Gabriele Praschl-Bichler

Kinderjahre Kaiser Karls


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Zeit (etwas mehr als ein Jahr vor seinem Freitod) von der Familie völlig abkapselte. In den Tagebüchern Erzherzog Carl Ludwigs und auch der Familienkorrespondenz ist diesbezüglich ganz anderes zu lesen. Kronprinz Rudolf hatte seit seiner Jugend bis zu seinem Tod sowohl zu seinen beiden Habsburger Onkeln und im Besonderen zu seinem Cousin Otto innigen Kontakt.

      2.11.1887 »Mitzi war im Bett heute geblieben; sie ist unwohl, hat Husten, auch rheumatische Zahnschmerzen. Vor dem Gabelfrühstück ging ich wieder zu ihr … Den Kleinen sehe ich auch täglich, er ist so nett u. freundlich …« Der Besuch des zweieinhalb Monate alten Enkels gehörte zu den größten Freuden im Alltag Erzherzog Carl Ludwigs. Bevor er zu ihm ging, erkundigte er sich aber immer bei den Kinderfrauen, ob er wach war, denn er wollte ihn auf keinen Fall aufwecken.

      Am 4.11.1887 feierte man im Familienkreis den Namenstag Erzherzog Carl Ludwigs. Der Tag des Namenspatrons galt Katholiken damals als höherer Festtag als der Geburtstag. Der zu Feiernde erhielt morgens von allen Blumenbouquets, Kinder übergaben Zeichnungen oder Basteleien. Ein besonders beliebtes Geschenk, das allen Freude bereitete, erhielt der Erzherzog von seinem Sohn Otto, der »nach Mitternacht heute von Laxenburg13 zurückgekehrt (war) … später mit Otto auf der Sommerfrühstücksterrasse, um da die Musik des Regiments Deutschmeister von Wien anzuhören, die Otto für mich kommen ließ …« Das war damals eine der wenigen Möglichkeiten, musikalisch unterhalten zu werden. Die Alternative war, selbst zu musizieren, was an solchen Tagen häufig geschah. Am Abend des Namenstags fand eine Theateraufführung zu Ehren Erzherzog Carl Ludwigs statt, die von den jüngeren Kindern und von Gefolgsleuten aufgeführt wurde.

      Einen Tag später kehrte Erzherzog Otto noch einmal kurz nach Laxenburg zu seinem Cousin Kronprinz Rudolf zurück. Von dort fuhr er weiter nach Brünn, wohin er von Kaiser Franz Joseph versetzt worden war. Sein Vater stattete ihm bald einen Besuch ab, da er neugierig war, Ottos neues Haus zu besichtigen. 15.11.1887 »Ich fuhr mit ihm (Otto) … zu seiner gemietheten Villa. Dort stiegen wir ab. Es war da Baron Türkheim (Ottos Kammerherr), mit dem ich sprach. Dann ins Haus, welches sehr hübsch ist, einer neu erbauten Villa vom Sohn des Fabrikanten Oppermann von Brünn gehörig. Wir gingen in Ottos u. Mitzis Zimmer; nahmen Gabelfrühstück, darauf sah ich alle Räume des Hauses an, auch das Kindszimmer, dann die für Gfn. Pallavicini (Mitzis Gefolgsdame) bestimmte Wohnung, die Diener Zimmer … u. die Wohnung des Baron Türkheim … Ich sah später auch die sehr hübsche Küche u. Speis (Speisekammer) … an. Das ganze ist sehr heimlich, wohnlich u. gut eingerichtet. Das Haus hat eine hübsche Lage, gute Luft … in der Nähe hübsche Promenaden, Wege u. den Schreiber Wald. Wir blieben auch lang zusammen in Ottos Schreibzimmer sitzen. Dann gingen wir noch etwas … spazieren gegen die Schießstätte u. noch weiter … (später gab es) ein exzellentes Diner; eine neue Köchin des Otto, die sehr gut kocht …« Einmal davon abgesehen, dass Erzherzog Carl Ludwig neue Wohnungen seiner Kinder gerne inspizierte – das ist im allerpositivsten Wortsinn zu verstehen –, liebte er es, Otto zu besuchen. Vater und Sohn teilten viele Gemeinsamkeiten und tauschten sich gerne darüber aus. Erzherzog Carl Ludwig nutzte solche Besuche auch, um sich für Geschenke inspirieren zu lassen. In der Vorweihnachtszeit verbrachte er viele Stunden in den bekanntesten Wiener Einrichtungshäusern und Galerien, um für die Haushalte seiner Kinder Möbel und Kunstwerke zu kaufen.

      Am 19.11.1887 fuhr Erzherzog Carl Ludwig über Wien nach Wartholz, wo die drei Töchter, die Schwiegertochter und der kleine Carl auf ihn warteten. Es wurde der Namenstag der jüngsten Tochter Elisabeth gefeiert. Am Abend kehrte er zurück nach Wien, weil in den folgenden Tagen offizielle Termine zu erledigen waren und zahlreiche Anfragende warteten, bei ihm in Audienz empfangen zu werden.

      23.11.1887 »… fuhr zu Stephanie (Ehefrau Kronprinz Rudolfs) nach Laxenburg. Im Hin- u. Rückfahren las ich unterwegs Acten. Ich war ungefähr eine Stunde bei Stephanie, angenehme Conversation; sie sieht sehr gut aus; Rudolph war nicht da, auf der Jagd …« Es war damals üblich, Verwandte – besonders die, zu denen man in nahem Kontakt stand – spontan zu besuchen. Erzherzog Carl Ludwig wollte sicher den Neffen Rudolf sehen. Da er nicht schriftlich angemeldet war, bestand das Risiko, ihn nicht anzutreffen. So freute er sich über die Gesellschaft der Nichte Stephanie.

      Von 24. auf 25.11.1887 verbrachte Erzherzog Carl Ludwig ein paar Stunden mit Kindern und Enkel in der Villa Wartholz in Reichenau an der Rax, die er aber bald wieder verließ. »… ging dann zum kleinen Carl, um ihn noch vor meiner Abreise zu sehen; das liebe Kind lächelte so freundlich …« Der Erzherzog fuhr nach Bayern, um in München seine Frau zu treffen, die sich dort aufgehalten hatte, um Verwandte zu besuchen. Am 29.11.1887 waren beide wieder in Wien, wohin sich inzwischen auch die Schwiegertochter mit Carl und Gefolgsleuten begeben hatte.

      Wien, 4.12.1887 »… sah nach ¼ 9 Uhr den Baron Türkheim, Herren des Otto, der Mitzi nach Brünn begleitet (sie zog mit dem Baby und ihren Gefolgsleuten zu ihrem Ehemann) … frühstückte mit den Töchtern u. Mitzi … Nach ¾ 10 Uhr mit MTh, Mitzi u. Margarethe in einem Wagen auf den Bahnhof gefahren. Voraus war ein landaulet (französisch, eine Kutschenform) des kleinen Carl mit Amme u. Kindsfrau. Uns nach fuhren Gfin. Stolberg, Gfin. Pallavicini und Baron Türkheim (alle Gefolgsleute). Im Salonwagen (des Zugs) fuhren außer Baron Türkheim … MTh, Margarethe u. Gfin. Stolberg … bis Neustadt, von da nach Frohsdorf; MTh besucht ihre Schwester Toni. Ich fuhr allein nach Wartholz zurück …«

      Toni oder Antonia, die Schwester Erzherzogin Marie Theresias, war mit Herzog Robert von Parma verheiratet und lebte einen Teil des Jahres mit ihrer Familie in Schloss Frohsdorf in Niederösterreich, die andere Hälfte verbrachte man in Schloss Pianore in der Toskana. Die Herzoge von Parma hatten wie die Großherzoge von Toskana, die Herzoge von Modena und die Könige von Bourbon-Sizilien um die Mitte des 19. Jahrhunderts Italien verlassen müssen. Es bestand bis dahin aus einer Vielzahl von Herzogtümern, die nun zu einem einzigen, eigenständigen Land zusammengeschlossen wurden. Viele der Vertriebenen zogen nach Österreich, da sie hier nicht nur sicher waren, sondern meist auch nahe Verwandte der Habsburger. – Und noch ein Apropos zu Toni, der Schwester Erzherzogin Marie Theresias. Sie sollte später die Schwiegermutter des damals dreieinhalb Monate alten Carl werden. Seine künftige Frau Zita war im Jahr 1887 allerdings noch nicht geboren.

      In Wartholz traf Erzherzog Carl Ludwig seine beiden jüngsten Töchter mit ihren Gefolgsdamen. Seine Ehefrau Marie Theresia, der jüngste Sohn Ferdinand und die älteste Tochter Margarethe sollten sich zwei Tage später der Familie anschließen. Noch einmal zwei Tage später fuhr alles gemeinsam nach Wien.

      8.12.1887 »MTh war dann mit Mitzi bei mir (Letztere machte in Wien Weihnachtsbesorgungen) … Nach 1 Uhr nahmen MTh u. ich mit Mitzi u. den vier anderen Kindern Gabelfrühstück; nach ¾ 2 Uhr fuhr Mitzi mit Gfin. Pallavicini ab, nach Brünn zurück. Bald darauf fuhr ich mit Ferdinand, Miana u. Elisabeth nach Schönbrunn. Wir sind beim Haupttor ausgestiegen u. gingen im Garten herum, auch in die ménagerie (den Tiergarten) … Wir sahen auch die gestern hier geborenen Löwen an, die sehr herzig sind … Ich schrieb (abends) auch dem Rudolph, als Antwort auf ein billet (das eine Einladung enthielt) von ihm …«

      Streifzüge durch den weitläufigen Park oder den Tiergarten von Schloss Schönbrunn gehörten zu den beliebtesten Familienunterhaltungen. Erzherzog Carl Ludwig hielt sich dort zu jeder Jahreszeit auf – alleine oder in Begleitung von Kindern – und unternahm oft stundenlange Spaziergänge. Er war in Schloss Schönbrunn zur Welt gekommen und hatte hier mit Eltern, Großeltern, Geschwistern, Onkeln und Tanten viele glückliche Sommer verbracht, an die er sich bis an sein Lebensende gerne erinnerte.

      11.12.1887 »… ich sah den Otto kurz; er kam mit Rudolph in Wien an, bei dem er in Mayerling war (im dortigen Jagdschloss sollte der Kronprinz nur 13 Monate später Selbstmord begehen) …« 13.12.1887 »… es kam nach ½ 3 Uhr Rudolph zu mir …« Zwei von etlichen Hinweisen auf Treffen mit Rudolf, der mit Onkel und Cousin in ständigem Kontakt stand.

      Schwiegertochter Mitzi war Mitte Dezember wieder nach Wien zurückgekehrt, das mehr Unterhaltungen bot als Brünn. Einen Tag