeugt grundsätzlich sehr viel Hitze – gewöhnlich mehr als ein Mann beherrschen kann. Also kocht er über, entlädt seine Lebenskraft.

       Sexuelle Fantasie zur Verstärkung der Erregung

      Sexuelle Fantasien gelten als wesentlicher Bestandteil der Sexualität, da sie die Erregung verstärken; solche Fantasien sind beim konventionellen Sex tatsächlich hilfreich. Doch dann spielt sich der Sex in unserem Kopf ab – und nicht in unserem Körper. Wir „benutzen“ unsere Körper lediglich. Doch begreifen wir unseren Körper wirklich? Und begreifen wir, wozu er ursprünglich bestimmt ist? Fantasien sind ein unmittelbares Produkt der Vorstellungskraft unseres Verstandes. Und wir zwingen unseren Körper dazu, diesen Forderungen unseres Verstandes nachzukommen und sie zu erfüllen. Und der Verstand ist unersättlich.

      Eine Freundin erzählte uns, dass sie über Monate eine Verletzung im unteren Rückgrat hatte, die Taubheit und mangelnde Empfindsamkeit in ihren Genitalien bewirkte.

      Sie konnte „dort unten“ gar nichts mehr fühlen. Dennoch hatte sie in dieser Zeit den extrem starken Wunsch nach Sex. Sie musste schließlich erkennen, dass der Ursprung dieses Wunsches ihr Verstand war – und nicht ihr Körper. Unser Verstand hat wirklich sehr große Macht.

      Doch es hat Konsequenzen, wenn wir unsere Fantasien als sexuelle Strategie einsetzen. Fantasien lösen meistens starke Erregung aus, und die bewirkt die vorzeitige Ejakulation. Diese drei Dinge hängen untrennbar zusammen. Fantasien verstärken die Stimulation und die Stufen der Erregung. Das gleiche gilt für alle möglichen sexuellen Hilfsmittel, die heutzutage benutzt werden. Das wiederum führt zu chronischer vorzeitiger Ejakulation. Und das beeinträchtigt Männer und Frauen gleichermaßen – wenn auch in unterschiedlicher Weise.

      Viele Menschen brauchen heute eine Menge Fantasien und Erregung, um überhaupt sexuell zu reagieren und einen Orgasmus zu erreichen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die pornografische Filmindustrie ein viel größerer Zweig ist als die konventionelle Filmindustrie.

      Eine Fantasie ist eine Situation, die du dir vorstellst. Sie steht – bildlich gesprochen – zwischen dir und dem anderen. Du bist mit dem anderen Menschen nicht wirklich innerlich verbunden und du teilst nicht wirklich eine gemeinsame Erfahrung mit ihm. Du bist abwesend – und nicht anwesend. Du bist nicht präsent.

      Fantasien haben dieselben Folgen wie das Ziel Orgasmus: du bist dir selbst ein Stück voraus oder du bist aus dir selbst hinausgegangen. So oder so: deine Fantasie ist im Zentrum deiner Aufmerksamkeit – und nicht das gemeinsame Erleben mit dem anderen Menschen. Dein Verstand ist der Schauplatz des Geschehens – und nicht die Begegnung mit dem anderen Menschen. Der Verstand will den Orgasmus und erschafft die Fantasie, um diesen Wunsch zu befriedigen.

       Wie wir beim Sex „cool“ bleiben

      Wenn wir keinen schnellen und kurzen Sex mehr wollen, ist es hilfreich, folgendes Sprichwort zu beherzigen: „Ein wenig ist gut, doch mehr ist nicht besser.“ Das heißt: Ein bisschen Erregung ist gut, doch mehr Erregung ist nicht besser. Vielleicht bringt sie mehr Lust und mehr Intensität. Doch wenn wir erfüllenderen Sex wollen, ist es hilfreich, unsere Verhaltensmuster und deren Folgen zu erkennen. Wenn wir den Geschlechtsakt abkühlen, können wir einen längeren Austausch erleben. Ein bisschen Erregung ist herrlich. Daran ist nichts falsch, doch dann ist es hilfreich sich zu entspannen und es ruhig anzugehen.

      Während eines unserer Seminare erzählte uns ein Mann, dass er dreißig Jahre lang ein Problem mit vorzeitiger Ejakulation gehabt hatte. Es war über Nacht verschwunden. Der Schlüssel dazu war: er erregte sich weniger und blieb damit einfach im „kühleren“ Bereich.

       Viele Reize vermindern die Empfindsamkeit

      Es ist eine bemerkenswerte Begleiterscheinung von übermäßiger Stimulation, dass der Penis seine Sensibilität verliert. Je mehr Reizen er ausgesetzt ist, desto weniger empfindsam wird er. Das Gleiche gilt für die Vagina.

      Das ständige Reiben des Penis in der Vagina (oder in der Hand beim Masturbieren) desensibilisiert den Penis. Und es wirkt sich auch auf die Vagina negativ aus. Die wiederholten Rein- und Rausbewegungen erzeugen Reibung zwischen den Geweben. Dadurch entsteht „Hitze“, und es kommt zu einer „Aufladung“.

      Nach dem Sex bleibt ein Rest von Spannung im Körper. Diese sammelt sich nach und nach im Penis an. Irgendwann ist er völlig „überladen“ und wird immer empfindungsärmer.

      Er nimmt nicht mehr richtig wahr, was um ihn herum vorgeht. Ziemlich oft fühlt sich der Penis bei Berührung unnatürlich dicht, hart oder „metallisch“ an. Diese Härte spiegelt die Spannungen wider, die sich im Gewebe des Penis angesammelt haben. Seine Empfindsamkeit verringert sich. Und so verliert der Mann die Fähigkeit, die Kompetenz und die Kraft, sich in das Gewebe seines Penis hinein zu fühlen. Das alles geschieht schleichend und kaum wahrnehmbar. Das bedeutet: es ist für den Mann dann schwierig oder unmöglich, mit seinem Bewusstsein in seinem ganzen Penis anwesend zu sein – von der Wurzel bis ganz hinauf in die strahlende Spitze. Ursprünglich ist der Penis ein schlangenartiges, geschmeidiges und biegsames „Geschöpf“. Es ist in der Lage, sich innerhalb der Vagina hinauf und hinab zu winden – tatsächlich wie eine Schlange!

      Ein Wissenschaftler, der vor einigen Jahren an unserem Seminar teilnahm, erzählte uns etwas Interessantes: die beiden Wissenschaftler Weber und Fechner wiesen bereits in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts den Verlust der Sensibilität durch intensive Stimulation nach. Im sogenannten Weber-Fechner-Gesetz formulierten sie die Ergebnisse ihrer Versuche mit Menschen – das sollte die Geburtsstunde für Biophysik und Biokybernetik sein. Sie betrachteten einen Reiz von außen im Verhältnis zur Empfindung des Reizes, und sie bewiesen damit Folgendes: Die Veränderung einer Empfindung ist proportional zur relativen Veränderung des Reizes.

      Heute weiß man, dass dies für jede Sinneswahrnehmung gilt. Ein Beispiel dafür ist das Sehen: Wenn man im Dunkeln ein Streichholz anzündet – nachdem man sich an die Dunkelheit gewöhnt hat – wirkt es wie eine Explosion. Wenn man dasselbe im hellen Sonnenlicht tut, ist es kaum wahrnehmbar. Je stärker der Reiz, desto geringer ist die Empfindsamkeit für scheinbar Unbedeutendes. Das bedeutet für uns: statt endlos nach immer neuen Sinneseindrücken und Reizen zu suchen, können wir damit beginnen, unsere Sinne zu schulen. Damit erlangen wir die Fähigkeit wieder, in jedem Augenblick des Tages zu spüren, wie die Lebenskraft in uns fließt.

       Erregung führt zu Erschöpfung

      Wenn Sex „kühl“ und einfach ist, können wir lange Sex haben. Er dauert länger, gewinnt an Tiefe, dehnt sich aus und unsere Anziehungskraft wird größer. Heute haben die Menschen meistens die Vorstellung, dass Sex so ,heiß‘ wie möglich sein sollte. Das bedeutet, dass durch unsere Herangehensweise an Sex die baldige Ejakulation schon garantiert ist. Früher oder später erschöpft sich die Erregung, wir betrachten uns gegenseitig als selbstverständlich und Langeweile kommt auf. Langeweile ist dann ganz „natürlich“ – denn alles, was sich ständig wiederholt, wird zu einer langweiligen Erfahrung. Immer wenn das Neue vorbei ist, entsteht Langeweile. Aufregung oder Erregung wird durch das Unbekannte, durch das Neue in einer Situation ausgelöst. Nach einer Weile ist das Neue dann abgenutzt. Und die anfängliche Anziehung ist in den Flammen der Erregung verbrannt. Paare berichten uns oft, dass sie nach einer Zeit mit heftigem Sex eine Art von körperlicher Abscheu voreinander hatten und dass sie für eine Weile überhaupt nicht mehr an Sex interessiert waren.