Arthur Conan Doyle

Der Hund der Baskervilles


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Baskerville Hall zu finden. Der nächste Verwandte ist dem Vernehmen nach, falls er noch lebt, Mr. Henry Baskerville, der Sohn von Sir Charles Baskervilles jüngerem Bruder. Als man zuletzt von ihm hörte, war der junge Mann in Amerika, und Nachforschungen wurden bereits eingeleitet, um ihn von dem ihm zufallenden Erbe zu verständigen.«

      Dr. Mortimer faltete die Zeitung zusammen und steckte sie wieder in die Tasche.

      »Dies, Mr. Holmes, sind die allgemein bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit dem Tod von Sir Charles Baskerville.«

      »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, meinte Sherlock Holmes, »daß Sie mich auf einen Fall aufmerksam machen, der sicherlich viel Interessantes an sich hat. Ich habe zu jener Zeit einige Zeitungsberichte darüber gelesen, aber ich war damals mit dieser kleinen Angelegenheit der vatikanischen Kameen sehr beschäftigt, und in meinem Bestreben, dem Papst gefällig zu sein, habe ich den Überblick über einige interessante Fälle in England verloren. Dieser Artikel, sagen Sie, enthält alle allgemein bekannten Umstände?«

      »So ist es.«

      »Dann lassen Sie mich die unbekannten Umstände wissen.« Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und setzte seine gleichmütigste und kritischste Miene auf.

      »Wenn ich das tue«, erklärte Dr. Mortimer, der Anzeichen starker Gemütsbewegung aufwies, »sage ich etwas, das ich noch niemandem anvertraut habe. Mein Beweggrund dafür, daß ich es dem Coroner vorenthalten habe, ist der, daß ein Mann der Wissenschaft davor zurückschreckt, in der Öffentlichkeit einem bestehenden Aberglauben das Wort zu reden. Weiter war es ein Motiv für mich, daß, wie die Zeitung sagt, Baskerville Hall nicht bewohnt werden würde, wenn sein ohnehin recht düsterer Ruf Bestätigung fände. Aus diesen beiden Gründen fühlte ich mich berechtigt, eher weniger zu sagen, als ich wußte, da etwas anderes auch keinen praktischen Sinn gehabt hätte. Aber Ihnen gegenüber kann ich vollkommen aufrichtig sein.

      Das Moor ist sehr spärlich besiedelt, und die Menschen, die dort in der Nähe voneinander wohnen, halten natürlich zusammen. Daher habe ich Sir Charles Baskerville oft besucht. Mit Ausnahme von Mr. Frankland auf Lafter Hall und Mr. Stapleton, dem Naturforscher, gibt es im Umkreis von vielen Meilen keinen gebildeten Menschen. Sir Charles war von Natur aus zurückhaltend, aber der Zufall seiner Krankheit brachte uns zusammen, und ein gemeinsames Interesse für alles Wissenschaftliche vertiefte unsere Freundschaft. Er hatte aus Südafrika manch wissenschaftliche Kenntnis mitgebracht, und wir haben viele angenehme Abende mit Diskussionen über die vergleichende Anatomie des Buschmannes und des Hottentotten verbracht.

      Im Laufe der letzten Monate wurde mir immer klarer, daß Sir Charles' Nervensystem aufs äußerste angespannt war. Er hatte sich diese Legende, die ich Ihnen vorgelesen habe, sehr zu Herzen genommen, so sehr, daß, obschon er auf seinem eigenen Grund und Boden spazieren ging, ihn nichts dazu bringen konnte, in der Nacht auf das Moor zu gehen. So unwahrscheinlich es für Sie klingen mag, Mr. Holmes, er war davon ehrlich überzeugt, daß ein schreckliches Unheil über seiner Familie hing; und die Geschichten, die er mir von seinen Vorfahren erzählte, waren ganz und gar nicht ermunternd. Die Vorstellung eines gespenstischen Wesens hat ihn unablässig heimgesucht, und mehr als einmal hat er mich gefragt, ob ich auf meinen nächtlichen Arztvisiten nie eine sonderbare Kreatur gesehen oder das Bellen eines Hundes gehört hätte. Letztere Frage hat er mir mehrfach gestellt, und immer mit einer vor Erregung bebenden Stimme.

      Ich erinnere mich genau, wie ich, ungefähr drei Wochen vor dem Unglückstag, abends zu seinem Haus fuhr. Zufällig befand er sich im Portal der Hall. Ich war aus meinem Wagen ausgestiegen und stand ihm gegenüber, als ich plötzlich sah, wie seine Augen über meine Schulter hinwegstarrten, mit einem Ausdruck entsetzlichen Grauens. Ich habe mich rasch umgedreht und gerade noch etwas gesehen, das mir wie ein großes schwarzes Kalb vorkam und das am Ende der Zufahrt vorüberging. Er war so aufgeregt und verängstigt, daß ich zu der Stelle, wo das Tier gewesen war, zurückgehen mußte, um es zu suchen. Es war aber verschwunden, und der Zwischenfall schien einen entsetzlichen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Ich bin den ganzen Abend bei ihm geblieben, und bei dieser Gelegenheit war es, daß er, um seine Erregung zu erklären, mir zu treuen Händen das Dokument übergab, das ich Ihnen soeben vorgelesen habe. Ich erwähne diese Begebenheit, weil sie in Anbetracht der nachfolgenden Tragödie an Wichtigkeit gewinnt, aber damals war ich davon überzeugt, daß die Sache ganz harmlos sei und seine Aufregung darüber vollkommen unberechtigt.

      Auf meinen Rat hin war Sir Charles im Begriff, nach London zu reisen. Ich wußte, daß sein Herz angegriffen war, und die stete Angst, in der er lebte, so chimärisch auch deren Ursache sein mochte, war offensichtlich ernsthaft schädlich für seine Gesundheit. Ich dachte, einige Monate in der Stadt mit ihren Zerstreuungen würden einen anderen Menschen aus ihm machen. Mr. Stapleton, ein gemeinsamer Freund, der sich große Sorgen um Sir Charles' Gesundheit machte, war derselben Meinung. Im letzten Augenblick kam es dann zu dieser entsetzlichen Katastrophe.

      In der Nacht von Sir Charles' Tod schickte Barrymore den Reitknecht Perkins zu Pferde zu mir. Da ich noch wach war, konnte ich Baskerville Hall eine Stunde nach dem Unglück erreichen. Ich habe alle Einzelheiten, die später bei der Untersuchung erwähnt wurden, überprüft und bestätigt. Ich bin den Fußspuren durch die Eibenallee gefolgt, habe die Stelle neben dem Tor zum Moor gesehen, wo er anscheinend gewartet hat; ich habe die Veränderung der Fußabdrücke von dort an bemerkt, ich habe gesehen, daß es außer denen von Barrymore keine anderen Fußspuren auf dem weichen kiesbedeckten Boden gab, und schließlich habe ich sorgfältig die Leiche untersucht, die bis zu meiner Ankunft nicht berührt worden war. Sir Charles lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Gesicht, seine Finger waren in den Boden gekrallt und seine Züge von gewaltiger Erregung so verzerrt, daß ich seine Identität kaum hätte beschwören können. Ganz sicher gab es keinerlei körperlichen Schaden. Aber eine der Angaben, die Barrymore bei der Untersuchung gemacht hat, ist falsch. Er hat gesagt, um die Leiche herum seien keinerlei Spuren auf dem Boden gewesen. Er hatte keine gesehen. Aber ich. Sie waren wohl etwas weiter entfernt, aber frisch und deutlich sichtbar.«

      »Fußspuren?«

      »Fußspuren.«

      »Von einem Mann oder von einer Frau?«

      Dr. Mortimer blickte uns einen Augenblick lang sonderbar an, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, als er antwortete:

      »Mr. Holmes, es waren die Fußspuren eines gigantischen Hundes!«

      3. Das Problem

      Ich gestehe, daß es mich bei diesen Worten durchschauerte. Die bebende Stimme des Arztes zeigte, wie sehr er selbst von dem, was er uns erzählt hatte, erschüttert war. Holmes beugte sich erregt vor, und seine Augen bekamen den harten, trockenen Glanz, der aus ihnen sprühte, wenn er äußerst interessiert war.

      »Sie haben die Spuren wirklich gesehen?«

      »So deutlich, wie ich Sie jetzt sehe.«

      »Und Sie haben nichts gesagt?«

      »Was hätte es für einen Sinn gehabt?«

      »Wie kommt es, daß sonst niemand sie gesehen hat?«

      »Die Spuren waren etwa zwanzig Yards von der Leiche entfernt, und niemand hat darauf achtgegeben. Ich wohl auch nicht, wenn ich nicht die Legende gekannt hätte.«

      »Gibt es nicht viele Schäferhunde auf dem Moor?«

      »Gewiß, aber das war kein Schäferhund.«

      »Sie sagen, er war groß?«

      »Riesengroß.«

      »Aber er hatte sich der Leiche nicht genähert?«

      »Nein.«

      »Wie war denn die Nacht?«

      »Kalt und feucht.«

      »Es hat aber nicht mehr geregnet?«

      »Nein.«

      »Wie sieht diese Allee aus?«

      »Sie besteht aus zwei Reihen alter Eibenhecken, die zwölf Fuß hoch und undurchdringlich dicht sind.