Stetigkeit und Wandel statt, eingeschlossen emotionale Reaktionen zwischen Trauer und Freude, denen man ausgesetzt ist.
Auch in der Kultur wirken ja Gesetze des Marktes, und einige davon liegen im ungeheuer schnellen Verschleiß des Bekannten, eingeschlossen die Gegentendenz: Wenige Berühmtheiten thronen scheinbar ewig in einer imaginären Walhalla der Anbetung, ganz gleich, ob sie das noch mit ihren Leistungen rechtfertigen oder nur einstigem Glanz verdanken. Die übergroße Mehrheit oft nicht minder begabter Künstler muss sich wirklich täglich bemühen, Leistungen mit meist extremistischen Attributen auf den Markt zu werfen, um beachtet und engagiert zu werden und damit der berühmten Hegel’schen »Furie des Verschwindens« in der Geschichte zu entgehen. In der Kunst ist der Hunger nach Frischfleisch, verbunden mit rascher Entsorgung älterer Ware, genauso verbreitet wie in vielen anderen Bereichen auch.
TV: Ja, unsere Zeit ist wirklich sehr kurzlebig, nach unserer Erfahrung am stärksten in Amerika. Wenn man dort nicht regelmäßig konzertiert und durch etwas ganz Besonderes auffällt, ist man vergessen. Auch bei uns verbreitet sich diese fatale Schnelllebigkeit mehr und mehr, und dadurch ist man, wenn keine Neuigkeiten kommen, kein sensationeller Ansatz im Verstehen und Spielen der Musik geboten wird, ganz schnell weg vom Fenster. Das ist eines der Probleme, mit denen wir als Quartett auch zu kämpfen haben.
Als was figurieren Sie, rechtlich gesehen, seit der Einheit?
TV: Wir sind seit der Wende eine GbR, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Neu daran war nicht nur, dass man zur Steuerzahlung veranlagt wurde, sondern sich auch wirtschaftlich versichern musste.
In der DDR musste man sich um Steuern überhaupt nicht kümmern, weil für jede Arbeitsleistung oder anderweitige Transaktionen pauschal und automatisch 20 % vom Staat einbehalten wurden.
TV: Diese Dinge, mit denen man sich nebenbei plötzlich beschäftigen musste, betrachtete man lustlos als notwendiges Übel, gerade wenn man intensivst musikalisch arbeitete. Aber zu ausgiebiger Beratung, die in unserem Falle optimal gewesen wäre, ist es gar nicht gekommen. Natürlich liefen auch uns Typen über den Weg, die Schiffsbeteiligungen oder Lebensversicherungen anpriesen, und zu letzterem haben sich drei von uns auch überreden lassen, bevor wir, all die Untiefen und Unredlichkeiten durchschauend, dem bedachtsamen Rat unseres klugen Cellos gefolgt und in die Künstlersozialkasse eingetreten sind.
SFO: Wir sind alle so veranlagt, dass wir diesen Realitätsbereich möglichst weit von uns entfernt halten. In finanziellen Angelegenheiten fehlte uns eigentlich jegliche Cleverness. Woher sollte sie auch kommen, wenn im Leben das Geld, das man ja hatte, so gut wie keine Rolle spielte!
Ist für Sie nach der Wende durch den nun völlig offenen Kunstmarkt eine veränderte Wettbewerbssituation, ein neues Klima der Konkurrenzen entstanden? Und wer waren eigentlich diejenigen Quartette, mit denen Sie neu zu tun hatten und verglichen wurden?
TV: Hier war in vieler Hinsicht die Situation undramatisch, denn das Neue bestand für uns teilweise auch aus dem Alten. Schon zu DDR-Zeiten gab es für uns den offenen Markt, und man kannte natürlich die Mitstreiter auf unserem Level. Wir hatten noch ziemlich lange diesen Ostbonus, der uns durchaus wohlwollend umgab und erst allmählich entschwand. Aus dem Osten gab es neben uns das Petersen Quartett, aus dem Westen gab es das Auryn Quartett, und das Artemis Quartett war stark im Kommen, die älteren Ensembles wie das Melos Quartett traten allmählich zurück, und so blieben als stärkste Kombattanten eigentlich nur das Emerson-, das Hagen- und aus der Schweiz das Carmina Quartett.
Wie hat die internationale professionelle Kritik reagiert, nachdem Sie kein ostdeutsches Quartett mehr, sondern einfach ein deutsches Quartett waren?
SFE: Wir haben immer überwiegend gute Kritiken bekommen, aber es kam natürlich auch einmal vor, dass wir an einem, wie man heute so gern sagt, suboptimalen Abend ein wenig schlapp spielten und dafür auch die kritische Quittung bekamen. Wirklich herbe, politisch motivierte Verrisse haben wir uns nur in den Staaten eingehandelt – und zwar vor allem, als es die Mauer noch gab. Einmal stand Bartóks zweites Quartett auf dem Programm und unser Spiel wurde mit einem computergesteuerten Truck verglichen, einem Riesenlastwagen mit »perfect German engineering«, aber eben ohne jedes Leben, ohne Emotion. Im zweiten Teil spielten wir dann noch, zusammen mit James Levine, Schumanns Klavierquintett, wozu der Kritiker bemerkte: »Langsam schmolzen die Eis-Barrieren dahin und es kam zu Momenten des richtigen Musikmachens, aber wenn sie zurück in Ostberlin sind, werden sie wahrscheinlich wieder in den Charme und die Wärme einer Panzerdivision verfallen.«
TV: Wir waren immer wieder in Amerika, zu Konzerten wie zu Kursen, beispielsweise 1990 zum »Ravinia Steans Institute für Young Artists«, einem der ältesten Sommer-Konservatorien in den USA, in der Nähe von Chicago, wo wir wieder für einen Monat auf Walter Levin (und das LaSalle Quartet) trafen. Auch lud uns James Levine als Leiter des Festivals, das gleichzeitig mit den Kursen veranstaltet wurde, im Jahr darauf zu Konzerten ein. Dass wir dort ganz wunderbar mit ihm, übrigens auch mit Lynn Harrell, musiziert haben, war etwas ganz Besonderes, denn wir waren die einzigen Studenten, die dafür ausgesucht wurden. Wir haben uns auch mit Walter Levin darüber ausgetauscht, wie wir es mit einer amerikanischen Agentur halten sollten, die uns kontaktiert hatte und die wir dringend benötigten. Sein Rat: »Also diese Manager, das sind alles Räuber. Lasst Euch auf nichts ein, was unter 8000 Dollar pro Konzert liegt«. Diesem Ratschlag haben wir als blauäugige Eleven im Geschäft zu folgen versucht. Aber obwohl wir dann mit verschiedenen Agenten in Levins Sinne hart verhandelt haben, landeten wir am Ende natürlich auf dem Boden der Tatsachen und haben lange gebraucht, ehe Gagenforderungen in dieser Höhe für uns realistisch wurden.
Cincinnati 1989, mit Phil Gottling und Henry Meyer (v. l. n. r.)
Neue Bahnen (2000 – 2014)
Das runde Jahr 2000 mag für eine Zäsur vielleicht formell tauglich sein, aber in konkret inhaltlicher Hinsicht ragt es keinesfalls aus der umgebenden Zeit heraus. Die heimischen wie auch die inhaltlichen Konzertverpflichtungen gingen ihren gewohnten Gang, und dennoch, scheint mir, zeichnen sich vor und nach der Jahrtausendwende einige Veränderungen ab, die für das Selbstverständnis des Vogler Quartetts von Belang waren. Es gab Überlegungen zu einer erweiterten Programmphilosophie und zu neuen Konzertformaten, vor allem jedoch galt es, zwischen Ihrer Spielpraxis und den Herausforderungen, denen Sie sich nun auf didaktischem und pädagogischem Gebiet kollektiv oder individuell gestellt haben, eine neue Balance zu finden.
TV: Ich glaube, dass wir den Jahrtausendwechsel trotz der allgemeinen Faszination durch die Magie der runden Zahl in nüchterner, pragmatischer Arbeit verbracht haben. In unserer Kindheit erschien dieses Datum so unendlich weit entfernt. Man fragte sich, wie wohl im Jahr 2000 die Autos aussehen und sich das Leben anfühlen würde, und hatte die Empfindung, in dieser utopischen Ferne mit 36 Jahren bereits ein uralter Mann zu sein. Ihre Bemerkung zu neuen Impulsen durch unsere anderweitigen Engagements ist sicher im Prinzip richtig, obwohl aber die Lehrtätigkeit schon früher eingesetzt hat.
SFO: Du meinst nicht die Lehraufträge, die wir an unserer Berliner Hochschule seit Beginn der neunziger Jahre wahrgenommen haben, sondern die Gastprofessuren, die ihr, Frank und du, ab 1996 für drei Jahre an der Musikhochschule in Detmold innehattet.
FR: Man wollte uns dort ursprünglich alle vier als »Quartet in Residence« haben, aber es waren dann nur zwei Stellen vakant, weil die beiden Geiger Christoph Poppen und Ulf Wallin nach Berlin gingen, Ersterer als Rektor unserer alten, sich gerade erneuernden Eisler-Hochschule am Gendarmenmarkt.
Zunächst wurde für uns Geiger eine Gastprofessur-Stelle geteilt. Die Absicht, das Quartett als Ganzes nach Detmold zu holen, ließ sich später aus verschiedenen Gründen nicht realisieren. Erst elf Jahre später, 2007, hat sich die interessante Idee einer Quartett-Professur verwirklichen lassen.
TV: Schon seit Mitte der neunziger Jahre bewegten wir im Kopf die Idee, irgendwo eine gemeinsame Anstellung zu finden, um pädagogisch zusammenarbeiten und uns natürlich auch finanziell absichern zu können, und begannen darauf hinzuarbeiten. So waren wir immer überzeugt von dem Modell eines »Quartet in Residence«