Peter Wehle

Beethoven


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      Aber Beethovens Herkunft ermöglichte sein Wien-Sein nur zu einem Teil, den wichtigsten Anteil daran hatte … Beethoven!

      Wobei nicht nur seine Genialität, sondern auch sein höchst selbstbewusstes Auftreten für Aufsehen sorgte und schon bald zu seinem Erfolg beitrug. Beethoven brauchte die Aristokratie, um gut zu leben, aber er wusste, dass die adeligen Damen und Herren noch mehr ihn benötigten, um den stürmisch gewordenen Wind der neuen Zeit, wenn auch gesittet, durch ihre Palaissuiten wehen zu lassen und um nicht vor Langeweile zu sterben, denn dieser junge Musiker beherrschte die Kunst des pianistischen Fantasierens in einer Art und Weise, die zu manch Fantasien anregte.

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      „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozart’s Geist aus Haydens Händen.“ – Graf Ferdinand Ernst von Waldstein-Wartenberg (1762–1823)

      Beethoven verstand es, auf dem schmalen Grat zwischen Unnahbarkeit und Verlässlichkeit zu wandeln, zwischen der „ganz ungebändigten Persönlichkeit“ (als die ihn Goethe 20 Jahre später in seinem Brief an Carl Friedrich Zelter vom 2. September 1812 bezeichnete) und dem zuverlässigen glänzenden Virtuosen, der mit seinen Interpretationen (zum Beispiel Bach’scher Präludien und Fugen) und seinem exzellenten Vom-Blatt-Spiel gepflegte Soireen in unvergessliche Abende verwandelte.

      Der Erste, der sich die Dienste des jungen Starpianisten sicherte, war Karl Fürst Lichnowsky, weitere Musikkenner – wie Joseph Franz Maximilian von Lobkowitz oder Gottfried van Swieten – folgten.

      In der schon erwähnten, durchaus mit Vorsicht zu genießenden, Beethoven-Biografie Anton Schindlers lassen sich folgende, in dem Fall vertrauenswürdige, Zeilen über den Sohn des legendären Hofarztes Gerard van Swieten lesen:

      „Dieser Kunst Maecen war der Cicerone des neuen Ankömmlings, den er bald an seine Person, wie auch an sein Haus zu fesseln verstand. Die Versammlungen in diesem Hause hatten im Verlauf für Beethoven das Besondere, […] daß er stets am längsten aushalten mußte, denn der alte Herr war ein musicalischer Nimmersatt. So kam es, daß er Beethoven in der Regel spät fortließ, weil dieser sich bequemen mußte noch eine Anzahl Fugen von Seb. Bach ‚zum Abendsegen‘ vorzutragen.

      Ein von diesem seltenen Manne an Beethoven gerichtetes Billet […] lautet wörtlich:

      An Herrn Beethoven in der Alstergasse, No. 45 bei dem Herrn Fürsten Lichnowsky.

      Wenn Sie künftigen Mittwoch nicht verhindert sind, so wünsche ich Sie um halb neun Uhr Abends mit der Schlafhaube im Sack bei mir zu sehen. Geben Sie mir unverzüglich Antwort. Swieten“

      Die Adresse war kein Irrtum, Fürst Lichnowsky hatte nicht nur Beethovens Genie früh erkannt, sondern ihm auch eine noble Bleibe angeboten. Ob er dabei nur an den Virtuosen und den Komponisten als Aushängeschild seiner Konzerte oder auch an einen interessanten Gesprächspartner bei Tisch bei einem späten Mittagessen dachte, sei dahingestellt – Letzteres musste sich Fürst Lichnowsky aber schon bald abschminken, wie den Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven Franz Gerhard Wegelers und Ferdinand Ries’ zu entnehmen ist: „Nun soll ich“, sagte Beethoven, „täglich um halb 4 Uhr zu Hause sein, mich etwas besser anziehen, für den Bart sorgen u.s.w. – Das halt’ ich nicht aus!“

      Wie so oft zeigte sich Beethoven, wenn es um persönliche Beziehungen ging, etwas schwierig, aber als „vielfacher Musiker“ – als Interpret wie als Komponist – unkompliziert und intensiv. Das betraf ebenso die Arbeit mit anderen Klangkörpern – zum Beispiel dem Lichnowsky-Quartett.

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      Beethoven 1802, nach einer Elfenbeinminiatur von Christian Horneman

      Selbst ein ausgezeichneter Dilettant am Klavier und auf der Geige, finanzierte der Fürst das vierköpfige Streicherensemble aus zwei Geigen, einer Bratsche und einem Cello, das wöchentlich am Freitagvormittag vor geladenen Gästen musizierte. Die einzelnen Musiker waren alle sehr jung, was dem Ensemble den Spitznamen „Knaben-Quartett“ einbrachte. Sogar am ersten Pult saß ein erst 18-Jähriger, dessen Namen noch einen eigenen, edlen Klang bekommen sollte: Ignaz Schuppanzigh. Im Laufe seines Lebens würde er noch einige Streichquartette gründen und mit ihnen stürmische Erfolge feiern, aber selbst in seinen Anfängen ließ er bereits seine außergewöhnliche Qualität erkennen, aus vier Musikern ein Klang-Kollektiv zu formen. Nicht im Wettbewerb – „Ich spiel sowieso am schönsten! Dafür ich am lautesten! Und ich überhaupt am besten! Und ich erst!“ – gegeneinander „anzustreichen“, sondern den wahren Kompositionsklang zu suchen und hörbar zu machen, dafür arbeitete Schuppanzigh sein Leben lang.

      Ein Leben, das nur drei Jahre länger als Beethovens dauern sollte. Aber jetzt, Anfang der 1790er-Jahre, ahnten beide noch nicht, dass sie ihr gemeinsamer musikalischer Weg über 30 Jahre bis zu mancher Uraufführung von Beethovens 16 Streichquartetten führen sollte.

      LEBENSLÄNGLICH WIEN

      Eigentlich war Beethoven nur zu einem Studienaufenthalt nach Wien gekommen – einer kurzen Bildungsetappe, die letztlich jedoch mehr als 34 Jahre andauern sollte. Als er im November 1792 in Wien ankam, betrat Beethoven keinen fremden Boden – das heißt, ihm war der Boden trotz seines 1787er-Mozart-Trips noch großteils fremd, aber er nicht dem Boden, denn dank verschiedener aristokratischer Netzwerke war die musikbegeisterte Kaiserstadt wohlinformiert, welch vitales Künstlerblut ihr zuströmte – und Wien war diesbezüglich ein Vampir, ganz besonders die Aristokratie liebte eine kräftigende Auffrischung.

      Zum einen waren es diese offenen Arme, die Beethoven auf Jahrzehnte umschlossen, zum anderen mag die Nachricht vom Tode seines Vaters am 18. Dezember 1792 dazu beigetragen haben, Rückkehrgedanken zu verringern – erst recht, da seine Brüder Kaspar Anton Karl 1794 und Nikolaus Johann 1795 nach Wien folgten. Aber auch andere Vertraute aus Bonner Zeiten fand Beethoven in Wien wieder – so musste sein Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler 1794 als Rektor der Universität Bonn vor den französischen Truppen fliehen … und kam auf zwei Jahre nach Wien. 1801 zog Stephan von Breuning nach Wien, und im selben Jahr sandte Beethovens ehemaliger Geigenlehrer Franz Anton Ries seinen Sohn Ferdinand zu ihm in den Klavierunterricht.

      Und dann gab es da noch den einen, einstweilen überlebenswichtigen Bezug zu Bonn, der sich allerdings gleich zu Beginn des Jahres 1793 in Luft aufzulösen drohte … das liebe Geld. Drei Jahre und zwei Monate zuvor, am 20. November 1789, hatte Fürsterzbischof Maximilian Franz dem Ansuchen Ludwig van Beethovens um finanzielle Unterstützung stattgegeben und entschieden, ihm zusätzlich zu seinem eigenen Gehalt in der Höhe von 100 Talern die Hälfte der verbliebenen Zuwendung an den Vater – zufällig ebenfalls 100 Taler – auszuzahlen, damit er sich um „die Erziehung seiner Geschwistrigen“ kümmern könne. Damals wollte Ludwig die kurfürstliche Zusage sofort der zuständigen Behörde vorlegen, unterließ aber dann – auf flehendes Bitten seines Vaters, ihn nicht in der Öffentlichkeit zu blamieren – diesen Schritt. Sein Vater schlug ihm folgenden Deal vor: Er, Johann van Beethoven, würde weiterhin 200 Taler im Jahr bekommen, davon aber seinem Sohn, der kurfürstlichen Zusage folgend, vierteljährlich jeweils 25 Taler überlassen. Der Fürsterzbischof würde schon nichts von ihrem Gentlemen’s Agreement erfahren, und unterm Strich geschähe doch ohnehin alles ganz in dessen und Ludwigs Sinn – das müsse man doch nicht an die große Glocke hängen und ihn damit dem Bonner Spott preisgeben. Und tatsächlich hielt Johann van Beethoven Wort und ließ seinem ältesten Sohn alle drei Monate den versprochenen Betrag zukommen.

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      Maximilian Franz von Österreich (1756–1801), Kurfürst und Erzbischof von Köln

      Aber nun, nach dem Tod des Vaters, war diese Quelle zur Gänze versiegt, obwohl Ludwig das Geld – durchaus auch für seine jüngeren Brüder – dringend benötigte. Was also tun? Das Naheliegendste, wenn auch in der Bonner Ferne: Ludwig van Beethoven dürfte seinen Freund Ferdinand Ries gebeten haben, das einstige Dekret im väterlichen Nachlass