Bettina Hoerlin

Courage. Im Schatten des Nanga Parbat 1934


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       Käthe Schmid und Expeditionsleiter Willy Merkl im Büro der Nanga-Parbat-Expedition im Hause Schmid (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Alpenvereins)

      ©Deutscher Alpenverein, München

      Die erste Etappe der Expedition begann Anfang Mai, als die Vor- und Hauptgruppe in Kaschmir wieder zusammentrafen. Eine Armee von fast 600 Trägern bewältigte den langen und ermüdenden Anmarsch zum Fuß des Berges, trug Verpflegung und Ausrüstung über tiefe Schluchten, reißende Flüsse, hohe Pässe und ausgedehnte Gletscher. Da nur 400 Sonnenbrillen für die Männer zur Verfügung standen, litten einige noch vor Erreichen des Basislagers am 26. Mai unter Schneeblindheit.156 Zwar hatte die Expedition zuvor schon von verschiedenen Punkten aus Ausblicke auf den Nanga Parbat erhascht, aber am nächsten Morgen enthüllte er sich in seiner vollen Pracht. Die Sahibs waren gebannt vor Ehrfurcht: „Hoch droben am Gipfel … flammt das erste Licht des jungen Tages. Langsam flutet die blendende Helle über die mächtige Steilmauer hinab auf den Gletscher … Wir blicken zu dem Berg auf wie zu etwas ganz Unwirklichem.“157

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       Deutsche Nanga-Parbat-Expedition 1934

      ©Wikipedia Creative Commons, Welzenbachs Bergfahrten, Berlin 1935

      Es schien wenig Gelegenheit zu geben, die Schönheit des Berges zu bewundern oder ruhig darüber nachzusinnen. Postläufer mit ermutigenden Briefen, frankiert mit bunten Briefmarken aus aller Herren Länder, strömten regelmäßig ins Basislager. Fast täglich wurden Meldungen über den Fortschritt der Expedition via Kurzwellenradio, Telegramm oder Pressemitteilung versendet. Schlag auf Schlag berichteten die Nachrichtenmedien vom Geschehen am Berg. Manchmal übertrieben sie die Schilderungen, ein anderes Mal konzentrierten sie sich auf das schlechte Wetter oder Probleme mit den Trägern. Aber generell erzählten die Berichte eine Geschichte von Mut und Kameradschaft. Die Expedition besaß alle Zutaten für packende Nachrichten: eine beängstigende Herausforderung, Gefahren, Triumphe, individuelle Heldentaten und nationales Ehrgefühl.

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       Nanga Parbat, der deutsche „Schicksalsberg“

      Bedauerlicherweise tendierten die Medien dazu, die Expedition und ihre Ziele mit nationalistischen Begriffen zu versehen. Inbrünstig hoffte man, dass die Hakenkreuzflagge auf dem Gipfel des Nanga Parbat wehen würde. Bis 1934 war die deutsche Presse vollständig mit Reportern besetzt worden, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten. Sie hatten die Arbeitsstellen von Juden übernommen, die durch Hitlers Gesetze entlassen worden waren.158 Ebenso wie die Entlassung von jüdischen Lehrern und Wissenschaftlern wurde der Ausschluss von jüdischen Mitgliedern aus dem Pressewesen ohne Protest akzeptiert; andere standen bereit, von ihrem Weggang zu profitieren – ein Umstand, der „… einen bedeutenden moralischen Verfall“159 unter den Deutschen signalisierte. Mit missionarischem Eifer stellten diese „Ersatz“-Reporter deutsche Taten unablässig positiv, wenn nicht gar aufgebläht dar, was zahlreiche Leser und Zuhörer an der Zuverlässigkeit ihrer Pressemitteilungen zweifeln ließ – jene über die Nanga-Parbat-Expedition eingeschlossen. Zu den kritischsten Stimmen zählte Erwin Schneider, der sich wie üblich kein Blatt vor den Mund nahm. In einem Brief an Hoerlin schrieb er: „Du wirst ja sicher wie immer am Deutschlandsender hängen und im Übrigen versorgen ja die üblichen Latrinengerüchte das Dritte Reich ausgiebig mit Schauernachrichten. Es ist schon zum Kotzen …“160

      Nach Erreichen des Basislagers wurde der nicht mehr benötigte Großteil der Träger ausbezahlt und nach Hause geschickt. Zurück blieb eine leichter zu führende Gruppe von 60 Mann. Gemeinsam mit einigen von ihnen brach das dreiköpfige Wissenschaftsteam zu einer Umrundung des Nanga-Parbat-Massivs auf, um eine detaillierte topografische Karte aufzunehmen.161 Die lästige Aufgabe, die Träger für die Besteigung zu organisieren, fiel an Wieland, der die meisten von ihnen ausgewählt hatte und dem sie vertrauten. Oft leitete er Beschwerden der Träger an die Expeditionsleitung weiter. Die logistischen Aufgaben zermürbten Wieland, wie er Pallas in einem Brief gestand: „Große Expeditionen sind schrecklich. Immer ist es das Gepäck, was aufhält. So Gott will, werden wir drei noch einmal eine kleine [Betonung von Wieland] Expedition, aber auch mit großem Ziel, machen.“162 Schneider hatte zuvor in einem Brief eine ähnliche Sehnsucht ausgedrückt163 und schlug vor, dass die drei Freunde im nächsten Jahr wieder in die peruanischen Kordilleren gehen würden.

      Einer von Wielands Briefen war besonders beunruhigend. Vor dem Hintergrund seines bevorstehenden Aufbruchs vom Basislager schrieb der rücksichtsvolle Mann vorzeitige Geburtstagsglückwünsche an meinen Vater, lange vor dem eigentlichen Tag, dem 5. Juli: „Bevor ich diese glorreiche Stätte vielleicht auf Nimmerwiedersehen, jedenfalls für einige Tage und hoffentlich für mindestens vier, höchstens sechs Wochen in höhere Regionen verlasse, will ich dir zu deinem Geburtstag noch gratulieren.“164 Wieland fügte hinzu, dass es ein motivierendes Motto der Nanga-Parbat-Expedition sei, „… dem Fortschritt [in Richtung Gipfel; Anm.] alles zu opfern!“165 Dieses Opfer sollte größer sein, als er es vorhersehen konnte. Kaum mehr als einen Monat später war Wieland tot.

      Am 7. Juni bereitete sich das Team auf den endgültigen Gipfelaufstieg vor, nachdem sie Lager 1, 2, 3 und 4 am Berg eingerichtet hatten.166 Aber obwohl die Briefe an meinen Vater optimistisch klangen, dass man den Gipfel erreichen würde, strahlten sie keine Freude aus. Organisatorische Probleme hatten das Errichten von Lager 4 verzögert und Merkls Führungsfähigkeit bei ihrer Lösung gab Anlass zu Zweifeln.167 Selbst das offizielle Expeditionsbuch, ansonsten ein unkritischer Bericht, wies einige Male auf das autoritäre und wütende Verhalten Merkls hin.168 Die Konflikte spitzten sich zu, als ein Bergsteiger starb. Am 8. Juni erlitt Alfred Drexel in Lager 3 plötzlich ein Lungenödem169 und alle Rettungsversuche scheiterten. Merkl beorderte die gesamte Mannschaft zurück ins Basislager, wo sie sich voller Entsetzen und Trauer zum Begräbnis versammelte. Am Nachmittag des 11. Juni bettete der lange Trauerzug der Männer Drexel zur letzten Ruhe. Während der Zeremonie, die einem Soldatenbegräbnis glich, sprach Merkl davon, „… ganz im eisernen Kampfeswillen unseres Toten … weiterkämpfen [zu] wollen“.170 In einem nachfolgenden Brief an Hoerlin schilderte Wieland voller Trauer den Tod Drexels und kündigte an, „Frau Dr. Schmid wird Dir umgehend einen Nachruf für die Mitteilungen des DuOeAV schicken; bitte besorge ihn gleich.“171

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       Aufstieg durch die drohenden Seracs des Nanga Parbat ins Lager 2

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       Die Leiche Alfred Drexels, eingehüllt in die Hakenkreuzfahne – ein nachhaltiges Symbol der Politisierung des Bergsteigens (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Alpenvereins)

      ©Deutscher Alpenverein, München

      Fotos der in eine Hakenkreuzfahne eingehüllten Leiche Drexels gingen um die Welt und wurden zu einem sofortigen und lebhaften Zeichen der Nazifizierung des deutschen Bergsteigens.172 Merkl hatte darauf bestanden, dass Fotos und Filmaufnahmen von der Bergung der Leiche und dem anschließenden Begräbnis gemacht wurden.

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      Noch lachen die Sherpas in Lager 4. Später zählten sie zu den Opfern der Expedition.

      Dieser publikumswirksame und politische Umgang mit Drexels Tod ließ Schneider auf die Barrikaden gehen. Aufs Schärfste kritisierte er Merkl für diese von ihm so empfundene Respektlosigkeit – und sprach damit auch für andere Mitglieder der Expedition. Sein direkter Angriff auf Merkls Autorität machte diesen so wütend, dass er drohte, Schneider vom Berg zu verbannen. Schneiders Ärger wiederum ging so weit, dass