Norbert Mayer

»Aus euch wird nie was«


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die ununterbrochen an sich arbeitete, bis es unangenehm wurde. Ich habe mich immer geweigert, von den Eltern zu lernen. Sie haben auch nie mit mir gearbeitet, niemals – nicht, als wir, gut behütet, noch gar nicht wussten, was Vater und Mutter machten, wenn sie aus dem Haus gingen und erst zurückkamen, während wir längst schliefen. Und schon gar nicht, als ich mich endlich dazu entschlossen hatte, zum Theater zu gehen. Dieser Weg war mir tatsächlich nicht vorgezeichnet, nur über einige Umwege erreichte ich mein Ziel. Dann aber war ich mir völlig sicher, das Richtige getan zu haben.

      Februar 1957: Ich bitte meine Eltern, sie mögen sich in der Bibliothek zusammensetzen, ich hätte ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Als mir nun Paula Wessely und Attila Hörbiger wie zwei Richter gegenübersitzen, kommt mein Geständnis: »Ich bin seit gestern im Reinhardt Seminar, als Gasthörerin.«

      Keine Reaktion. Als Schauspieler können sie einen Schock mühelos überspielen. Nach einigem Zögern kommt von meiner Mutter der schöne Satz: »Ja, da können wir aber nichts mehr machen, das läuft jetzt anscheinend.« Dann der harte Nachsatz: »Wir werden sehr schnell wissen, ob du begabt bist. Wir kennen ja alle Lehrer dort.«

      Meine Mutter drohte mir mit ihren Kollegen. Das hatte ich erwartet. Und doch jubelte ich innerlich über einen unbeschreiblichen Sieg: Paula Wessely und Attila Hörbiger, unter deren riesigem Image ich die ganze Zeit gelebt hatte, das der Hauptgrund dafür war, dass ich so lange gebraucht, mich lange nicht getraut hatte, begegnete ich damals zum ersten Mal auf Augenhöhe. Diese Szene war meine Initiation. Danach hätten mich meine Eltern nicht mehr aufhalten können, das war das Ende meiner behüteten Kindheit.

      Wenn ich mich an die Zeit davor erinnere, an ein Aufwachsen, bei dem es wenig Schrecken gab, so sehe ich heute, dass unsere Eltern damals ihr berufliches Leben vollkommen von uns ferngehalten haben. Dazu möchte ich noch ein wenig weiter zurückgehen in meinem Leben, in die magische Welt der Kindheit. Die Geschichte, die ich erzählen will, ist nämlich eine ganz persönliche, keine Chronik der laufenden Ereignisse, sondern eine intime Erinnerung, an meine Lieben, an die Familie, an Freunde und all die tollen Kollegen, die ich in meinem Beruf kennenlernen durfte.

      Doch zuerst tritt ein Kind auf, das von ihren Nächsten »Lilabeti« genannt wurde, Hörbiger hieß und im 19. Bezirk in Wien aufwuchs. Es ist jetzt Zeit für dieses Mädchen, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Es beginnt der Ernst des Lebens in den 1940er-Jahren.

      »In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat …«

      JACOB UND WILHELM GRIMM

      KINDHEIT

      Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal in die Volksschule ging, mitten im Krieg im Jahre 1942 in Wien. Man musste mich zwingen zu frühstücken, sowohl die Lehrerin als auch die Mutter, weil ich anscheinend so aufgeregt war, dass ich das Essen vor der Schule abgelehnt habe. Es sei doch ganz ungesund, mit leerem Magen in die Schule zu gehen, ich solle wenigstens ein bisschen was essen. Ich hab es dann mit Müh und Not gemacht, damit sie Ruhe geben. Der erhobene Zeigefinger, sowohl zu Hause als auch in der Schule, langweilte mich, also habe ich danach schon aus Bestemm gefrühstückt, bevor ich in die Schule in der Mannagettagasse 1 in Grinzing ging.

      Sie hat immer ganz leicht nach einer Mischung aus Klo und Bohnerwachs gerochen. Diesen Geruch würde ich wieder erkennen, wenn es ihn noch gäbe, er ist für mich eine Art vertrauter Anstrengung. Es gibt ihn natürlich nicht mehr, in dieser Schule schon gar nicht mehr.

      Die dort, die Lehrerschaft, wollte immer etwas von mir. Auf dem Prüfstand: Ich werde abgefragt, ich fühle mich nicht wohl, also mache ich dann lieber Dinge, die mir Wohlgefühl bringen. Die Volksschule, das ist für mich der Oberlehrer in schwarzem Arbeitsmantel und mit Ärmelschonern bis über die Ellbogen hinauf. Er war ein Batzen von einem Nazi und trug auch tatsächlich ein Hitlerbärtchen. Dass er damit den deutschen Diktator nachahmte, sahen wir, denn wir hatten auch ein »Führer«-Bild in der Klasse hängen. Wir Kinder wussten aber nicht wirklich, wer der Herr da an der Wand war. Ich erinnere mich deutlich daran, wie uns dieser schwarz gekleidete Lehrer forsch den Hitlergruß üben ließ. Wir mussten die rechte Hand hinaufstrecken und oben lassen. Was wir dazu gesprochen oder gesungen haben, dass wir unserem Führer danken oder irgendetwas Ver blödetes, weiß ich nicht mehr im Detail, aber ganz genau erinnere ich mich daran, dass mir der Arm eingeschlafen ist. Dieser simple Streckgruß dauerte einfach zu lang für meine Kräfte. Es tat mir weh, also habe ich den Arm heruntergenommen und dachte mir, das sehe der Lehrer sowieso nicht, weil ich nicht in der ersten Reihe stand. Da hatte ich mich aber getäuscht. Ich musste nach vorne, um ganz allein den Hitlergruß vorzuexerzieren. Dann kriegte ich eine Verwarnung.

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      Baby Elisabeth

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      Mutter und Tochter – Paula Wessely und Elisabeth

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      Kleinkind Elisabeth

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      Die Eltern mit Elisabeth und Bekannten vor dem Jagdhaus in Klingfurth

      Meine Schulzeit begann mitten im Krieg, im Jahr 1942, also bereits nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. Davon hatte ich damals natürlich gar keine Ahnung. Ich wusste nur, es ist Krieg. Was das wirklich bedeutet, haben wir erst kapiert, als meine Eltern unseren alten Weinkeller für die Nachbarn aufmachten, für den Luftschutz. Ich erinnere mich daran, wie ich mit meiner Schwester Christiane im Hof des Elternhauses in Grinzing stand, in der Himmelstraße. Wir konnten damals schon die englischen Bomber von den deutschen unterscheiden, am Motorengeräusch, so sehr gehörte das damals zum Alltag. Dieses bedrohliche Brummen hörten wir auch im Jagdhaus meines Vaters in Klingfurth in der Buckligen Welt, das er fast allein gebaut hatte. Dort am Fuß des Rosaliengebirges waren wir als Kinder immer im Sommer. Auf einem Hügel oben stand das Blockhaus, Vater hatte eine Jagd gepachtet.

      Ich sehe es noch wie heute, dass am Ende des Tals plötzlich ein Feuerstreifen rot aufleuchtete. Es war die Munitionsfabrik von Wiener Neustadt, die bombardiert worden war. Zum ersten Mal habe ich damals das Wort Krieg kapiert. Der Krieg war für mich ein roter Horizont in der Ferne, ein Donnern ganz weit weg, und mir wird erklärt, das sind die Bomben, die gerade in Wiener Neustadt eingeschlagen haben.

      Im Herbst 1944 sind wir dann nach Sölden im Ötztal geflüchtet. Dort in Tirol war ich gerne, denn wir hatten eine sehr gute Lehrerin, die alles andere war als eine »Nazisse«. So nannte man damals Frauen, die besonders stark von Hitler begeistert waren. An Sölden kann ich mich sonst nur dunkel erinnern, es war damals ein kleines Bauerndorf, nicht zu vergleichen mit dem Skibetrieb von heute. Höher als Sölden lagen nur noch Gurgl und Vent, am Fuße der Wildspitze.

      Die Lehrerin hat es verstanden, mit mir und meiner um zwei Jahre jüngeren Schwester Christiane umzugehen, mit zwei Wiener Mädchen, die der Krieg in eine rustikale Gegend verschlagen hatte. Die Buben dort waren bereits werdende Machos, schon mit sechs Jahren, und die Mädchen waren riegelsame Bauerntöchter. Die meisten dieser Kinder hatten einen weiten Schulweg und kamen von in den Bergen verstreuten Weilern. Die Schüler mussten in der Früh selbst noch im Frühling durch den Schnee stapfen. Auch wir trugen, was mich fasziniert, aber auch abgestoßen hat, weil die Wolle so kratzte, selbst gestrickte Stutzen. Der Schnee klebte in dicken Klumpen an ihnen. Den haben wir vor dem Eintritt in die Klasse so gut wie möglich abgeribbelt. Drinnen gab es einen kleinen Ofen, der hat den Rest besorgt. Die meisten von uns Kindern saßen für die Dauer des Unterrichts in einer kleinen Lacke. Ich sehe noch heute diese Lacken, ich spüre die kratzende Wolle. Das mag ich bis heute nicht. Fremd war mir all das. Außerdem habe ich die Tiroler zuerst gar nicht verstanden, und sie mich auch nicht. Für mich klang diese raue Sprache so fremd wie Chinesisch oder Kirgisisch.

      Mein Vater hat dort im Ötztal einen Film gedreht, die Romanze »Ulli und Marei«. Es geht darin um einen Berghofbauern, um Naturburschen. Beim