bei 122 Zentimeter Körpergröße. Der 26 Minuten lange Film thematisiert auch die tristen Wohnverhältnisse im Nachkriegs-Wien. Inserts liefern zusätzliche Informationen: »Die Wohnungsnot zwingt nicht nur die untersten Schichten der Bevölkerung, sondern auch Familien des Mittelstands, ihr Heim in alten Eisenbahnwaggons aufzuschlagen.« Der Streifen versucht zu dokumentieren, wie sich der Allgemeinzustand der Bevölkerung in den Kriegsjahren verschlechtert hat. Menschen suchen in Abfällen nach Nahrung. Es werden Krankheitsbilder von Rachitis, Skrofulose und Tuberkulose gezeigt.
Auch dieser zweite Film entsteht 1919 an der Kinderklinik der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Professor Clemens Freiherr von Pirquet, Vorstand der Universitäts-Kinderklinik, tritt in diesem sechs Minuten langen Streifen selbst auf. Gezeigt werden ärztliche Untersuchungen mittels Perkussion, Schwestern beim Baden, Abwiegen und Vermessen unterernährter Kinder. Diese Dokumentarfilme sind die ersten medizinisch-wissenschaftlichen Filme, die in der Ersten Republik an der Medizinischen Fakultät in Wien gedreht wurden.
Die filmische Darstellung spiegelt sich in medizinischen Statistiken wider. Clemens von Pirquet veröffentlicht in der Wiener Medizinischen Wochenschrift eine wissenschaftliche Arbeit über den »Ernährungszustand der Wiener Kinder«. Er vergleicht die Untersuchungsergebnisse in der Kinderklinik mit den Daten vor dem Krieg: »Der Ernährungszustand der Wiener Kinder ist zwar nicht so fürchterlich wie der Ernährungszustand der alten Leute, aber es ist immerhin auch außerordentlich schlecht. Jeder, der Gelegenheit hat, eine größere Anzahl von Kindern des Mittelstandes oder der Arbeiterkreise zu untersuchen, wird das bestätigen. Nur die Neugeborenen machen eine Ausnahme. Der Foetus lebt auf Kosten der Mutter und zieht aus dem mütterlichen Körper die ihn zukommenden Nahrungsstoffe wie ein bösartiger Tumor ohne jede Rücksicht darauf, ob die Mutter diese Stoffe durch die Nahrung ersetzen kann oder ob sie ihre eigenen Gewebe einschmelzen muß, um das Wachstum des Kindes zu ermöglichen.« Von den 252 untersuchten Buben waren 226 untergewichtig. Mädchen sind nur wenig besser genährt. »Von 246 in der Kinderklinik aufgenommenen waren 214 untergewichtig, nur 32 befriedigend ernährt, davon 14 im ersten Lebensjahre stehend.« Die Kinder sind im Durchschnitt um 20 Prozent untergewichtiger als es die damals gültige »Camer’sche Standardzahl« angibt. 11-jährige Burschen wiegen im Durchschnitt 27,8 Kilo, Mädchen 25,7 Kilo. Im Frühjahr 1919 beginnen die Hilfslieferungen der alliierten Westmächte. Pirquet lässt es nicht bei den Statistiken bewenden: Vor dem Krieg konnte er bei einem Forschungsaufenthalt in den USA zahlreiche persönliche Kontakte knüpfen. Er genießt das Vertrauen amerikanischer Hilfsorganisationen. Mit seinen Mitarbeitern organisiert Pirquet zwischen 1919 und 1921 österreichweit die Ausspeisungen der amerikanischen Kinderhilfsorganisation. »Mitte Mai hatten die Vertreter der Vereinigten Staaten von Nordamerika in Wien ihr Quartier aufgeschlagen und wir bemühten uns, das Wichtigste in einigen Tagen zur Verfügung zu stellen, einzurichten und neu zu schaffen: Die Materiallager für die anrollenden Lebensmittel und die Küchen für die Zubereitung des Essens. Schon in den allernächsten Tagen waren die ersten Ausspeisestellen in Betrieb. Im Schnellschrittempo ist in der folgenden Zeit der weitere Ausbau ins Werk gesetzt worden: Einen Monat später hat man in Wien täglich rund 75 000 Portionen verabfolgt.« Rund 400 000 unterernährte und unter Mangelerscheinungen leidende Kinder bekommen amerikanische »Kraftnahrung«. Der spätere US-Präsident Herbert Hoover (United States Food Administration) leitet diese Hilfsaktionen für die notleidende europäische Bevölkerung. Hoover wird 20 Jahre später, im März 1938, für seinen Beitrag zur Linderung des Hungers mit der Verleihung einer Ehrendoktorwürde an der Technischen Hochschule in Wien geehrt.
Amerikaner, Schweden und Schweizer schicken Nahrungsmittel. Die Hilfe verfolgt durchaus auch politische Zwecke. Österreich soll nicht nur vorm Verhungern, sondern auch vorm Bolschewismus gerettet werden. Die soziale Krise des Jahres 1919 wird durch eine nie gekannte Produktionskrise gesteigert. Der industrielle Ausstoß beträgt nur ein Drittel, die Agrarproduktion nur die Hälfte von 1913. Die Arbeitslosenzahl steigt auch durch die Heimkehr von Kriegsgefangenen und die Demobilisierung des Heeres von 46 000 im Dezember 1918 auf 186 030 im Mai 1919 an.
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