Herbert George Wells

Der gestohlene Bazillus


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Ich hab' es getrunken! Die Cholera ist im Gang!«

      Der Bakteriologe guckte ihn von seiner Droschke aus durch die Brille mit neugierigen Augen an. »Also Sie haben es getrunken! Ein Anarchist! Jetzt verstehe ich – endlich!« Er war im Begriff, noch mehr zu sagen, hielt aber plötzlich inne. Ein Lächeln zitterte um seine Mundwinkel. Er öffnete die Tür der Droschke, wie um auszusteigen; worauf der Anarchist ihm ein tragisches Lebewohl zuwinkte und in der Richtung nach Waterloo Bridge davoneilte, wobei er Sorge trug, auf seinem Weg so viel Leute als nur möglich anzurempeln. Der Bakteriologe war so ganz versunken in diesen Anblick, daß er kaum ein leises Erstaunen äußerte, als Minnie mit Hut und Stiefeln und Überzieher neben ihm auftauchte. »Wie lieb von dir, daß du mir meine Sachen bringst!« sagte er, noch immer ganz verloren in Betrachtung der entschwindenden Gestalt des Anarchisten.

      »Setz' dich in die Droschke!« sagte er, noch immer dem andern nachstarrend. Minnie war jetzt ganz davon überzeugt, daß er verrückt geworden war, und gab dem Kutscher auf eigene Verantwortung hin ihre Adresse. »Stiefel anziehen? Aber natürlich, Schatz!« sagte er, als die Droschke umdrehte und dadurch die davoneilende dunkle Gestalt, die jetzt in der Entfernung sehr klein erschien, seinen Blicken entzog. Auf einmal überfiel ihn ein grotesker Gedanke, und er lachte auf. Worauf er bemerkte: »Aber doch – es ist recht ernsthaft! Siehst du – der Mann ist zu mir gekommen – einfach als Besucher. Er ist ein Anarchist. Ach nein – nicht ohnmächtig werden! Sonst kann ich dir's ja überhaupt nicht erzählen. Ich wollte ihm gern ein bißchen imponieren – wußte ja nicht, daß er ein Anarchist war – und nahm eine Kultur von der neuen Spezies von Bakterien, von denen ich dir erzählt habe – die bei verschiedenen Affenarten blaue Flecken erzeugen und für immer festhalten; und in meiner Dummheit sagte ich, es wäre die asiatische Cholera. Und gleich darauf ging er durch mit dem Gift, stahl es und wollte die Londoner Wasserleitungen damit vergiften. – Na ja, eine schöne Bescherung hätt' er ja wohl anrichten können für diese Stadt der Zivilisation! Und jetzt hat er es selber alles geschluckt! Ich kann ja selbstverständlich nicht voraussagen, was eigentlich geschehen wird – aber du weißt doch – die junge Katze damals und die Hunde und der Sperling – alle haben sie sich blau gefärbt – blaue Flecken – so recht himmelblau. Das Scheußliche an der ganzen Geschichte ist bloß, es wird mich wer weiß wieviel Zeit und Geld kosten, wieder neue zu präparieren.

      »Was! Den Überzieher anziehen? An so einem heißen Tag? Warum denn? Weil wir vielleicht Mrs. Japper begegnen könnten? Aber Schatz – Mrs. Japper ist doch kein Durchzug! Warum soll ich denn einen Überzieher anhaben – an so einem heißen Tag – bloß weil Mrs. ... Na ja, schön!«

      Die Kunst des Ausstopfens hat ihre Geheimnisse. Hier ein paar wenige, die mir der Ausstopfer einmal in gehobener Stimmung erzählte. Er erzählte sie mir zwischen dem ersten und vierten Glas Whisky, in der Zeit, wo der Mensch nicht mehr vorsichtig und doch noch nicht betrunken ist. Wir saßen zusammen auf seiner Bude; es war sein Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer und war – wenigstens für den Sinn des Gesichts – durch einen Perlenvorhang von der stinkenden Höhle getrennt, in der er seinem Handwerk oblag.

      Er saß auf einem Liegestuhl, und seine Füße – an denen er, in der Art von Sandalen, die heiligen Reliquien von einem Paar Zeugpantoffeln trug – lagen auf dem Kaminsims, zwischen den Glasaugen, – wenn sie nicht damit beschäftigt waren, herumliegende Kohlenstücke zu zertrampeln. Seine Hosen, nebenbei – die allerdings mit seinen Triumphen nichts zu schaffen haben –, waren aus einem unglaublich scheußlichen, gestreiften Wollstoff, so wie man ihn machte zur Zeit, als unsere Großväter Backenbärte trugen, und die Krinoline Mode war. Ferner hatte er schwarzes Haar, ein rötliches Antlitz und feurig braune Augen; und sein Rock bestand in der Hauptsache aus Fettflecken – auf einer Unterlage von Baumwollsamt. Seine Pfeife endete in einem Porzellankopf, auf dem die Grazien prangten, und seine Brille saß immer schief, so daß das linke Auge einen unverhüllt, klein und durchdringend anfunkelte, während das rechte undeutlich, vergrößert und milde durch das Brillenglas schimmerte. Und seine Worte lauteten folgendermaßen: »Auf der ganzen Welt ist kein Mensch, der ausstopft wie ich, Bellows! Kein Mensch! Ich habe Elefanten ausgestopft und Motten ausgestopft, und die Dinger waren nachher lebendiger und schöner als vorher. Ich habe auch menschliche Lebewesen ausgestopft – hauptsächlich Amateur-Ornithologen. Aber einmal hab' ich einen Nigger ausgestopft.

      »Nein, es gibt kein Gesetz, das es verbietet. Ich stellte ihn mit allen zehn Fingern von sich gespreizt auf und benützte ihn als Hutständer; der Schafskopf von Homersby fing einmal spät nachts eine Keilerei mit ihm an und verdarb ihn. Das war vor Ihrer Zeit. Es ist schwierig, Häute zu kriegen; sonst würd' ich mir einen neuen machen.

      »Widerwärtig? Kann ich nicht finden. Mir scheint, die Ausstopferei ist ein ganz vielversprechender Geschäftszweig. Nr. 3 neben Beerdigung und Verbrennung. Man könnte alle seine Lieben um sich behalten. Derartiger Krimskram im Haus herum wäre mindestens ebensoviel wert wie jede andere Gesellschaft und weit weniger kostspielig. Man könnte sie als Automaten herrichten, daß sie dies oder jenes tun könnten.

      »Natürlich müßt' man sie firnissen; aber darum brauchten sie auch nicht mehr zu glänzen, als massenhaft Menschen es von Natur tun. Der alte Manningtree mit seinem kahlen Schädel ... Und jedenfalls – man könnte mit ihnen reden, ohne daß man unterbrochen würde. Sogar mit Tanten. Die Ausstopferei hat eine große Zukunft, verlassen Sie sich drauf. Es gibt da Ausgrabungen ...«

      Er verstummte plötzlich.

      »Nein, ich glaube, das darf ich Ihnen nicht erzählen.« Er zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Ja, bitte! Nicht zuviel Wasser!

      »Selbstverständlich – was ich Ihnen jetzt erzähle, bleibt unter uns! Sie wissen, daß ich ein paar Dronten und einen großen Alk gemacht habe. Nicht? Man sieht, daß Sie Amateur in der Kunst des Ausstopfens sind. Lieber Freund, die Hälfte von allen großen Alken, die existieren, sind ungefähr ebenso echt wie das Schweißtuch der heiligen Veronika oder der heilige Rock zu Trier. Wir machen sie aus Mövenfedern und dergleichen. Und die großen Alkeneier ebenfalls.«

      »Großer Gott!«

      »Ja. Wir machen sie aus feinem Porzellan. Ich sage Ihnen – es lohnt sich. Sie bringen ... eins hat erst neulich 300 Pfund eingebracht. Das war übrigens wirklich echt, glaub' ich; aber natürlich, sicher ist man da nie. Sie werden sehr fein gearbeitet, und nachher muß man sie staubig machen; denn keiner, der eins von diesen kostbaren Eiern besitzt, hat je die Kühnheit, das Ding zu reinigen. Das ist das Schöne dran. Sogar wenn ihnen ein Ei verdächtig vorkommt, so mögen sie es nicht gern zu genau untersuchen. Es ist unter allen Umständen ein zerbrechliches Kapital!

      »Das haben Sie nicht gewußt, daß die Kunst des Ausstopfens sich zu solchen Höhen versteigt! Bester Junge, sie versteigt sich noch viel höher. Ich habe die Natur selber nachgeahmt. Einer von den echten, großen Alken« – seine Stimme sank zu einem Flüstern herab – »einer von den echten, großen Alken ist von mir hergestellt! »Nein. Sie müssen Ornithologie selber studieren und dann herausfinden, welcher es ist. Und – noch mehr – ein ganzer Ring von Händlern hat mir angetragen, eins von den noch unerforschten Klippengebieten nördlich von Island mit meinen Exemplaren auszustaffieren. Vielleicht – später einmal. Vorläufig hab' ich eben jetzt ein anderes kleines Geschäft vor. Haben Sie je was vom Dinornis gehört?

      »Das ist einer von den großen Vögeln, die seit einiger Zeit in Neuseeland ausgestorben sind. Man nennt ihn gewöhnlich ›Moa‹ – eben weil er ausgestorben ist; weil kein ›Mo–a‹ da ist. Was? Na, also von dem hat man Knochen gefunden, und in ein paar Sumpfgegenden sogar Federn und vertrocknete Stücke Haut. Und ich werde also – na, ich brauch' mir wirklich kein Gewissen draus zu machen – einen vollständigen, ausgestopften Moa fälschen! Ich kenn' da draußen einen Burschen, der vorgeben wird, er hätte das Ding in einer Art antiseptischem Sumpf gefunden und es gleich ausgestopft, weil es sonst auseinandergefallen wäre. Die Federn sind etwas Besonderes, aber ich hab' auf eine einfach großartige Weise entdeckt, wie man versengte Straußenfedern zurechtmachen kann. Jawohl, das ist der neue Geruch, den Sie vorhin bemerkten. Sie können die Fälschung bloß mit dem Mikroskop herausfinden, und es wird ihnen kaum dran liegen, darum ein gutes