gewesen war. Doch seit diesem Morgen ist er verschwunden; und obwohl eine hohe Belohnung ausgesetzt worden ist und alle Zigeuner von Dartmoor auf dem Quivive sind, hat man nichts mehr von ihm gehört. Schließlich hat eine Analyse der von dem Stallburschen übriggelassenen Reste des Abendessens ergeben, daß es ein bemerkenswertes Quantum Opiumpulver enthielt, wohingegen die Leute im Haus am selben Abend ohne irgend welche üblen Nachwirkungen dasselbe Gericht teilten.
Dies sind die wichtigsten Fakten des Falles, aller Mutmaßungen entkleidet und so nüchtern wie möglich berichtet. Nun möchte ich rekapitulieren, was die Polizei in dieser Angelegenheit unternommen hat.
Inspektor Gregory, dem der Fall übertragen worden ist, ist ein überaus fähiger Beamter. Besäße er nur die Gabe der Phantasie, so könnte er es in seinem Beruf sehr weit bringen. Nach seiner Ankunft fand und verhaftete er unverzüglich den Mann, auf den naturgemäß der Verdacht fiel. Es kostete nur geringe Mühe, ihn ausfindig zu machen, denn er war in der Gegend durchaus gut bekannt. Sein Name, so scheint es, ist Fitzroy Simpson. Er ist ein Mann von ausgezeichneter Herkunft und Bildung, der auf der Rennbahn ein Vermögen durchgebracht hat und jetzt davon lebt, daß er sich in den Sportklubs von London in aller Stille ein bißchen als vornehmer Buchmacher betätigt. Eine Überprüfung seines Wettbuches ergab, daß er Wetten in Höhe von fünftausend Pfund gegen den Favoriten abgeschlossen hat.
Bei seiner Verhaftung sagte er freiwillig aus, er sei nach Dartmoor gefahren in der Hoffnung auf einige Informationen über die Pferde von King's Pyland sowie über Desborough, den zweiten Favoriten, der unter der Obhut von Silas Brown im Stall von Capleton stand. Er versuchte nicht zu leugnen, daß er sich am Vorabend wie geschildert verhalten hatte, erklärte jedoch, er habe keine finsteren Absichten gehabt, sondern sich lediglich Auskunft aus erster Hand verschaffen wollen. Mit dem Halstuch konfrontiert, wurde er sehr bleich und war gänzlich unfähig zu erklären, wie es in die Hand des Ermordeten geraten war. Seine feuchte Kleidung bewies, daß er sich während des Unwetters in der Nacht zuvor im Freien aufgehalten hatte, und sein Stock, ein mit Blei beschwerter Rohrstock, war genau so eine Waffe, wie sie dem Trainer die schrecklichen tödlichen Verletzungen zugefügt haben könnte.
Andererseits wies sein Körper keine Wunde auf, wohingegen der Zustand von Strakers Messer darauf schließen ließ, daß er zumindest bei einem seiner Angreifer Spuren hinterlassen haben mußte. Da haben Sie das Ganze in nuce, Watson, und wenn Sie mir irgendwie Erleuchtung bringen können, werde ich Ihnen unendlich verpflichtet sein.«
Ich hatte mit größtem Interesse der Darstellung zugehört, die Holmes mir mit charakteristischer Klarheit vorgetragen hatte. Obwohl mir die meisten Fakten vertraut waren, hatte ich weder ihre relative Bedeutung noch ihre Verbindung untereinander ausreichend gewürdigt.
»Ist es nicht möglich«, schlug ich vor, »daß die Schnittwunde an Strakers Körper während der konvulsivischen Zuckungen, die auf jede Gehirnverletzung folgen, von seinem eigenen Messer verursacht worden ist?«
»Es ist mehr als möglich; es ist wahrscheinlich«, sagte Holmes. »In diesem Fall wird einer der wichtigsten Anhaltspunkte zugunsten des Beschuldigten hinfällig.«
»Und trotzdem«, sagte ich, »verstehe ich auch jetzt einfach nicht, welche Theorie die Polizei haben kann.«
»Ich fürchte, gegen jedwede Theorie, die wir aufstellen, gibt es sehr schwerwiegende Einwände«, entgegnete mein Gefährte. »Die Polizei, nehme ich an, stellt sich vor, dieser Fitzroy Simpson habe, nachdem er den Burschen betäubt und sich zuvor irgendwie einen Zweitschlüssel verschafft hat, die Stalltür geöffnet und das Pferd hinausgebracht, offenbar in der Absicht, es kurzerhand zu entführen. Sein Zaumzeug fehlt, also muß Simpson es ihm angelegt haben. Dann, nachdem er die Tür hinter sich offengelassen hatte, führte er gerade das Pferd übers Moor weg, als er plötzlich auf den Trainer traf oder von ihm überrascht wurde. Es kam natürlich zu einem Streit, Simpson schlug dem Trainer mit seinem schweren Stock den Schädel ein, ohne von dem kleinen Messer, das Straker in Notwehr benutzte, eine Verletzung davonzutragen, und dann führte der Dieb das Pferd entweder zu irgendeinem geheimen Versteck, oder aber es ist vielleicht durchgegangen und irrt jetzt draußen im Moor umher. So liegt der Fall, wie er sich der Polizei darstellt, und so unwahrscheinlich das auch ist, sind doch alle anderen Erklärungen noch unwahrscheinlicher. Dennoch werde ich die Sache sehr rasch überprüfen, wenn ich mich erst einmal am Schauplatz befinde, und bis dahin vermag ich wirklich nicht zu erkennen, wie wir wesentlich weiter kommen könnten.«
Es wurde Abend, ehe wir das kleine Städtchen Tavistock erreichten, das wie der Buckel eines Schildes inmitten des weiten Runds von Dartmoor liegt. Zwei Gentlemen erwarteten uns am Bahnhof; der eine ein hochgewachsener Mann mit löwenartigem blondem Haar und Bart und merkwürdig durchdringenden, hellblauen Augen, der andere ein kleiner, lebhafter Mensch, sehr gepflegt und adrett, in Gehrock und Gamaschen, mit sauber gestutztem Backenbart und Monokel. Letzterer war Colonel Ross, der berühmte Sportsmann, der andere Inspektor Gregory, der auf dem besten Weg war, sich bei der englischen Kriminalpolizei einen Namen zu machen.
»Ich bin erfreut, daß Sie gekommen sind, Mr. Holmes«, sagte der Colonel. »Der Inspektor hier hat alles getan, was man irgend vorschlagen könnte, aber ich möchte nichts unversucht lassen, den armen Straker zu rächen und mein Pferd zurückzugewinnen.«
»Hat es irgendwelche neuen Entwicklungen gegeben?« fragte Holmes.
»Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß wir nur sehr geringe Fortschritte gemacht haben«, sagte der Inspektor. »Wir haben draußen einen offenen Wagen, und da Sie sich zweifellos den Schauplatz ansehen möchten, ehe das Tageslicht schwindet, könnten wir während der Fahrt darüber sprechen.«
Kurz darauf saßen wir alle in einem bequemen Landauer und ratterten durch die malerische alte Devonshire-Stadt. Inspektor Gregory war von seinem Fall erfüllt und sprudelte einen Schwall von Kommentaren hervor, während Holmes gelegentlich eine Frage einwarf. Colonel Ross lehnte sich mit verschränkten Armen und über die Augen geschobenem Hut zurück, und ich lauschte voll Interesse dem Gespräch der beiden Detektive. Gregory entwickelte seine Theorie, die fast genau dem entsprach, was Holmes im Zug vorausgesagt hatte.
»Das Netz hat sich ziemlich eng um Fitzroy Simpson zusammengezogen«, bemerkte er, »und ich selbst glaube, daß er unser Mann ist. Gleichzeitig bin ich mir darüber im klaren, daß es sich um reine Indizienbeweise handelt und daß eine neue Entwicklung alles umwerfen kann.«
»Was ist mit Strakers Messer?«
»Wir sind letztlich zu dem Schluß gekommen, daß er sich im Fallen selbst verletzt hat.«
»Mein Freund Dr. Watson hat auf der Herfahrt mir gegenüber diese Vermutung geäußert. Wenn das zuträfe, würde es gegen diesen Simpson sprechen.«
»Zweifellos. Er hat weder ein Messer noch das geringste Anzeichen einer Wunde. Die Beweise gegen ihn wiegen wirklich sehr schwer. Er hatte großes Interesse am Verschwinden des Favoriten, er steht unter dem Verdacht, den Stallburschen vergiftet zu haben, er war ohne Zweifel während des Unwetters im Freien, er war mit einem schweren Stock bewaffnet, und sein Halstuch wurde in der Hand des Toten gefunden. Ich glaube wirklich, wir haben genug, um vor eine Jury zu gehen.«
Holmes schüttelte den Kopf. »Ein geschickter Anwalt würde das alles in Fetzen reißen«, meinte er. »Warum hätte er das Pferd aus dem Stall holen sollen? Wenn er es verletzen wollte, warum konnte er das nicht drinnen tun? Hat man in seinem Besitz einen Zweitschlüssel gefunden? Welcher Apotheker hat ihm das Opiumpulver verkauft? Vor allem, wo könnte er, dem diese Gegend fremd ist, ein Pferd verstecken, noch dazu ein solches Pferd? Wie lautet seine eigene Erklärung für das Stück Papier, das das Mädchen dem Stallburschen übergeben sollte?«
»Er sagte, es sei eine Zehn-Pfund-Note gewesen. Man hat in seiner Börse eine gefunden. Aber Ihre anderen Probleme sind nicht so unüberwindlich, wie sie scheinen. Die Gegend ist ihm nicht fremd. Er hat im Sommer zweimal in Tavistock logiert. Das Opium hat er wahrscheinlich in London gekauft. Den Schlüssel wird er, nachdem er seinen Zweck erfüllt hatte, weggeworfen haben. Das Pferd liegt vielleicht auf dem Grunde einer der Gruben oder stillgelegten Minen im Moor.«
»Was sagt er zu dem Halstuch?«
»Er