Grasflächen, die von Bäumen und Hecken umrahmt wurden. Alles wirkte wilder, verwucherter, unberechenbarer.
»Lass uns kämpfen.« Ich hielt in der Bewegung inne, die Flasche zuzuschrauben.
»Was?«
»Kämpfen«, wiederholte er, als würde er mit einem Kind reden. Ich stellte die Flasche zu seiner in den Schatten eines Baumes.
»Wieso jetzt?« Wir hatten das letzte Mal offiziell gegeneinander gekämpft, als Dorian sehen wollte, wie fähig ich war. Da ich keine Lust gehabt hatte, ihm zu gehorchen, hatte ich mich freiwillig zusammenschlagen lassen.
Gareth trat näher. Sein Körper zeugte von Spannung und Gefahr, von beidem wurde ich angesteckt.
»Theoretisch besitzt du mittlerweile die Fähigkeit zu gewinnen«, antwortete er so lässig, als wäre es keine große Sache. Anscheinend wollte er mit dem Kampf herausfinden, ob es wirklich so war.
»Nur theoretisch?« Wir begannen uns zu umkreisen. Ich konnte mich nur noch nicht entscheiden, wer von uns beiden das Raubtier und wer die Beute war.
»Du musst dich besser konzentrieren. Mehr sehen«, sagte er leise und danach sprachen wir für sehr lange Zeit nicht mehr.
Ich preschte nach vorne, wich seiner Linken aus und packte seine Schulter. Er hatte mit der Bewegung gerechnet, duckte sich und drehte sich aus meinem Griff heraus. Bevor er mir seinen Fuß in die Seite rammen konnte, wich ich aus seiner Reichweite.
Das Spiel wiederholte sich mehrmals und nach einer Weile bemerkte ich, dass Gareth recht hatte. Ich besaß durchaus die kampftechnischen Fähigkeiten, um ihn zu besiegen. Die Frage war nur, hatte ich neben dem körperlichen auch das psychische Durchhaltevermögen?
Es war erstaunlich, wie wenige Treffer er landete. Noch vor einem Monat hätte er mich in nicht mal zwei Minuten k. o. geschlagen. Nein, er hatte mich tatsächlich k. o. geschlagen, als ich in einem Kampf gegen Ophelia die Kontrolle verloren hatte. Damals hatte ich ihm nichts entgegensetzen können. Mit Schaudern erinnerte ich mich daran, wie er meine Schulter ausgekugelt und meine Nase gebrochen hatte.
»Konzentrier dich«, zischte Gareth, der wahrscheinlich an meinem Blick gemerkt hatte, dass meine Gedanken abgedriftet waren.
Ich schüttelte mich innerlich und leistete seinem Befehl Folge. Es fiel mir zunehmend schwerer, seinen Schlägen und Tritten auszuweichen und gleichzeitig einen passenden Moment zu finden, in dem ich ihn angreifen konnte. Ich fühlte mich immer weiter in die Ecke gedrängt, obwohl wir die Lichtung nicht einmal verließen. Es war eher ein unterschwelliges Gefühl, das mir außerdem sagte, dass ich den Kampf entweder jetzt gewinnen oder verlieren würde.
Während eines Ausfallschritts seinerseits dachte ich, ich könnte ihn mit einem schwungvollen Kick in die Bauchhöhle auf den Boden befördern. Zu spät erkannte ich, dass er mich nur hatte locken wollen. Er wartete auf mich, reagierte in einem übernatürlichen Tempo und umfasste meinen Knöchel. Meinen Schwung nutzend wirbelte er mich herum, sodass ich den Halt verlor und gegen einen Baum geschleudert wurde. Im letzten Moment riss ich die Hände hoch, die meinen Aufprall deutlich abmilderten. Gareth war sofort hinter mir, presste seinen Körper an meinen und verhinderte, dass ich den Kampf wieder aufnehmen konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. Allerdings fühlte ich mich bei Gott nicht mehr dazu in der Lage. Alles schmerzte.
»Gewonnen«, raunte er mit seiner dunklen Stimme so nahe an meinem Ohr, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spürte. Eigentlich konnte ich alles von ihm spüren, während unser beider Atem unregelmäßig und schwer geworden war.
»Zufrieden?«, murrte ich. In meinem Bauch flatterten Schmetterlinge, als seine Hände meine Hüfte berührten und dann … mein Waidblatt hervorholten.
»Jetzt.« Er drückte die Klinge für eine Sekunde an meinen Hals, ehe er von mir abließ, sodass ich mich von der Rinde wegdrehen konnte. Er grinste verschlagen. So, wie ich ihn noch nie lächeln gesehen hatte.
»Du …«, begann ich, aber ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte und schüttelte nur den Kopf. Er reichte mir das Waidblatt mit dem Griff voran, das ich zögerlich annahm. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als sich unsere Finger berührten und unsere Blicke sich trafen. Schnell steckte ich das Messer ein.
»Du hast dich gut geschlagen«, zollte er mir schließlich Respekt. »Wir müssen zurück.«
In der Tat war die Sonne bereits so tief gesunken, dass sie längst nicht mehr zu sehen war. Die Nacht würde sich schon bald über die Stadt gelegt haben.
»Gareth?« Wir hatten die Wasserflaschen aufgeklaubt und waren bereits ein paar Schritte in Richtung Rathaus gegangen, als ich ihn noch einmal zurückhielt. Fragend sah er mich über seine linke Schulter hinweg an. »Wieso hast du dich nicht gewandelt, als wir gegen die Kaskaden gekämpft haben? Alle haben sich gewandelt.« Nur du nicht.
Er unterbrach den Blickkontakt und ging weiter. Seufzend begab ich mich an seine Seite. Ich wusste, er würde mir nicht antworten, selbst wenn ich weiterbohrte. Viel eher würde er sich verschließen und die freien Momente, die wir während und nach dem Kampf erlebt hatten, würden der Vergangenheit angehören.
»Ich bin nicht so perfekt, wie du vielleicht denkst«, sagte er in die Stille hinein. Wir hatten mittlerweile den Kiesweg erreicht, der direkt zur Terrasse führte.
»Das habe ich keine Sekunde angenommen«, lachte ich. »Ich finde, du bist stur, brutal und leidest unter Kontrollzwang.«
Während des letzten Wortes zuckte er zusammen. Zunächst wollte ich diese unbedachte Reaktion übergehen, bis die Erkenntnis einsetzte.
»Du verlierst die Kontrolle?« Meine Stimme war leise, aber fest. Ich hielt ihn mit einer Hand an seinem Unterarm zurück. Seine Augen huschten zu der Stelle, an der ich ihn berührte. Sofort gab ich seinen Arm wieder frei.
»Ja«, gab er zu. Er wischte sich mit den Händen übers Gesicht. Diese Geste schien so menschlich und verletzbar und passte nicht zu dem Bild, das ich von ihm hatte. »Nicht immer, aber insbesondere in einem Kampf, einer heiklen Situation, in der es um Leben und Tod geht … ich bin stark, Alison. Und das sage ich dieses Mal nicht, um dich zu beeindrucken.« Ich hob eine Augenbraue. Als ob er es sonst sagen würde, um mich zu beeindrucken. »Ich bin sogar so stark, dass ich Dorian besiegen könnte, wenn ich wollte. In so einem Zustand würde ich allerdings jeden töten, der mir in die Quere käme. Es ist fast unmöglich für mich, von allein aus diesem Teufelskreis auszubrechen.«
»Aber wie gelingt es dir denn sonst?«
Bitterkeit hatte sich in seine Züge gegraben, als er mich wieder ansah. »Gar nicht. Ich vermeide es, mich zu wandeln, und trainiere stattdessen so hart, damit ich jeden Dämon töten kann, ohne mich zu wandeln.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Ich wollte etwas erwidern; wollte ihm Trost spenden und das erschreckte mich am meisten.
Bevor ich etwas Dummes tun konnte, wie seine Hand zu nehmen, wurden wir von den anderen Novizen entdeckt. Das zweite Training würde gleich beginnen.
Gareth hielt meinen Blick noch einen Moment länger fest, ehe er zurück ins Haus ging.
Ich fühlte mich plötzlich leer und kalt.
Kapitel Sieben
Der Jäger
Evan verweilte neben dem Stand eines Obsthändlers und hielt prüfend einen dunkelroten Apfel in der Hand, als er den Aufruhr vernahm, der von dem Geräusch schwerer Kutschen, die über die Pflastersteine rumpelten, begleitet wurde. Neugierig beeilte er sich, den Apfel zu bezahlen, bevor er, seinen Hals streckend, an die Stelle vordrang, an der er die Neuankömmlinge vermutete.
Die meisten Menschen bewegten sich in die entgegengesetzte Richtung, was nur Eines bedeuten konnte: Der Dämonenkönig Ascia war zurück. Seit Evans Ankunft hatte er Gerüchte darüber vernommen,