wie winters habe seine mutter am holzverschlaggeschützten trog, „wo das wasser wie selbstverständlich nie zu rinnen aufgehört hat“, die wäsche gewaschen, wenn sie „ersichtlich dreckig“ gewesen sei, habe sie übers waschbrett gerieben und saubergebürstet und dann ausgewrungen, habe die wäsche im ummauerten waschofen in der tiefe des südseits offenen holzverschlags gekocht: Die mutterhände seien dann immer fleischrot gewesen, frostrot wie das vom vater auf dem stubentisch zerteilte fleisch des immer wintervormittags gestochenen schweins, dessen blut er mit einer pfanne habe auffangen dürfen: seit er denken könne, habe der Vitus gesagt, von anfang an und schon in der vorschulischen zeit.
32Isidor Sültzrather, Mein wunderbarer Großonkel. Erinnerungen an den Dichter Vitus Sültzrather, Klausen 2012, S. 37: „Und dann fand ich in Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, dem letzten Buch Roland Barthes’, ein Schwarzweißfoto des vielleicht zwei- oder dreijährigen Großonkels an der Hand seines Vaters, mit seiner Mutter daneben und zwei kleinen Hunden mittendrin; und am Rand der linken Seite und sicherlich als Reaktion auf den dortigen Satz ‚Ich betrachtete das kleine Mädchen und fand endlich meine Mutter wieder‘ (rechts, ganzseitig: ein Frauenfoto mit dem Titel ‚Nadar – Mutter oder Frau des Künstlers – 1853‘) fand ich nun die bleistiftliche Anmerkung: ‚Wer ist das, der man einmal war? Ich betrachtete den kleinen Buben und fand mich nicht.‘“
33Diese formulierung habe die Blaaser Kreszenz „mit ziemlicher sicherheit“ bei Sültzrather aufgeschnappt, sagt F.; „nicht zufällig“ stehe in seinen tagebüchern der satz: „Die Kindheit ist die Zeit der ewigen Gegenwart: Nichts als Jetztzeit all die Zeit, all die ungeteilte Zeit!“ (Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather. Tagebücher 4, Klausen 2018, S. 23)
34Kaum hätten sie kriechen können, habe die alte Mühleggerin einmal auf dem friedhof zu ihm gesagt, als er dem Vitus einen wiesenblumenstrauß aufs grab gelegt habe, sagt F.: „Kaum haben sie kriechen können, sind die beiden schon aufeinanderzu am speltenzaun!“ Und jetzt lägen sie wieder nebeneinander – „und nur durch ein paar schaufeln erde getrennt“.
35„Und da erfanden wir uns dann Spiele, der Klaus und ich, die wir dann einmal oder auch nie wieder ausprobiert haben – oder die wir dann aber auch spielten Tag für Tag; oder die wir so veränderten, wie uns zumute war. Und die Nachbarskinder, wenn wir sie denn beherbergten in unserm kleinen Paradies, oder meine Schwestern auch: Alle, alle haben sich an unsere Regeln zu halten gehabt.“ (Vitus Sültzrather, Notizbuch N° 19, Aibeln 1995, S. 93)
36Nachzulesen etwa in den Kinder- & Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm. Ganz Große Ausgabe in 3 Bänden, Bd. 3, Leipzig 2012, S. 23–24.
37„VND als sie kamen an die stet / die jm Gott saget / bawet Abraham daselbs einen Altar / vnd legt das holtz drauff / Vnd band seinen son Jsaac / legt jn auff den Altar oben auff das holtz / Vnd recket seine Hand aus / vnd fasset das Messer / das er seinen Son schlachtet.“ (1. Mose 22, 9–10; Luther 1545: Letzte Hand)
38„Ich befand mich in einem von den anmuthigen, mit unzähligen schönen Bäumen besetzten Lustgärten, die man in dem Persischen Asien Paradiese zu nennen pflegt.“ (Christoph Martin Wieland, Aristipp und einige seiner Zeitgenossen. Dritter Band, in: C. M. Wielands Sämmtliche Werke. Fünf und Dreyssigster Band, Leipzig 1801, S. 303)
39Tagebucheintrag Vitus Sültzrathers aus dem jahr 1987, datiert mit „Sonntag, 26. Juli“: „Klaus ist tot, mein Kindheitsfreund ein ganzes Leben lang. – Wie komm ich nur die Stufen hinauf an sein Grab? – Am Ende, Klaus, aber werde ich wieder neben dir liegen, wenn sie mich die Granitstufen hinaufgetragen, wenn sie mich ins Grab versenkt haben neben deinem Grab. Daß wir Kalberschen auch im Friedhof noch Nachbarn der Kohlhausschen sind, wie gut! – Was werden wir uns zu erzählen haben, Klaus?“ (Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather. Tagebücher 3, Klausen 2017, S. 1)
40„[..] // Now shall I make my soul, / Compelling it to study / In a learned school / Till the wreck of body, / Slow decay of blood, / Testy delirium / Or dull decrepitude, / Or what worse evil come – / The death of friends, or death / Of every brilliant eye / That made a catch in the breath – / Seem but the clouds of the sky / When the horizon fades, / Or a bird’s sleepy cry / Among the deepening shades.“ (William Butler Yeats, The Tower, in: The Collected Poems of W. B. Yeats, Hertfordshire 1994, S. 169)
41„[..] und erinnerte er es nicht, warf Joachim Krambühler ein, so erfände es gewiß die Erinnerung.“ (Vitus Sültzrather, Knödelfleisch, Heidelberg 1971, S. 38)
42„Im übrigen, daß der Bach nie aufhörte zu rinnen, daß da immer das Rauschen des Thinne Bachs war, das war mir selbstverständliche Tatsache einerseits; andererseits aber und vor allem ist es mir immer wie ein Wunder gewesen, das nicht zu begreifen war. Wie wäre ich erschrocken, wenn dieses längst nicht mehr gehörte Rauschen einmal nicht mehr gewesen wär!“ (Vitus Sültzrather, Notizbuch Nº 22, Aibeln 1999, S. 119) – Und dann, „vor allem“, sagt F., sei in diesem zusammenhang noch einmal auf eine passage in Sültzrathers nachgelassenen „arche-notizen“ verwiesen (sieben lose, unlinierte und unkarierte din-a4-blätter, die ihm von Rut Thinnebach, die diese letzten aufzeichnungen „laut eigenen angaben“ am 26. mai 2001, also vier tage nach Sültzrathers tod, per post erhalten habe, einige wochen nach ihrem vögele-, dem sogenannten „totenbildchengespräch“ zugeschickt worden seien): „[..]: Die Gewohnheit, die das Leben trägt; der Fluß, der immer neu fließt und ein Ende des Fließens ist nicht abzusehn (wie V. als Kind stundenlang am Ufer saß und dem Fließen zuschaute und glücklich war – und sich fürchtete davor, daß am nächsten Tag, immer wieder an diesem verfluchten nächsten Tag, der Fluß ausbliebe, alles Wasser ins Meer wäre, von dem er nur wußte, daß es war: Mit seinen Fingern fuhr er im Atlas darüber und versuchte ihm die Gefräßigkeit auszureden); die Tröstungen des Vergessens: [..]“
43Zum beispiel Moritz Oberhollenzer, sagt F.: Als siebenjähriger habe der mit blauer tinte „schön druckbuchstabig“ in eines der schwarzen notizbücher seines vaters geschrieben: „Das Herz geht auch einmal aus. Wie die Tinte.“ – Ob wohl allen die zeit sich so früh ins leben dränge? Manchmal, sagt F., vorm einschlafen manchmal wäre er gern irgend ein tier.
44„Später werde ich über das alles Genaueres schreiben“, so beende Peter Handke seine erzählung Wunschloses Unglück, sagt F.; und auch Vitus Sültzrather habe „über das alles“ nichts genaueres gesagt.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.