Johannes Müller-Salo

Klima, Sprache und Moral. Eine philosophische Kritik


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erkennt auch der Papst an, dass der Klimawandel zukünftige Generationen massiv zu schädigen droht:

      Wir könnten den nächsten Generationen zu viel Schutt, Wüsten und Schmutz hinterlassen. Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastrophen enden kann.7

      Dennoch lässt er keine Zweifel am Recht ärmerer Staaten, die Bekämpfung gegenwärtiger Armut vorzuziehen: »Die armen Länder müssen notwendig der Ausrottung des Elends und der sozialen Entwicklung ihrer Bewohner den Vorrang einräumen.«8 Wer sich der schwierigen Frage stellt, welchen Beitrag Entwicklungs- und Schwellenländer zur globalen Reduktion der Emission von Treibhausgasen leisten müssen, wird ausgehend von Thunberg sicher zu anderen Ergebnissen kommen als im Anschluss an die päpstliche Position.

      Auch sonst sind die Unterschiede unübersehbar. So ist Thunbergs Blick durchweg in die Zukunft gerichtet – auch mit Blick auf den globalen Konflikt zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden: Die Staaten des Nordens müssten ehrgeizige Klimaschutzziele erreichen, um den Staaten des Südens die für zukünftige wirtschaftliche und soziale Entwicklung benötigten Spielräume zu ermöglichen.9 Papst Franziskus hingegen blickt nicht nur nach vorn, sondern auch zurück, wenn er an vergangene Ungerechtigkeiten, an die »ökologische Schuld« des Nordens gegenüber dem Süden erinnert10 und davor warnt, dass die »Internationalisierung der Umweltkosten« mit der Gefahr verbunden sei,

      dass den Ländern, die über weniger Mittel verfügen, schwerwiegende Verpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen aufgebürdet werden, die denen der am stärksten industrialisierten Länder vergleichbar sind. […] Auf diese Weise kommt im Gewand des Umweltschutzes eine neue Ungerechtigkeit hinzu. Wie immer trifft es die Schwächsten.11

      Ebenso lohnt ein kurzer Blick auf das Problem der Motivation. Thunberg stellt die Gefahr der zukünftigen Klimakatastrophe in den Mittelpunkt. Sie spricht vom bevorstehenden »albtraumhafte[n] Szenario«, das ihren »Hilferuf« begründet – und verlangt: »Ich will, dass ihr in Panik geratet«.12 Es ist also vor allem die Einsicht in das drohende Unheil und das Wissen um ein immer enger werdendes Zeitfenster, in dem erfolgreiches Gegensteuern noch möglich ist, welches Menschen zum Handeln veranlassen soll.

      In Laudato si’ hingegen erinnert der Papst an das facettenreiche Reservoir an Handlungsmotivationen, die in einer hochentwickelten amtskirchlichen Theologie und globalen religiösen Praxis zur Verfügung stehen – von schöpfungstheologischen Überlegungen über christliche Pflichten der Sorge um die Armen und die Welt bis hin zu mystischen Ideen der Präsenz Gottes in jedem Stück Natur.13 Während Thunberg den untätig bleibenden Eliten der Welt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos entgegenhält: »Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid«14, verlangt der Papst betont optimistisch, Freude und Hoffnung angesichts »unserer Kämpfe und unserer Sorgen um diesen Planeten« nicht zu verlieren: »Gehen wir singend voran!«15

      Es geht nun sicher nicht darum, der einen oder der anderen Seite recht zu geben – und noch weniger darum, die Reden einer Schülerin mit demselben Maßstab zu messen wie ein komplexes, unter Mitwirkung zahlreicher Gremien und Amtsträger entstandenes kirchliches Lehrschreiben. Thunbergs Reden und Franziskus’ Enzyklika illustrieren vielmehr eindrücklich, wie offen derselbe klimawissenschaftliche Befund – der nicht nur von Thunberg, sondern auch im päpstlichen Text unmissverständlich akzeptiert wird – für verschiedene normative Deutungen ist. Eben aus diesem Grund müssen wir uns fragen, wie, unter Bezugnahme auf welche Normen und Wertungen, unter Verwendung welcher Begriffe und unter Rückgriff auf welche Motivationsressourcen, sich eine Gesellschaft die Erkenntnisse der Wissenschaft im klimapolitischen Diskurs aneignet.

      2. Von Schöpfern und Erben

      Wer von Normen des Umwelt- und Klimaschutzes spricht, spricht nicht selten von der Pflicht, die Schöpfung bzw. das natürliche Erbe oder Umwelterbe für die eigene Gegenwart und für kommende Generationen erhalten zu müssen. Die Begriffe der Schöpfung und des natürlichen Erbes gehören zu den Begriffen, die seit Jahrzehnten den umweltpolitischen Diskurs prägen. In beiden Fällen handelt es sich um dichte Begriffe, in denen die Beschreibung natürlicher Umwelten und Prozesse mit deren positiver Bewertung aufs engste verknüpft ist – und beide Begriffe werfen bei näherem Hinsehen Probleme auf.

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