des öffentlichen Lebens den Großteil ihres Lebens Privatleute waren.
Die Kaiserfamilie im öffentlichen und im privaten Leben
Im Volksglauben herrscht seit jeher die Meinung, dass Kaiser und Könige ihr gesamtes Leben nach Zeremoniell lebten. Wenn die Volksmeinung auch häufig im Recht ist, so liegt sie in diesem Fall völlig falsch. Es stimmt zwar, dass es für Kaiser, Könige und Fürsten fein ausgeklügelte Zeremonielle und für alle Feinheiten im Tagesablauf die Etikette gab; sie galten aber ausschließlich im öffentlichen Leben. Das Privatleben, also der Alltag im Kreis der Familie mit Ehefrau, Kindern, Geschwistern, Eltern und Verwandten, spielte sich in privaten Räumen genau so privat ab wie das der Untertanen. Sogar König Ludwig XIV. von Frankreich, der vermutlich als einziger europäischer Herrscher das Zeremoniell in den privaten Tagesablauf miteinbezog (man denke an das Lever und Coucher du Roi, die Rituale des Aufstehens und Zubettgehens des Königs, die von einer Menge Höflingen mitgetragen wurden), hat sich mit fortschreitendem Alter einige Stunden des Tages davon freigemacht. Sein Nachfolger Ludwig XV., der schon als Kind in der Öffentlichkeit als König auftreten musste, war eine schüchterne und unsichere Persönlichkeit und litt unter dem aufgezwungenen Leben vor Publikum. Bis an sein Lebensende arbeitete er vorsichtig, aber stetig daran, mehr Raum für sein Privatleben zu schaffen. Das war nicht einfach, da man jahrzehntelang geübte Rituale nicht mit einem Schlag abschaffen konnte. Denn die daran beteiligten Höflinge waren Erwählte und Ausgezeichnete. Sie hatten sich das Recht, diese Dienste zu bestimmten Zeiten durchführen zu dürfen, durch besondere Taten, durch steten Eifer und Loyalität erworben.
Auch am Habsburger Kaiserhof gab es Zeremonien, die bei öffentlichen Festen und Veranstaltungen angewendet wurden. Allerdings hat man sie im 18. Jahrhundert auf ein Mindestmaß verringert. Das geschah zum einen, um Kosten zu sparen, und zum anderen wohl zum Schutz des Privatlebens. Die Habsburger hingen liebevoll an ihren Kindern, die sie nicht zu früh dem Druck des öffentlichen Lebens ausliefern wollten. In Frankreich war das aus natürlichen Gründen nicht möglich, da der jeweilige Dauphin/Thronfolger häufig das letzte männliche Mitglied der Familie war und schon im Kleinkindalter – Ludwig XIV. und Ludwig XV. jeweils mit fünf Jahren – König wurde.
Zu den Regeln, die auch am Kaiserhof in Wien streng gehandhabt wurden, gehörte z. B. der Kammerzutritt (er regelte, wer auf welche Weise, mit oder ohne Voranmeldung durch Personal oder Beamte, Zutritt zum Herrscher und zu seiner nächsten Familie hatte), Begrüßungszeremonien und Sitzordnungen nach hierarchischem Prinzip sowie die Vergabe von Diensten und Ämtern, um Gefolgsleute oder Beamte auszuzeichnen. Generell war es eine Ehre, bei Hof angestellt und der Kaiserfamilie nahe zu sein. Darüber hinaus verfügten Hofangestellte über große Macht bis in die kleinsten Dinge. Ohne Einflussnahme vonseiten der kaiserlichen Familie bestellten sie Lebensmittel, entwarfen Speisepläne, verteilten Essensreste, überwachten und kontrollierten Silber, Glas und Porzellan, aber auch die persönliche Leibwäsche und Garderobe der Habsburger, sie besorgten Hygieneartikel, veranlassten Näharbeiten und Reparaturen.
An höchster Stelle aller bei Hof Bediensteten stand der Obersthofmeister, der Hüter von Recht, Etikette und Ordnung. Er hatte eine besondere Machtposition inne, da er unter anderem für alle am Kaiserhof Lebenden, also auch für Gefolgsleute und sogar für die Mitglieder der Kaiserfamilie, die Wohnungen verteilte. Und zwar nach eigenem Gutdünken. Wer bei ihm um Räume ansuchte, sollte sich seiner Gnade sicher sein. Wenn er eine Wohnung vergab, konnte sie an der Nordseite im untersten Stock oder in einem hellen Obergeschoß liegen, sie konnte eng und verwinkelt oder großzügig geschnitten und weitläufig sein. Es war nur die Menge der Räume vorgegeben, die einer bestimmten Person je nach Herkunft und Rang zustand. Wie immer das Appartement aussah, das der Obersthofmeister zuteilte, und wo immer es lag, hatte akzeptiert zu werden. Die Habsburger fügten sich ihm und bezogen neue Wohnungen ohne Widerspruch. Darüber kann man ebenfalls bei Erzherzog Carl Ludwig lesen, der in der Zeit zwischen 1846 und 1848 als Jugendlicher ein Tagebuch führte5 und darin festhielt, ob er und seine Brüder bei der Rückkehr vom Sommeraufenthalt in Schloss Schönbrunn respektive vom Winteraufenthalt in der Hofburg wieder dieselben Räume wie früher bewohnten. Er freute sich, wenn es dieselben geblieben oder wenn sie besser, heller oder schöner geworden waren. So etwas erwähnte er allerdings nur im Kindesalter. Als Erwachsener hätte sich Erzherzog Carl Ludwig keine Bemerkung darüber erlaubt. Ein Habsburger nahm, was ihm von Hofbeamten zugewiesen wurde, und beanstandete nichts. Das galt auch beim Essen. Keiner von ihnen wäre auf die Idee gekommen, dem Küchenchef bei der Planung der Menus dazwischenzusprechen. Man aß, was auf den Tisch kam. Dieses Verhalten hing damit zusammen, dass jedermann, das Personal im Speziellen, zu achten und zu respektieren war.
Da die Habsburger nach strengen katholischen Grundsätzen lebten, verbaten sie sich ein Leben in Luxus und Überfluss. Man aß, man trank, man wusch und bekleidete sich, ohne großen Aufwand zu betreiben, man arbeitete und kümmerte sich um seine Nächsten. Besonders das Sorgetragen um kranke oder alleinstehende Verwandte, um Gefolgsleute und Bedienstete war ein hohes Anliegen. Darüber ist in vielen Briefen zu lesen, von denen ich schon zahlreiche veröffentlicht habe.
Außerdem waren jedem Habsburger bestimmte Aufgaben zugewiesen. Hauptsächlich waren die Familienmitglieder dazu angehalten, Schirmherrschaften verschiedenster Institutionen zu übernehmen. Das bedingte, dass man bei vielen Sitzungen, Veranstaltungen und Eröffnungen dabei sein musste. Je höher der Rang des Familienmitglieds war, umso länger war die Liste der Einrichtungen, denen er als Ehrenmitglied vorstand, und umso weitreichender war sein Aufgabenbereich. Erzherzog Carl Ludwig war seit dem Tod seines Neffen Kronprinz Rudolf der Stellvertreter Kaiser Franz Josephs, also der ranghöchste Erzherzog. Deshalb war er als Protektor besonders begehrt. Je mächtiger der Habsburger war, den man sich zum Schirmherrn erkoren hatte, desto größer war die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und desto größer die Chance auf finanzielle Unterstützung.
In Bezug auf das tägliche Arbeitspensum kann man in den Tagebüchern lesen, dass Erzherzog Carl Ludwig sehr vielen öffentlichen Aufgaben nachkam, nicht nur in Wien, sondern auf dem gesamten Herrschaftsgebiet. Die österreichisch-ungarische Monarchie erstreckte sich damals im Norden bis Böhmen, Mähren und Galizien, im Osten begrenzten Siebenbürgen und das Banat das Reich, das im Süden weiter über Slawonien, Kroatien, Dalmatien bis in heute italienischen Raum reichte. Dazu gehörten das Küstenland um Triest und Südtirol, die Lombardei und Venetien waren damals schon bei Italien. Über Kärnten ging es im Westen weiter bis Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Darüber hinaus reiste Erzherzog Carl Ludwig häufig in diplomatischen Angelegenheiten ins Ausland und traf sich mit Politikern und Monarchen. Wie sein Bruder erledigte er täglich waschkorbweise Akten und Korrespondenz, und er ließ sich ein Leben lang in verschiedenen Fächern unterrichten. So studierte und übte er alle Sprachen der Monarchie mit muttersprachigen Lehrern. Darüber hinaus hörte er Vorlesungen zu Geschichte, Politik und Verfassungsrecht. Auch die Damen übten die meisten Sprachen der Monarchie lebenslang. Weiterführenden Unterricht nahmen sie im Erwachsenenalter meist aber nur in künstlerischen Fächern und in Sportarten, wobei dem Reiten und dem Kutschieren besonderes Augenmerk gewidmet wurde. Stand eine berufliche oder private Änderung bevor, dann wurde das Unterrichtsprogramm im Hinblick darauf um etliche Fächer erweitert. Das betraf Familienmitglieder, die ein neues politisches oder militärisches Amt erhielten, die als Abt oder Äbtissin eingesetzt wurden oder die in ein anderssprachiges Land heirateten. Grundsätzlich galt, dass man nie genug Wissen und Fähigkeiten erwerben konnte, um im allerschlimmsten Fall – man hatte aus den Revolutionen gelernt – seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können.
Zu den Erkenntnissen aus den Tagebüchern
Erzherzog Carl Ludwig, seine Eltern Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl, sein Bruder Kaiser Franz Joseph und beider jüngster Bruder Erzherzog Ludwig Victor liebten das Leben im Familienverband. Sie hielten ständig Kontakt und trafen sich, so oft es ihnen möglich war. Alle waren »kindernärrisch« und tierlieb, was sie besonders sympathisch macht. Aus den Tagebüchern Erzherzog Carl Ludwigs geht das deutlich hervor. Nichts war ihm wichtiger, als die freie Zeit mit Kindern und dem Enkel Carl zu verbringen.