Qumisha sprach leise, mit einem Kloß im Hals. »Das hätte ich nicht sagen dürfen. Aber die SOL braucht trotzdem einen Kommandanten. Es gibt einen guten Grund, warum der Expeditionsleiter nicht gleichzeitig den Oberbefehl über das Schiff hat.«
»Ach wirklich?«, sagte Rhodan kühl. »Das ist eine Regel, die ich aufgestellt habe und die sich seit Jahrtausenden bewährt. Erklärst du mir gerade das Einmaleins von Fernexpeditionen?«
»Die SOL braucht einen Kommandanten«, beharrte Qumisha.
»Das streitet ja überhaupt niemand ab.« Danton nahm die Vermittlerrolle ein. »Es ist allerdings nicht ganz einfach, jemanden Qualifizierten zu finden. Fee und ich haben daran lange gearbeitet, ohne einen geeigneten Kandidaten auszumachen.«
»Weil du Leute installieren wolltest«, konterte Qumisha, »die im Zweifel dir gehorchen.«
»Ich glaube, es reicht jetzt, Tess«, ging Rhodan dazwischen. »Wir sollten dieses Gespräch beenden, bevor Dinge gesagt werden, die sich nicht mehr zurücknehmen lassen. In der Frage nach dem Kommandanten geben wir dir beide recht. Es steht dir jederzeit frei, uns einen Vorschlag zu unterbreiten. Wir zwei ...« Er suchte den Schulterschluss mit Roi Danton. »... versuchen das Schiff auf das vorzubereiten, was uns am Ziel bevorsteht.« Er deutete auf das Außenbeobachtungsholo, das nach wie vor den blauen Transportkanal zeigte. »Und du kannst herauszufinden versuchen, was um Himmels willen ein Sextadim-Intermitterfeld mit Temporalgradienten sein soll. Einverstanden?«
Tess Qumisha öffnete den Mund. Sie sah Rhodans Blick und schloss ihn wieder. Die Antwort auf seine letzte Frage konnte nur ja heißen. Die SOL war ein Raumschiff, und es funktionierte nur, wenn eine Kommandokette eingehalten wurde. An deren Spitze stand Perry Rhodan, ob es ihr gefiel oder nicht.
Sie nickte stumm und ging.
*
Im hyperphysikalischen Labor machte sie sich herzhaft Luft. Da gab es keine Rangordnung zu beachten, und ihr Mann würde sie schon nicht bei der Schiffsführung verpetzen. Einen geeigneten Vorschlag für den Kommandantenposten hatte allerdings auch er nicht beizusteuern.
Also wertete Benjameen da Jacinta stoisch die Beobachtungen der Ultrahochfrequenz-Messwerke in den beiden SOL-Zellen und des Kantor-Sextanten aus. Holografische Zahlen tanzten vor seinen Augen, während er seine Theorien und Ansätze ganz altmodisch mit einem auf Arkon gefertigten Füllfederhalter auf Papier notierte.
Die beiden Ultra-Giraffen hatte Tess Qumisha einst maßgeblich mitentwickelt. Sie konnten weit ins ultra- und superhochfrequente Band des Fünf-D-Spektrums blicken, in Bereiche, die den meisten Messgeräten verschlossen blieben. Aus den Ergebnissen ließ sich teils sogar errechnen, was parallel im Sechs-D-Band geschah.
Das funktionierte auch diesmal, nur waren die aktuell angezeigten Werte völlig erratisch. Meist waren sie vom normalen kosmischen Hintergrundrauschen nicht zu unterscheiden, dann wieder kam es ohne jede Regelmäßigkeit zu unerklärlichen Spitzen. Was nicht weiter verwunderlich war – Blitzers Erklärung hatte schließlich als eine einzig verwertbare Information geliefert, dass der Transporttunnel im sechsdimensionalen Bereich arbeitete. So einen langen Hals konnte Qumishas Giraffe gar nicht haben, dass sie sich auch auf dieser Ebene des Universums hätte umfassend umschauen können.
»Ich hab was«, sagte da Jacinta. In einem in der Luft schwebenden Datenwust tippte er einige Zahlen an, die ihre Farbe daraufhin von Weiß nach Rot veränderten.
Qumisha trat zu ihm. Die Messwerte stammten vom Kantor-Sextanten. Anders als die Ultra-Giraffe konnte dieses Gerät nicht nur auf das Sechs-D-Spektrum schließen, sondern dort auf direktem Weg Informationen sammeln – zumindest rudimentär. Die Ergebnisse blieben zwar dürftig und scheinbar widersprüchlich, aber zumindest hatten sie einen ersten, vorläufigen Interpretationsansatz ermöglicht. Auch wenn Qumisha ihn noch nicht durchschaute.
Grübelnd stellte sie ihre Kaffeetasse an das einzige freie Eckchen von da Jacintas Arbeitsstation. »Machst du mich schlau?«
»Ich habe die Ergebnisse der beiden Geräte verglichen.« Da Jacinta zeigte ein Holo mit den Messgraphen der Ultra-Giraffe. »Die Spitzen haben keine einfach erkennbare Regelmäßigkeit. Zwar sind Tausende Formeln denkbar, die trotzdem genau zu diesen Datenresultaten führen. Aber richtig wäre nur die Berechnungsmethode, mit der wir die nächste Spitze verlässlich voraussagen können.«
So weit, so einfach.
»Ich habe aus den Giraffen-Werten ein paar Tausend mögliche Algorithmen ableiten lassen und diese auf die Sextanten-Werte gelegt. Einer war ein Treffer. Schau.«
In einer Animation stellte das Hologramm vergleichend dar, wo nach da Jacintas Formel Ausschläge im Sechs-D-Spektrum erwartbar waren und wo die tatsächlichen Ausschläge lagen. Es gab Abweichungen, sogar eine ganze Menge davon. Aber knapp ein Drittel der Punkte stimmten, und damit erheblich mehr, als es bei einer reinen Zufallsverteilung der Fall gewesen wäre.
»Großartig!«, rief Qumisha. »Daran arbeiten wir weiter! Wir müssen die Prognosegenauigkeit ...«
Der Boden unter ihren Füßen bebte. Die Kaffeetasse machte einen kleinen Hüpfer und kippte über die Tischkante. Auch Qumishas Magen hob sich, viel stärker, als die Erschütterung es hätte erwarten lassen.
»Was war das denn?«, fragte sie erst da Jacinta, und dann – wesentlich erfolgversprechender – SENECA.
»Es gab einen Unfall«, erläuterte das Schiffsgehirn. »Der neu eingebaute Paratron-Suspensor hat eine Fehlfunktion. Es kam zu einer kleineren Explosion, das Gerät wurde bis zur Klärung des Vorfalls abgeschaltet. Keine Verletzten. Ein Folgeschaden am Hypertakt-Triebwerk ist mit Bordmitteln reparabel.«
Qumisha lächelte, zum ersten Mal seit ihrem Streit mit Rhodan. »Alles in Ordnung, also?«
»Das ist eine zulässige Folgerung«, bejahte SENECA.
Da Jacinta zuckte mit den Achseln. »Wie gewonnen, so zerronnen. Schade!«
Qumisha musste ihm zustimmen. Der Suspensor gehörte zu den neuen Gerätschaften, die erst wenige Tage zuvor auf der SOL eingebaut worden waren: Technik der Terminalen Kolonne TRAITOR, installiert in einem zwanzig Millionen Jahre alten Kolonnen-Dock in Tare-Scharm. Roi Danton hatte eine lange und komplizierte Historie mit der Kolonne, hatte – grob vereinfacht – erzwungenermaßen in TRAITORS Reihen gedient.
Aus dieser Zeit besaß er noch einige Kenntnisse und Berechtigungen, die er im Dock genutzt hatte, um die Kampfkraft der SOL erheblich zu stärken. Der Paratron-Suspensor beispielsweise war eine Errungenschaft, die es dem Hantelraumschiff ermöglichte, aus dem Stand in den Hyperraum zu wechseln, statt hierzu wie sonst üblich bis auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigen zu müssen.
Das setzte allerdings voraus, dass das Gerät funktionierte und der Mannschaft nicht unmotiviert um die Ohren flog. »Kennt man die Ursache?«, fragte Qumisha weiter.
»Bislang nicht«, antwortete SENECA. »Eine naheliegende Vermutung wäre, dass es infolge des Zeitdrucks beim Einbau des neuen Aggregats zu Fehlern kam. Womöglich lag eine nicht entdeckte Inkompatibilität vor.«
Qumisha zog den Mund schief. Also waren sie nicht nur in eine fremde Galaxis unterwegs, um einen Auftrag zu befolgen, dessen Implikationen noch gar nicht abzusehen waren – sie würden das Ganze auch noch mit einem unzuverlässigen Raumschiff erledigen. Denn neben dem Paratron-Suspensor waren im Kolonnen-Dock noch eine ganze Reihe weiterer eindrucksvoller Systeme eingebaut worden. Aber genauso hastig und ohne Gelegenheit für eine gründliche Integrationskontrolle und Funktionstests. Wenn der Suspensor explodierte, konnte das genauso gut den Potenzialwerfern, dem Virtuellbildner und den verbesserten Schiffsgeschützen drohen. All diese Geräte mussten bis zu einer gründlichen Überprüfung stillgelegt werden. Insofern war SENECAS Verständnis von alles in Ordnung vielleicht doch ein wenig zu weit gefasst.
Das aber war ein Problem für die zwei Rhodans. Sie hatte anderes zu tun. »Wo waren wir ... Ach ja, dein Algorithmus. Haben wir eine Visualisierung?«
»Nichts Schlüssiges.« Da Jacinta schaltete das Holo um. Es präsentierte nun die SOL in einem blau strahlenden