Dirk van den Boom

Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3


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diese Brücke wollte keiner von ihnen gehen.

      Aber möglicherweise hatten sie keine Wahl.

      3

       Panik, Panik, Panik.

      Es einmal zu sagen, hätte wahrscheinlich schon gereicht, aber Heinrichs fand, dass die Verdreifachung dieses Wortes die Gesamtstimmung so viel besser ausdrückte. Nicht an Bord der Santiago, nicht unter seiner Mannschaft, die aufgrund ihrer besonderen Mission aus Persönlichkeiten ausgewählt worden war, die eher nicht so leicht die Nerven verloren. Aber für den Rest des Imperiums, zumindest dem, der lautstark die Funkwellen belagerte, schien diese Triade des Nervenzusammenbruchs zu gelten. Man musste selbst gar nichts sagen, einfach nur zuhören.

      Die Beschwichtigungsversuche der Regierung. Die Direktübertragungen aus dem Serail. Das völlige Zusammenbrechen eines jeden Versuchs der Geheimhaltung. Die panische Reaktion von Offiziellen, die jedes Vertrauen in die Beteuerungen des Generalstabs verloren hatten. Hamsterkäufe. Ticketpreise für Passagierliner, die ins Astronomische gingen – wobei niemand wusste, wo er überhaupt hinreisen sollte. Wo war es denn sicher? Welche Welt bot Zuflucht? Im Serail, den alten Welten des Imperiums, waren so viele Festungen gewesen, Flotten und so viel Selbstgefälligkeit, und alle drei hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst.

      Heinrichs wunderte sich nicht. Über gar nichts. Es war trotzdem bemerkenswert, wie vor seinen Augen die Ordnung seiner Heimat dermaßen in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Es war traurig. Ernüchternd. Ein klein wenig deprimierend. Irgendwo hatte man ja doch noch daran geglaubt, dass da irgendwo jemand war, der das Heft des Handelns in der Hand hatte und wusste, was zu tun war.

      Wo auch immer diese Person war, sie schwieg. Und das war in dieser Situation wirklich keine gute Idee. Man fühlte sich alleingelassen. Das Schweigen war sozusagen ohrenbetäubend.

      Shibutani stellte sich neben ihn. Die Santiago schwebte immer noch unweit der Flottenstation, wo sie Agentin Pia Trowski begegnet waren. Diese hatte ihnen von ihrem alten Bekannten, dem Agenten Vigil, erzählt und dass er »die Sache« jetzt in die Hand nehmen würde. Sie mochte ihn nicht. Dennoch vertraute sie seinen Fähigkeiten. Shibutani mochte Pia Trowski nicht und brachte ihr allerhöchstes Misstrauen entgegen und für beides hatte Heinrichs größtes Verständnis. Aber der Gedanke allein, dass da jemand war, der was tat, war tröstlich. Viel schlimmer konnte es ja nicht mehr werden.

      »Captain, Sir!«

      »Fang nicht so an!«

      »Valentijn, wir müssen was tun.«

      Heinrichs nickte, gestikulierte in Richtung seiner Kabine. Es war besser, das notwendige Gespräch unter vier Augen zu führen. Als sie beide in seinem Raum Platz genommen hatten, fiel Shibutanis Blick auf die Schachtel mit Schokoladenpralinen, die sich Heinrichs von der Station hatte liefern lassen. Eine persönliche Schwäche, der Luxus, den sich ein Kommandant leisten konnte. Er hatte sie geöffnet und so stehen lassen, nicht ein Stück fehlte. Shibutanis begehrlicher Blick aber ließ sich nicht übersehen.

      »Nimm dir!«

      Es gab vier herzförmige Stücke, die vier größten Pralinen. Zielsicher griff der Erste Offizier nach einem der vier Herzen und schob es sich in den Mund. Die Schokolade knackte zwischen seinen Zähnen. Shibutani kaute, als handele es sich um ein Sandwich.

      Er war ein Banause. Heinrichs bereute sofort, ihn eingeladen zu haben, nahm die Schachtel, klappte sie zu und signalisierte damit das Ende jeder Großzügigkeit.

      »Haben wir Befehle von der Leitstelle?«, fragte Heinrichs in das Kauen hinein.

      Der Erste Offizier zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dass die uns im derzeitigen Durcheinander auf dem Schirm haben. Aber höre meine Worte: Sobald die ihre Nerven in den Griff bekommen, werden sie alle Schiffe zusammenziehen, um sie in einer großen, farbenprächtigen und sinnlosen Schlacht zu opfern, weil ihnen schlicht nichts Besseres mehr einfällt.«

      »Du bist ein pessimistischer Mann.«

      »Ich bin ein prophetischer Mann.«

      Und es war, wie es war. Heinrichs war unlängst zum gleichen Schluss gekommen und er hatte im Stillen eine Entscheidung getroffen. Sie war potenziell fatal, aber angesichts der mit Sicherheit zu erwartenden Alternative nicht fataler, als brav den Befehlen zu folgen.

      Shibutani sah ihn forschend an.

      »Du hast etwas vor. Ich sehe es dir an. Dieser Blick – du hast entweder die falschen Drogen genommen oder einen Plan.«

      »Plan wäre zu viel gesagt. Aber du hast doch gemeint, wir müssten etwas tun. Willst du dich jetzt ernsthaft beschweren?«

      »Eine bescheuerte Idee also?«

      »Das kommt der Sache wohl näher.«

      Shibutani war nicht beeindruckt. Er war Offizier auf einem Monitor und das war nun einmal kein Job für die Kleinherzigen.

      »Wir müssen um Hilfe bitten. Das Imperium schafft das hier nicht alleine. Und ich bin mir sicher, unsere Führung ist zu stolz, um zu tun, was zu tun ist. Also müssen wir es erledigen. Ich habe als Attaché in einer Botschaft gearbeitet. Du hast drei Flottenbesuche durchgeführt, als die Zeiten noch besser waren.«

      »Es gab mal bessere Zeiten?«

      »Du hörst mir nicht zu!«

      »Ich höre dir gut zu. Ich habe Flottenbesuche in der Padarischen Konföderation gemacht. Du warst Attaché in der Botschaft bei den Simmi. Du redest von den beiden mächtigsten und wichtigsten Sternenstaaten voller blutdurstiger Aliens, die uns alle nicht abkönnen.«

      »Sie können uns nicht leiden, das stimmt. Und ich kann die meisten von ihnen auch nicht leiden. Aber das sollte jetzt wirklich nicht das ausschlaggebende Argument sein.«

      Shibutani beugte sich nach vorne, sprach leise.

      »Das könnte man als Hochverrat auslegen.«

      »Wenn wir Erfolg haben, sind wir Helden. Wenn wir scheitern, wird uns allen sehr kalt. Da möchte ich die rechtlichen Fragestellungen doch eher vernachlässigen.«

      »Was ist, wenn wir da auftauchen und einfach weggeballert werden? Ich meine … wir sind keine Verbündeten, nicht einmal Freunde.«

      »Niemand ist unser Freund und genau das fliegt uns derzeit ins Gesicht. Zeit, dass wir das ändern.«

      »Du meinst das ernst?«

      Heinrichs nickte. »Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Aktionen. Bist du dabei? Ich schlage vor, dass wir es erst einmal mit den Simmi versuchen. Die sind auf ihre Art zugänglich.«

      Der Erste Offizier überlegte nicht lange. »Ich kann dich bei so etwas nicht alleine lassen, du richtest zu viel Schaden an. Aber was ist mit dem Rest der Mannschaft?«

      Ein berechtigter Einwand und eine potenzielle Hürde, wie Heinrichs wusste.

      »Ich rede mit allen. Ich werde niemanden zwingen, aber wer dagegen ist, kommt in die Brig und macht Urlaub. Ich kann keine Plappermäuler gebrauchen.«

      Shibutani zeigte nicht sofort, was er von diesem Vorgehen hielt. Er überlegte kurz. Als Erster Offizier kannte er die Besatzung der Santiago wie kein Zweiter. Dann lächelte er und sah nicht so aus, als würde er erwarten, besonders viele seiner Crew ins Gefängnis stecken zu müssen.

      »Dann sind wir uns einig?«, fragte der Kommandant.

      »Nehmen wir die Trowski mit? Ich glaube, sie wäre die Art von Persönlichkeit, die an derlei Gefallen finden könnte.«

      Heinrichs fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits war es vielleicht nicht schlecht, eine Agentin des Geheimdienstes an der Seite zu haben, die ihre eigenen Kontakte und Ressourcen einbrachte. Andererseits war es vielleicht schlecht, eine Agentin des Geheimdienstes an der Seite zu haben, die genau das war: eine verdammte Agentin des verdammten Geheimdienstes. Heinrichs wusste nicht ganz, ob der Vergleich mit dem Teufel und dem Beelzebub hier passte, aber völlig abwegig war er gewiss nicht. Darüber hinaus war