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Eine Frau steht ihren Mann
Im kakifarbenen Kampfanzug und voller Matsch sah Private Denis Smith nicht viel anders aus als seine Tausende von kriegsmüden Kameraden. Das jungenhafte Gesicht und die kurzen Haare fielen an der Front kaum auf, und tatsächlich wusste niemand in der 51. Division der Royal Engineers des britischen Expeditionskorps, dass Private Smith ein ganz besonderes Geheimnis hütete. Er war nämlich in Wirklichkeit eine Frau namens Dorothy Lawrence, die an die Front gekommen war, um mit eigenen Augen zu sehen, was dort vor sich ging. Und damit war Lawrence die einzige Frau, die an der Westfront des Ersten Weltkriegs kämpfte.
Dorothys Geschichte beginnt bei Ausbruch des Krieges 1914 in Paris. Sie wollte unbedingt Kriegsreporterin werden, doch man sagte ihr, das sei Männersache und sie habe dort nichts zu suchen. Fest entschlossen, die blutigen Schlachten in Nordfrankreich mit eigenen Augen zu sehen, beschloss sie, sich als Soldat zu verkleiden und allein auf den Weg an die Front zu machen. »Ich will doch mal sehen, was ein einfaches englisches Mädchen ohne Verbindungen und Geld erreichen kann«, schrieb sie.
In Paris freundete sie sich mit zwei Soldaten an, die sie später ihre »Kaki-Komplizen« nennen würde, und bat sie, ihr eine Uniform zu besorgen. Innerhalb einer Woche war Dorothy mit Militärstiefeln, entsprechender Hose, Hosenträgern, Jacke, Hemd und Beinbinden ausgestattet. Blieb nur noch die Frage, wie sie ihre feminine Körperform verbergen sollte. Sie wusste, dass man sie verhaften und augenblicklich nach Hause schicken würde, wenn man herausfand, dass sie eine Frau war.
»Ich wickelte mich eng in meterlange Mullbinden, wie eine Mumie.« Doch ihre weiblichen Kurven wurden dadurch nicht verdeckt, also stopfte sie sich den Rücken mit Watte aus, und schon bald verwandelte sie sich in eine »untersetzte, dickliche Gestalt mit einem etwas kleinen Kopf und einem jungenhaften Gesicht«. Dorothys Komplizen verhalfen ihr außerdem zu den notwendigen Dokumenten, mit deren Hilfe sie bis nach Béthune kam, das direkt an der Front lag.
Aus Angst, noch immer zu weiblich auszusehen, ließ Lawrence sich von einem ihrer Komplizen die Haare abschneiden und das Gesicht rasieren. »Ich hatte«, schrieb sie, »die vergebliche Hoffnung, dass mir dadurch ein paar jungenhafte Bartstoppeln wachsen würden.« Als diese ausblieben, war sie entsprechend enttäuscht. Um ihre Verkleidung zu perfektionieren, schmierte Lawrence sich noch verdünntes Kaliumpermanganat ins Gesicht und machte sich dann gebräunt und augenscheinlich verdreckt auf den Weg an die Front.
Es war gar nicht so einfach, in die Kampfzone zu gelangen. Lawrence wurde wiederholt von Offizieren angehalten und gefragt, was sie so weit von ihrem angeblichen Regiment entfernt zu suchen habe. Doch niemand kam auf den Gedanken, dass sie eine Frau sein könnte. Es gelang ihr schließlich, sich die Unterstützung eines Tunnelexperten der Lancaster-Einheit der Royal Engineers, Sapper Tom Dunn, zu sichern. Sie zog ihn ins Vertrauen und bat ihn, ihr zu helfen. Sapper Tom gefielen Dorothys Mut und Verwegenheit. Er und ein paar seiner Kameraden versprachen, ihr dabei zu helfen, in den aktiven Dienst zu gelangen, und brachten sie an einen geheimen Ort, an dem sie sich tagsüber ausruhen konnte. Erst bei Dunkelheit zog sie mit den anderen Pionieren los, grub Tunnel unter den deutschen Linien hindurch und füllte sie mit Sprengstoff, um damit die deutschen Gräben und Leitstellen in die Luft zu jagen. Allerdings war an der Front jegliche Körperhygiene unmöglich, und schon bald war Lawrence voller Flöhe und Läuse. »Jeder kleinste Fleck meines Körpers juckte und zwickte«, schrieb sie. »Die Flöhe sprangen in alle Himmelsrichtungen.«
Trotz aller Widrigkeiten war sie bald aktiv daran beteiligt, die feindlichen Linien zu untergraben. Mörser und Granaten regneten auf sie hinab, doch sie nahm alles stoisch hin. Ihr engster männlicher Verbündeter, Sapper Tom, war von ihrer Tapferkeit beeindruckt. Er beschrieb später, wie sie zehn Tage und Nächte lang »keine 400 Meter von der Frontlinie der boches unter Gewehrfeuer und Mörserangriffen« ausgeharrt hatte.
Dauerfeuer, Mangelernährung und verseuchtes Wasser forderten bald ihren Tribut. Dorothy wurde krank und fiel immer wieder in Ohnmacht. Aus Sorge, dass ihre Täuschung auffliegen könnte, ging sie schließlich zu ihrem Vorgesetzten und gestand ihm alles. Dieser ließ sie augenblicklich unter dem Verdacht möglicher Spionage verhaften. Es folgten intensive Verhöre. Sechs Generäle und zwanzig Offiziere nahmen Dorothy ins Kreuzverhör, konnten jedoch nichts beweisen, außer dass sie eine Frau war, die an der gefährlichen Männerwelt hatte teilhaben wollen. Man zwang sie, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dass sie niemals über ihre Geschichte schreiben würde, und schickte sie zurück nach London.
Am Ende schrieb Dorothy doch über ihre Abenteuer, und Sapper Dunn bestätigte schriftlich, dass alles der Wahrheit entsprach. Doch nur wenige glaubten ihre Geschichte, und sie starb unbeachtet im Jahr 1964.
Eine gefährliche Mission
Irena Sendler erweckte keinerlei Misstrauen, als sie das Warschauer Ghetto mit einem Bündel unter dem Arm verließ. Während ihr Hund laut bellte, fasste sie das Bündel ein wenig fester und winkte den Männern der Gestapo freundlich zu. Die wussten nicht – und sie hätten Irena umgebracht, wenn sie es gewusst hätten –, dass die winkende Dame jüdische Babys in Sicherheit brachte.
Sendler war eine katholische Sozialarbeiterin und lebte im von Deutschland besetzten Polen. Die Nationalsozialisten gestatteten ihr den Zutritt zum jüdischen Ghetto, um nach Anzeichen von Typhus zu suchen, denn die Besatzer hatten Angst, die Krankheit könnte sich in der ganzen Stadt ausbreiten. Die Gestapo hatte keine Ahnung, dass sie systematisch hinters Licht geführt wurde und Irena Sendler tatsächlich Teil einer der größten Rettungsaktionen aller Zeiten war. Als Angestellte des Warschauer Sozialamts gelang es ihr und ihren Helfern, etwa 2500 jüdische Kinder in Sicherheit zu bringen.
Das Unterfangen war extrem gefährlich. 1942 wimmelte es in Warschau nur so von Offizieren der Gestapo, die ständig auf der Suche nach aus dem Ghetto geflohenen Juden waren. »Waffen schmuggeln … Sabotagepläne gegen die Deutschen schmieden, nichts war so gefährlich, wie einen Juden zu verstecken«, sagte Władysław Bartoszewski von der polnischen Widerstandsbewegung. »Das ist, als hätte man eine tickende Zeitbombe im Haus. Wenn sie es herausfinden, töten sie dich, deine Familie und den Menschen, den du versteckt hast.«
Unter dem Vorwand, den Zustand im Ghetto zu kontrollieren, schmuggelte Sendler Babys und kleine Kinder in Paketen, Koffern, Kisten und Handkarren dort hinaus. Ältere Kinder brachte man über die Kanalisation nach draußen. Irena nahm immer einen Hund mit, wenn sie ins Ghetto ging. Sie hatte ihm beigebracht, jedes Mal zu bellen, wenn ein deutscher Soldat in der Nähe war. Auf diese Weise konnte sie die Geräusche der Babys übertönen, die diese möglicherweise von sich gaben. Sobald die Kinder sicher aus dem Ghetto heraus waren, erhielten sie katholische Geburtsurkunden und falsche Papiere, die von Priestern oder Mitarbeitern des Sozialamts unterschrieben waren. Dann wurden die Kinder in Waisenheime und Klöster im Umland von Warschau gebracht.
Im Sommer 1942 trieb die SS eine große Gruppe von Juden zusammen, um sie ins Vernichtungslager Treblinka zu bringen. Sendler flehte die jüdischen Eltern an, ihre Kinder gehen zu lassen, denn sie wusste, dass es deren einzige Überlebenschance war. In einem Interview kurz vor ihrem Tod im Jahr 2008 erzählt sie von ihren Gesprächen mit den Eltern. »Diese Szenen, in denen die Eltern entscheiden mussten, ob sie ihr Kind fortgeben sollten, brachen einem das Herz … Ihre erste Frage war: ›Welche Garantie können Sie mir geben, dass mein Kind überleben wird?‹ Ich sagte: ›Keine. Ich weiß nicht einmal, ob ich selbst heute lebend aus dem Ghetto komme.‹« Sendler führte Listen über all die Kinder, die sie gerettet hatte, und vergrub diese heimlich in Einmachgläsern, weil sie hoffte, die Kinder nach Kriegsende wieder mit ihren Eltern vereinen zu können.
1943 wurde sie schließlich von der Gestapo verhaftet. Man war misstrauisch geworden und hatte herausgefunden, dass sie für die Juden arbeitete. Sie wurde geschlagen und gefoltert (man brach ihr Arme und Beine) und dann zum Tode verurteilt, weil sie sich weigerte, irgendwelche Informationen preiszugeben. Die Żegota, der Rat für die Unterstützung der Juden, erfuhr davon, und es gelang ihnen, Irena Sendler freizukaufen. Offiziell jedoch hieß es, sie sei hingerichtet worden, was es ihr ermöglichte, den Rest des Krieges im Untergrund zu leben.