in den leeren Kasten ergoß und das Klappern und Prasseln die Stille der Geisterstunde zerriß, brachte Charly Dillon endlich ganze vier Worte über die Lippen, und sie beschrieben haargenau das, woran auch Mort Dillon dachte:
»Wo – ist – das – Geld?«
*
Plötzlich wurde sein Gesicht aschgrau, seine Augen weiteten sich, als überkäme ihn eine fürchterliche Angst. Aus seinem Mund drang zuerst ein Stöhnen, bis er dumpf lallte, herumfuhr und mit vor Grauen aus den Höhlen quellenden Augen auf die niedrige Mauer und die alten Gräber stierte.
Charly Dillon hob abwehrend die Hände, während er Schritt für Schritt zurückwich und hinter seinem stummen, wie gelähmt in den leeren Kasten starrenden Bruder Schutz suchte.
»Flemming!« brach es nach einem gurgelnden Laut von Charlys Lippen. »Flemming hat sich sein Geld geholt! Die Toten gehen um, die Gerippe steigen aus den Gräbern!«
In diesem Augenblick explodierte etwas in Mort Dillon. Zuerst hatte er die Angst Charlys erleben müssen, sein jammerndes Gerede, die abergläubische Furcht vor der Geisterstunde. Dann hatte er in dem Gefühl, daß er selbst Marshal Logan hereingelegt hatte, den Kasten geöffnet und die Ölhaut auseinandergeschlagen – noch immer triumphierend, davon überzeugt, daß er klüger, gerissener, listiger als alle anderen war. Und nun war nur die zusammengefaltete Zeitung statt des Geldpaketes zum Vorschein gekommen. Keine harten Dollars im Lederbeutel – Steine, nichts als Steine! Und nun diese irre Angst Charlys, sein zuckendes graues Gesicht, die flackernden Augen, der lallende Mund…
Mort flog herum, den Arm jäh ausgestreckt, die Faust geballt. Wut, Enttäuschung, Verachtung – all das brachte ihn zur Raserei. Er war sonst eiskalt, aber reizte man ihn, konnte er zum wandelnden Satan werden. Das hatten jene erlebt, die im Statejail geglaubt hatten, daß man von Neulingen Geld und Essen erben konnte. Wenn er in Wut geriet, dann war er wie ein bösartiges, wildes Tier.
Die Faust schoß herum und traf Charly über dem linken Ohr. Der fürchterliche Hieb schleuderte Charly Dillon über den Kasten. Er fiel mit einem abgerissenen Schrei zu Boden und sah den Stiefel kommen. Dann warf ihn der Tritt in die Rippen auf die Seite. Über ihm war Morts vor Wut und Haß verzerrtes Gesicht, ehe die Hände ihn packten und hochrissen, Schläge von rechts und links an seinen armen Kopf klatschten, daß es ihn hin und her riß.
»Idiot!« fauchte Mort Dillon. »Du gehirnloser Narr, du Hosensch… ich schlage dich windelweich, ich prügele dir deine Drecksangst aus dem Leib! Flemming hat es geholt – Flemming hat sich klappernd durch die Erde gewühlt, was? Und jetzt spielt er mit Miguel Sanchez um die ewige Seligkeit, was?«
»Morton – bitte…!«
»Immer muß man dir sagen, was du zu tun hast, immer muß ich auf dich aufpassen, du Trottel, weil du sonst nur Blödsinn anstellst. Angst vor den Toten, vor Geistern?«
Er stieß ihn zu Boden und gab ihm noch einen Tritt. Dann blieb er geduckt über ihm stehen und keuchte schwer, den Blick ins Leere gerichtet, seltsam stumpf jetzt der Ausdruck seiner Augen – beinahe irr war es, dieses Irgendwohinstarren.
Stille herrschte nun wieder auf dem alten Mexikanerfriedhof, gespenstische Stille, in die nur Charlys dünnes Wimmern drang. Der bärtige Dillon stand da und starrte in die Ferne, sah dennoch Bilder – das Bild einer Frau, schlank, vollbusig, langhaarig – rotschimmerndes Haar, lockende Lippen, blitzende Augen…
Plötzlich kam die Erinnerung an Tom Pillars Saloon zurück, an die Frau hinter dem Tresen in der verräucherten Kneipe jenseits der Grenze und westlich von Raton, wo sich jene trafen, die an der Grenze Geschäfte machten, wohin kein Sheriff ohne drei Deputies ritt, weil er sonst nicht lebend aus Comanche zurückgekommen wäre. So hieß das Nest, in dem sich all das Gesindel immer traf. Kein Sheriff ritt gern nach Comanche!
»Elisabetha!« sagte Dillon leise. Sein Mund formte den Namen und ließ ihn wie eine Beschwörungsformel durch die Stille dringen. »Liza Palucco…«
Charly wimmerte nicht mehr. Der einzige Mann, der jemals blond auf die Welt gekommen und auch blond in einer Familie von Schwarzhaarigen gewesen war, hörte den Namen und zuckte zusammen, vergaß sein Gewimmer, seine Schmerzen.
Liza Palucco – Liza? Was sollte der Name, was sollte die Erinnerung an eine Frau, die für Geld mit jedem Mann die knarrende Stiege zum Giebelzimmer in Tom Pillars Saloon hochgestiegen war? Nun gut, sie war Morts Freundin gewesen, sie hatte den bärenstarken Mort Dillon anderen Männern vorgezogen und war verschwiegen gewesen – stumm wie ein Grab, wenn es Geheimnisse unter Männern gegeben hatte, die sie mit anhörte.
»Liza!« zischte der bärtige Dillon. »Liza!«
Nur nicht fragen, dachte Charly, der weder lesen noch schreiben, aber seltsamerweise mit Karten umgehen konnte wie kaum jemand. Die bunten Bilder hatten ihn schon als Kind angelockt, er hatte mit den Karten gespielt, er war mit ihnen aufgewachsen – nur jetzt keine Frage stellen, dann schlägt er mich wieder.
Sein Bruder sah das nächste Bild, sah sich mit seinen Freunden am Tisch sitzen und Charly auf der Bank in Pillars Saloon liegen. Dort lag Charly immer, wenn er zuviel Fusel in sich gegossen hatte. Mort hob den Kopf, als er das Klimpern der Glasperlen des Vorhangs an der Verbindungstür von Store und Saloon hörte. Liza stand dort in ihrem engen Kleid mit dem tiefen Ausschnitt, der ihre Brüste zusammendrückte und hervorhob. Sie stemmte die linke Hand in die schmale Hüfte und lächelte ihm zu.
Dann war das Bild verschwunden, ein anderes erschien: das schmale Zimmer mit dem breiten Eisengestellbett, dessen Pfosten Messingkugeln an den Enden hatten.
»Dort, der Marshal war hier…«
»So? Na und, was kann der mir schon?«
»Ich glaube, er hat nach euch gesucht, Mort – er sah sich im Stall um. Hinten, weißt du, wo ihr die Pferde abstellt. Er hat aber nicht nach euch gefragt, er ritt wieder fort.«
»Reiten soll gesund sein, hähähä! Kommst du bald her?«
Sie streifte das Mieder ab, sie war nackt – und sie war schön. Eine nackte Frau, die ein Tablett mit einer Flasche und zwei Gläsern trug.
Er hatte getrunken, an den Marshal gedacht, den er fürchtete. Der Marshal war schon lange hinter ihnen her. Er verdächtigte sie, hatte aber keine Beweise, würde auch nie welche finden, der Narr.
Als er genug getrunken hatte, der nackte Mort Dillon, hatte es ihn in der Kehle gekitzelt. Lachen hatte er müssen, lachen.
»Wenn der Narr wüßte, Liz! Ich lach’ mich tot, der blöde Kerl! Ja, wir haben die Pferde gestohlen, aber beweisen kann er es nicht. Natürlich waren wir es, wer denn sonst, Liza? Wenn der blöde Kerl etwas finden wollte, müßte er bei den Toten suchen. Er könnte mal bei Juan Montenero nachfragen – hähähä!«
Er hatte sich vor Lachen ausschütten wollen.
Das Lachen ließ den kleinen Bruder am Boden frieren, es war ein gellendes, schauriges Gelächter, das über den Friedhof und Juan Monteneros Grab hallte.
Mort Dillon krümmte sich noch mehr zusammen, in seinen Augen tanzten tausend Teufel. Dann sah er das nächste Bild und lachte nicht mehr.
Jim Clement auf einem Wallach, die Hände nicht an den Zügeln, die Hände auf dem Rücken in Handschellen.
Sie hatten gerade aus Comanche reiten wollen, als Clement vor ihnen auf dem Weg gehalten hatte.
Der Pferdehändler aus der Sierra Grande bei Capulin hatte sie angestarrt und dann geschrien:
»Er hat sie gefunden…!«
In diesem Moment waren die Nerven mit Charly durchgegangen. Vier Worte hatte Jim Clement ihnen zugeschrien, vier Worte, die ihnen eine ganze Story erzählt hatten – die von den gestohlenen Pferden, dem Versteck in den Bergen, wo sie umgebrannt worden waren und wo Marshal Logan sie gefunden haben mußte. Oder besser, wo Logans dreimal verfluchter Grauschecke sie entdeckt hatte, dieses Pferd, das eigentlich kein Pferd war, denn wie konnte ein Pferd denken, wie konnte es Dinge tun, die kein Pferd tat?
»Halt,