Gestalt seines heiligen Dichters. Dies Volk ist ein andres, wesensbestimmteres als das der ersten Fassung; eine andere Lebensvorstellung entspricht ihm: »Drum, mein Genius, tritt nur | Bar ins Leben und sorge nicht!« Das »Leben« liegt hier außerhalb des dichterischen Daseins, es ist in der neuen Fassung nicht Voraussetzung, sondern Gegenstand einer mit mächtiger Freiheit vollzognen Bewegung: der Dichter tritt ins Leben, er wandelt nicht in ihm fort. Die Einordnung des Volkes in jene Lebensvorstellung der ersten Fassung ist zu einer Schicksalverbundenheit der Lebendigen mit dem Dichter geworden. »Was geschiehet, es sei alles gelegen dir!« Die frühere Fassung hat an dieser Stelle »gesegnet«. Es ist der gleiche Vorgang einer Verlagerung des Mythologischen, der überall die innere Form der Umarbeitung ausmacht. »Gesegnet« ist eine vom Transzendenten, herkömmlich Mythologischen abhängige Vorstellung, die nicht vom Zentrum des Gedichtes her (etwa dem Genius) verstanden ist. »Gelegen« greift völlig wieder ins Zentrum zurück, es bedeutet ein Verhältnis vom Genius selbst, in dem das rhetorische »sei« dieser Strophe aufgehoben wird durch die Gegenwart dieser »Gelegenheit«. Die räumliche Erstreckung ist von neuem gegeben und gleichen Sinnes wie vorher. Wieder geht es um die Gesetzlichkeit der guten Welt, in der die Lage zugleich das Gelegene durch den Dichter ist, wie ihm das Wahre beschreitbar sein muß. Hölderlin beginnt einmal ein Gedicht: »Sei froh! Du hast das gute Los erkoren«. Wo der Erkorne gemeint ist; dem besteht nur das Los und also das gute. Gegenstand dieser identischen Beziehung zwischen Dichter und Schicksal sind die Lebendigen. Die Bildung »Sei zur Freude gereimt« legt die sinnliche Ordnung des Klanges zum Grunde. Und es ist im Reim auch hier die Identität zwischen Bestimmendem und Bestimmtem gegeben, wie etwa die Struktur der Einheit erscheint als halbe Doppelheit. Nicht substanziell sondern funktional ist die Identität als Gesetz gegeben. Nicht die Reimworte selbst sind genannt. Denn selbstverständlich bedeutet »zur Freude gereimt« auf Freude gereimt so wenig, »wie gelegen dir« das »du« selbst zu einem Gelagerten, Räumlichen macht. Wie das Gelegene als ein Verhältnis vom Genius erkannt wurde (nicht zu ihm), so ist der Reim eine Beziehung von der Freude (nicht zu ihr). Vielmehr hat jene Bilddissonanz, der in äußerstem Nachdruck eine lautliche anklingt, die Funktion, die innewohnende geistige Zeitordnung der Freude sinnbar, lautbar zu machen, in der Kette eines unendlich erstreckten Geschehens, das den unendlichen Möglichkeiten des Reimes entspricht. So rief die Dissonanz im Bilde des Wahren und des Teppichs die Beschreitbarkeit als einende Beziehung der Ordnungen hervor, wie die »Gelegenheit« die geistig-zeitliche Identität (die Wahrheit) der Lage bedeutete. Diese Dissonanzen heben im dichterischen Gefüge die aller räumlichen Beziehung einwohnende zeitliche Identität und damit die absolut bestimmende Natur des geistigen Daseins innerhalb der identischen Erstreckung hervor. Träger dieser Beziehung sind vorwiegend deutlich die Lebendigen. Eine Bahn und schickliches Ziel muß gerade nach den Extremen der Bildhaftigkeit jetzt anders sichtbar sein, als nach dem idyllischen Weltfühlen, das in früherer Zeit diesen Versen voranging: »oder was könnte denn | Dich beleidigen, Herz, was | Da begegnen, wohin du sollst?« An dieser Stelle darf, die wachsende Gewalt, mit der die Strophe sich dem Ende zuführt, wahrzunehmen, die Interpunktion beider Entwürfe verglichen werden. Wie in der folgenden Strophe Sterbliche mit gleicher Bedeutung wie Himmlische dem Gesang genähert werden, ist nun erst ganz begreiflich, da sie sich erfüllt vom dichterischen Schicksal fanden. Seiner Eindringlichkeit nach verstanden zu werden, muß dies alles verglichen sein mit dem Grade von Gestalt, den in der ursprünglichen Fassung Hölderlin dem Volke verlieh. Da es erfreut wurde vom Gesang, verwandt dem Dichter war und von Dichtern des Volks gesprochen werden durfte. Allein hierin dürfte die strengere Gewalt eines Weltbildes schon vermutet werden, das die früher schon nur von fern erstrebte schicksalhafte Bedeutung des Volkes gefunden hat, in einer Anschauung, die es zur sinnlich-geistigen Funktion des dichterischen Lebens macht.
Neue Bestimmtheit gewinnen diese Verhältnisse, die besonders in Hinsicht der Funktion der Zeit noch dunkel geblieben sind, indem ihre eigentümliche Umwandlung an der Gestalt der Götter verfolgt wird. Durch die innere Gestalt, die in dem neuen Weltbau ihnen eignet, wird das Wesen des Volkes – als durch seinen Gegensatz – genauer ermittelt. So wenig die erste Fassung eine Bedeutung der Lebendigen kennt, deren innere Form ihr Dasein als einbezogen in das dichterische Schicksal, bestimmt und bestimmend, wahr im Raum, ist – so wenig ist in ihr eine besondere Ordnung der Götter erkennbar. Es geht aber durch die neue Fassung eine Bewegung in plastisch-intensiver Richtung, und diese lebt in den Göttern am stärksten. (Neben der Richtung, die, im Volke dargestellt, die räumliche Richtung auf das unendliche Geschehen hat.) Es sind die Götter zu höchst besondern und bestimmten Gestalten geworden, an denen das Gesetz der Identität völlig neu gefaßt ist. Die Identität der göttlichen Welt und ihre Beziehung zum Schicksal des Sängers ist verschieden von der Identität in der Ordnung der Lebendigen. Dort war ein Geschehen in seiner Bestimmtheit durch und für den Dichter als aus ein und derselben Quelle fließend erkannt. Der Dichter erlebte das Wahre. So war das Volk ihm bekannt. In der göttlichen Ordnung aber liegt, wie sich zeigen wird, eine besondere innere Identität der Gestalt vor. Diese Identität fand man angedeutet schon im Bilde des Raumes und etwa in der Bestimmung der Fläche durch das Ornament. Aber zum Beherrschenden einer Ordnung geworden führt sie eine Versachlichung des Lebendigen herauf. Es entsteht eine eigentümliche Verdopplung der Gestalt (die sie mit räumlichen Bestimmungen verbindet) indem eine jede in sich nochmals ihre Konzentration vorfindet, eine rein immanente Plastik als Ausdruck ihres Daseins in der Zeit in sich trägt. In dieser Richtung der Konzentration streben die Dinge zum Dasein als reine Idee und bestimmen das Schicksal des Dichters in der reinen Welt der Gestalten. Die Plastik der Gestalt wird als das Geistige erwiesen. So ist der »denkende Tag« aus dem »fröhlichen« geworden. Der Tag ist durch ein Beiwort nicht in seiner Eigenschaft gekennzeichnet, sondern es wird ihm die Gabe beigelegt, welche gerade die Bedingung der geistigen Identität des Wesens ist: das Denken. Es erscheint nun der Tag in dieser neuen Fassung auf das höchste gestaltet, ruhend, mit sich selbst einstimmend im Bewußtsein, als eine Gestalt von innerer Plastik des Daseins, der die Identität des Geschehens in der Ordnung der Lebendigen entspricht. Von den Göttern her erscheint der Tag als gestalteter Inbegriff der Zeit. Von dem gewinnt es nun als gleichsam einem Beharrenden einen viel tieferen Sinn, daß der Gott ihn gönnt. Diese Vorstellung, der Tag sei gegönnt, ist sehr streng zu trennen von einer hergebrachten Mythologie, die den Tag schenken läßt. Denn hier ist schon, was mit bedeutenderer Gewalt sich später zeigt, angedeutet: daß die Idee zur Versachlichung der Gestalt führt und daß die Götter ganz ihrer eignen Plastik anheimgegeben sind, den Tag nur gönnen oder mißgönnen können, da an Gestalt der Idee sie am nächsten sind. Wieder darf hier auf die Steigerung der Absicht im rein Lautlichen: durch Alliteration hingedeutet werden. Die bedeutende Schönheit, mit der hier der Tag zum plastischen und eben zugleich kontemplativen Prinzip erhoben wird, findet im Anfang des »Chiron« sich gesteigert wieder: »Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß | Zur Seite gehn zu Zeiten, wo bist du, Licht?« Die gleiche Anschauung hat den zweiten Vers der fünften Strophe sehr innerlich verwandelt und auf das höchste verfeinert gegen die entsprechende Stelle der früheren Fassung. Ganz im Gegensatz zur »flüchtigen Zeit«, zu den »Vergänglichen« ist in der Neufassung dieser Zeile das Beharrende, die Dauer in der Gestalt der Zeit und der Menschen entwickelt worden. Die »Wende der Zeit« erfaßt offenbar noch den Augenblick der Beharrung, gerade das Moment innerer Plastik in der Zeit. Und daß dieses Moment innrer zeitlicher Plastik zentral ist, dies kann wie die zentrale Bedeutung der andern bisher erwiesenen Erscheinungen erst später ganz deutlich werden. Den gleichen Ausdruck hat das folgende »uns die Entschlafenden«. Wieder ist der Ausdruck tiefster Identität der Gestalt (im Schlafe) gegeben. Es ist schon hier an das heraklitische Wort zu erinnern: Im Wachen sehen wir zwar den Tod, im Schlafe aber den Schlaf. Um diese plastische Struktur des Gedankens in seiner Intensität handelt es sich, wie hierfür das kontemplativ erfüllte Bewußtsein den letzten Grund bildet. Die gleiche Identitätsbeziehung, die hier im intensiven Sinne zur zeitlichen Plastik der Gestalt führt, muß im extensiven Sinne zu einer unendlichen Gestaltform führen, zu einer gleichsam eingesargten Plastik, in der die Gestalt mit dem Gestaltlosen identisch wird. Die Versachlichung der Gestalt in der Idee bedeutet zugleich: ihr immer unbegrenzteres und unendliches Umsichgreifen, die Vereinigung der Gestalten in der Gestalt schlechthin, zu der die Götter werden. Es ist durch sie der Gegenstand gegeben, an dem das dichterische Schicksal sich begrenzt. Die Götter bedeuten dem Dichter die unermeßliche Gestaltung seines Schicksals, wie die Lebendigen noch die weiteste Erstreckung des Geschehens als im