denkt mancher höheren Ortes, daß es keiner Vorkehrungen bedürfe, die andere als repressiv auffassen könnten; doch indessen, während man noch redet und diskutiert, treibt der böse Same Wurzeln, die sich stark, aber leider auch unsichtbar entwickeln.
Und so haben sie denn eine ausgeprägte Fähigkeit darin, ihre trüben Absichten oftmals hinter dem Anschein zivilisierten Zusammenlebens zu verbergen.
So schauen Sie sich, zum Beispiel, diese drei Briefe eines gewissen Genuardi Filippo an, die ich Ihnen in Abschrift beifüge.
Seit drei Monaten lassen sie mich kein Auge mehr schließen. Welche Arglist! Wieviel verwegener Hohn!
Wieso, habe ich mich gefragt, versteift er sich darauf, mich Parascianno zu nennen, wo doch mein Zuname Marascianno lautet?
Darüber habe ich lange nachgedacht, zuweilen sogar, das gebe ich zu, die Pflichten meines Amtes vernachlässigend, doch am Ende kam ich der Sache auf den Grund.
Indem dieses unflätige Subjekt das »M« meines Nachnamens mit dem »P« vertauscht, spielt er in Wirklichkeit auf etwas Doppeldeutiges an. Doch, doch, denn in unserer Mundart bedeutet »parascianno« (oder mitunter auch »paparascianno«) das gleiche wie »barbagianni«, und es dürfte auch Ihnen bekannt sein, daß man damit eine Person bespitznamt, die alt ist und einem auf die Nerven geht.
Doch bis hierhin – transeat. Gehen wir darüber hinweg.
In seiner luziferischen Bosheit jedoch begnügt sich dieser Genuardi nicht mit Anspielungen, sondern geht zu ehrenrühriger Beleidigung über.
Im trivialsten Jargon der neapolitanischen Unterwelt beschreibt man mit »parascianno« (oder eben auch »paparascianno«) ein männliches Glied von animalischen Ausmaßen.
Letzten Endes also nennt mich dieses unflätige Subjekt, durch die scheinbar harmlose Vertauschung eines Konsonanten, so etwas wie »Du riesenviechgroßer Schwanz!«.
Und noch etwas: Warum wird mit jedem Briefe sein Servilismus gegenüber meiner Person immer deutlicher?
Worauf will er hinaus? In welchen Hinterhalt schleift er mich?
Ich bin hier, um Euere großzügige Hilfe zu erbitten. Könntet Ihr Informationen über die politische Gesinnung dieses Genuardi bei dem einen oder anderen Euerer Untergebenen in Vigàta erfragen?
Ich meinerseits werde ein Gleiches bei den Carabinieri thun.
Mit Dankbarkeit und aufrichtiger Freundschaft, Ihr allerergebenster
Vittorio Marascianno
P. S. Wie Ihr gewiß bei Eurer hohen Intelligenz und Finesse bemerkt haben werdet, wollte ich absichtlich kein Papier mit Briefkopf der Königlichen Präfektur verwenden. Ich bitte Euch daher, zu dem gleichen Kniffe zu greifen, sofern Ihr eine Antwort für mich habt.
(Vertraulich)
An den
Hochverehrten Commendatore
Corrado Parrinello
Viale Cappuccini 23
Montelusa
Montelusa, am 15. Oktober 1891
Hochwerthester Commendatore,
mein unersetzlicher Vorgänger, der gottselige Grande Ufficiale Emanuele Filiberto Bàrberi-Squarotti, hatte, als er mir das Königliche Polizeipräsidium übergab, ganz privat Ihre Person als jemanden gepriesen, der jeglichen Vertrauens würdig und jederzeit, im allerhöchsten Interesse unseres Landes, zur diskreten Zusammenarbeit mit unserem Amte bereit sei.
Glücklicherweise habe ich bis gestern keinerlei Nothwendigkeit gesehen, mich an Sie zu wenden und Ihre großzügige Bereitwilligkeit in Anspruch zu nehmen. Jetzt aber fühle ich mich verpflichtet, Sie über eine Frage von heikelster Feinfühligkeit in Kenntnis zu setzen, für deren Lösung ich Ihres erleuchtenden Rates bedarf, damit wir, eventuell, im Verbunde verfahren können.
Von Ihrem Vorgesetzten, dem Präfekten von Montelusa, Vittorio Marascianno, habe ich einen vertraulichen Brief erhalten, dem drei weitere an ihn gerichtete Briefe von einem gewissen Genuardi Filippo aus Vigàta beigefügt waren.
In diesen drei Briefen hat Seine Exzellenz Verhöhnung, Beleidigung und unterschwellige Drohung erkennen wollen.
Ganz offen und vollkommen aufrichtig gesagt, habe ich in diesen Schreiben nichts dergleichen entdecken können.
Der Ton des Briefes Seiner Exzellenz dagegen hat mich in Alarm versetzt, weil er, wie soll ich sagen?, eine Erregung seines Gemüthes erkennen läßt, welche dazu führt, nicht vorhandene Schatten zu beschwören.
Sie verstehen, daß in einem so heiklen politischen Augenblicke wie dem derzeitigen eine nicht perfekt ausgeglichene Autorität, die nicht Herr ihrer selbst und ihrer Handlungen ist, ein ernsthaftes Fiasko herbeiführen kann, ganz abgesehen von unvorhersehbaren Entwicklungen.
Ihnen obliegt indessen die Pflicht, mit mir darüber zu sprechen.
Vorsichtshalber habe ich an Ihre Privatanschrift geschrieben.
Besuchen Sie mich so bald wie möglich.
Mit dem Ausdruck höchster Werthschätzung,
Arrigo Monterchi
POLIZEIDIENSTSTELLE VON VIGÀTA
An den
Herrn Polizeipräsidenten
von
Montelusa
Vigàta, am 18. Oktober 1891
Betreff: Genuardi Filippo
GENUARDI FILIPPO (genannt Pippo) – Sohn des verschiedenen Giacomo Paolo und der ebenfalls verschiedenen Posacane Edelmira – geboren in Vigàta, am 3. September des Jahres 1860, und daselbst wohnhaft in der Wohnung der Mutter in der Via Cavour Nr. 20.
Lange Zeit ohne Beruf, auf Kosten der Mutter (einer Witwe) lebend, handelt er seit drei Jahren mit Holz.
Seit fünf Jahren ist er mit Gaetana (genannt Taninè) Schilirò verheiratet, einziger Tochter des Emanuele (genannt Don Nenè) Schilirò, Schwefelhändler, Eigenthümer der Mine Tagliacozzo in der Provinz von Caltanissetta und einer Schwefelveredelungsfabrik in Vigàta, Via Stazione Nuova.
Emanuele Schilirò gilt, zu Recht, als der vermögendste Mann von Vigàta. Witwer geworden, hat er vor nunmehr sechs Jahren wieder geheiratet, und zwar die dreißigjährige Calogera (genannt Lillina) Lo Re, Tochter eines Schwefelhändlers aus Fela. Die Ehe, die offensichtlich auf Grund eigennütziger Interessen zwischen dem alten Schilirò (zweiundsechzig Jahre alt) und der jungen Lo Re zustande gekommen ist, sorgte im Ort für abfällige Bemerkungen, die bald aber schon durch das untadelige Verhalten der jungen Gattin zum Schweigen gebracht wurden. Heftig war der Widerstand Emanuele Schiliròs gegen die Verlobung seiner einzigen Tochter mit einem abgebrannten Subjekt wie dem Genuardi; doch war alles vergebens, jener mußte sich der blinden Starrköpfigkeit seiner Tochter beugen, die sogar einen Selbstmord versuchte, indem sie sich ins Meer stürzte. Mit der Aussteuer seiner Gattin konnte Genuardi, der ein kostspieliges Leben zu führen begann, ein Holzlager eröffnen. Die Beziehungen zwischen dem Schilirò und seinem Schwiegersohne bewegen sich im Rahmen gebührlicher gegenseitiger Besuche. Doch muß hinzugefügt werden, daß Signora Genuardi, auf Grund der wechselhaften Geschäftserfolge ihres Gatten, ziemlich häufig gezwungen ist, bei ihrem Vater vorstellig zu werden.
Mit anderen Worten: Hätte der Genuardi nicht seinen Schwiegervater im Rücken, wäre er längst bankrott.
Genuardi hat sich, in der ersten Zeit seiner Ehe, ganz sicher keine ehebrecherischen Beziehungen von unterschiedlicher Dauer erspart. Unter anderem ist allgemein bekannt, daß der Genuardi noch in der Hochzeitsnacht, nachdem er ein paar Stunden mit seiner ihm frisch angetrauten Gattin