Melissa Gira Grant

Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit


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gaben an, ihnen sei Gewalt angedroht worden. Wie aber im Abschlussbericht der Studie nachzulesen ist, wurden Straßenprostituierte, die sich deswegen an die Polizei wandten, häufig schlicht ignoriert.

      Eine der Befragten, Carol, gab zu Protokoll: »Wenn ich sie [die Polizei] rufe, kommen sie nicht. Wenn ich auf der Straße ein Problem habe, kann ich die vergessen. ›Du musst ja schließlich nicht anschaffen gehen‹, heißt es dann. Nachdem eine Frau von mehreren Männern vergewaltigt wurde, sagten sie: ›Vergiss es, die geht anschaffen.‹ Die Frau sagte darauf: ›Ich hoffe, dass so etwas nie euren Töchtern passiert. Ich bin doch auch ein Mensch.‹«

      Jamie erzählte von einem Vorfall, als sie »auf der Straße rumstand und diese Typen in einem Jeep vorbeifuhren … Einer von denen warf eine Flasche nach mir. Ich ging zu den Bullen, und die sagten mir, wir hätten sowieso kein Recht, in dieser Gegend rumzuhängen, weil wir ja wüssten, dass da der Straßenstrich sei. Deshalb wären wir auch selbst schuld, egal, was uns passiert.«

      Polizeiliche Übergriffe beschränken sich aber nicht auf den Straßenstrich. Bei einer gleichzeitig vom Sex Workers Project durchgeführten Befragung von Sexarbeiter_innen, die überwiegend in Bordellen oder Wohnungen arbeiteten, gaben 14 Prozent an, Erfahrungen mit Polizeigewalt gemacht zu haben, und 16 Prozent berichteten, dass Polizisten sexuelle Handlungen gefordert hätten.

      Diese Studie wurde in New York durchgeführt, wo die Polizei dafür bekannt ist, im Zuge ihrer Arbeit regelmäßig Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Weltweit sind Polizeiübergriffe auf Sexarbeiter_innen allerdings ebenso an der Tagesordnung – und ebenfalls gut belegt. Im indischen Bundesstaat Westbengalen führte die Sexarbeiter_innenorganisation Durbar Mahila Samanwaya Committee eine Befragung unter über 21 000 Sexarbeiterinnen durch. Dabei trug das Kollektiv 48 000 Berichte über Fälle von Polizeigewalt zusammen. Dagegen lag die Zahl der Fälle von gewalttätigen Übergriffen von Freiern, die von Prostitutionsgegner_innen häufig als die größte Gefahr für Sexarbeiter_innen dargestellt werden, bei 4 000.

      Polizeigewalt gegen Sexarbeiter_innen ist weltweit und anhaltend Realität. Nach dem Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft führte die Polizei Razzien in Bordellen durch, nahm Sexarbeiterinnen fest, führte zwangsweise HIV-Tests durch und gab Fotos der Frauen mit der Information über ihren HIV-Status an die Medien weiter. Sowohl das UN-Programm UNAIDS, das verschiedene Maßnahmen zu HIV und AIDS weltweit koordiniert, als auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verurteilten diese Maßnahmen öffentlich. In China wurden verhaftete Sexarbeiterinnen von der Polizei zu sogenannten »Scham-Paraden« gezwungen, bei denen sie in Fußketten durch die Straßen marschieren mussten und dabei fotografiert wurden. Die Polizei veröffentlichte diese Fotos dann selbst im Internet. Darunter befindet sich auch ein Foto, auf dem ein Polizist eine nackte Sexarbeiterin erniedrigt, indem er ihr brutal den Kopf an den Haaren nach hinten zieht und sie so zwingt, der Kamera ihr Gesicht zu zeigen. Der öffentliche Aufschrei, den die massenhafte Verbreitung dieses Bildes im Internet auslöste, führte angeblich zur Aussetzung dieser Praxis öffentlicher Anprangerung. Nichtsdestotrotz führt die chinesische Polizei weiterhin gewalttätige Razzien und Verhaftungen durch.

      Es wäre zu hoffen, dass die Verbreitung solcher Fotos und Videos der Öffentlichkeit deutlich macht, wie alltäglich diese Art von gewalttätigen Übergriffen auf Sexarbeiter_innen ist. Aber um wirklich etwas gegen diese Form von Gewalt zu tun, müssten wir uns als Gesellschaft eingestehen, dass wir bestimmte Formen von Gewalt gegen Frauen zulassen, um den sozialen und sexuellen Wert anderer Frauen zu erhalten.

       Der Wert der Gewalt

      Ich habe aufgehört zu fragen, warum wir als Gesellschaft die Prostitution verboten haben. Viel wichtiger erscheint mir eine Antwort auf die Frage, wie viel Gewalt gegen »Prostituierte« wir gewillt sind zu akzeptieren. Kontrollen, verweigerte Hilfe und Übergriffe von Seiten der Polizei bilden den Kontext, in dem verdeckte Ermittlungen und dabei produzierte Videos als normale, in diesem Fall ausschließlich auf Bestrafung beschränkte Methode zur Sicherung des Rechts und damit als akzeptable Form der Gewaltausübung erscheinen.

      Während der Arbeit an diesem Buch wurde ich gebeten, an der Universität Yale einen Vortrag vor Jurastudent_innen und Fakultätsmitgliedern zu halten. Darin erwähnte ich auch die Videos. Nach dem Vortrag sprachen mich mehrere Student_innen einzeln an und sagten, sie hätten meinen Vortrag überzeugender gefunden, wenn ich meine »Position zur Prostitutionsfrage« einleitend klar dargelegt hätte.

      Ich erwiderte mit einer Frage: »Müssen Sie denn wissen, ob ich für oder gegen Prostitution bin, bevor Sie sich ein Urteil über Polizeigewalt und die anhaltende Ungerechtigkeit gegenüber Menschen erlauben können, die als ›Prostituierte‹ abgestempelt werden?« Sind diese Videos denn nur Dokumente einer akzeptablen Form von Gewalt, die zur Abschreckung dienen soll und die Prostitution vorsätzlich weniger sicher macht?

      Ich stehe weiter zu meinem Vortrag, würde aber folgenden Nachsatz anfügen: Diese Student_innen haben mir gezeigt, wie hartnäckig und fest viele Menschen an ihrer Ablehnung dessen festhalten, was sie als das »System der Prostitution« definiert haben. Dieses Bild ist so unumstößlich, dass ihnen selbst Polizeigewalt gegen Sexarbeiter_innen als unvermeidbarer Teil dieses Systems erscheint. Die Stigmatisierung und die Gewalt, der Sexarbeiter_innen ausgesetzt sind, richten viel größeren Schaden an als die Sexarbeit selbst. Wer aber in der Prostitution ausschließlich ein sich selbst regulierendes Gewaltsystem sieht, kann diese Relationen gar nicht mehr erkennen. Aus dieser Perspektive gesehen markiert die Prostitution das äußerste Grenzgebiet dessen, was für Frauen und Männer noch akzeptabel ist. Sie ist somit der Punkt, an dem Rechte enden und Gewalt zu Gerechtigkeit wird, und diese Legitimierung von Gewalt gilt dann als der Preis, den man für den Schutz von besonders Schutzbedürftigen zu zahlen hat. Immer wieder beschreiben Prostitutionsgegner_innen die Sexarbeit als ein Gewaltsystem, müssen dann aber sogleich eingestehen, dass Gewalt in ihrem Sinne auch nützlich sein kann, nämlich um Menschen daran zu hindern, der Sexarbeit nachzugehen oder die Dienste von Sexarbeiter_innen in Anspruch zu nehmen.

      Die Videoaufnahmen aus Fargo machen die Öffentlichkeit zu Zeugen dieser Gewalt gegen Sexarbeiter_innen, ohne dass die Menschen in den Videos explizit als solche kategorisiert werden. Was wir von ihrer Existenz sehen, sind lediglich die entscheidenden letzten Minuten eines Polizeieinsatzes, der dazu dienen soll, das Leben von Sexarbeiter_innen, ihre Bewegung im öffentlichen Raum, ihre Erwerbsarbeit und die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, zu kontrollieren. Die Videos zeigen den Moment, der mehr oder weniger allgemein als derjenige verstanden wird, der Prostitution erst definiert: Eine Vereinbarung wird getroffen, Geld wechselt den Besitzer. In diesem Fall kommen noch die Merkmale der internetbasierten Wohnungsprostitution hinzu: Zwei Menschen betreten ein Zimmer, setzen sich auf eine geblümte Tagesdecke und Geldscheine werden gezählt, bevor es dann losgehen soll – und bevor die Handschellen zuschnappen. Aus der Perspektive der Mehrheitsmeinung ist genau dies der Moment, auf den das gesamte Leben von Sexarbeiter_innen reduziert wird.

      So, wie es sich in einem Motelzimmer in Fargo, North Dakota, darstellt, ist dieses Leben so lange kaum von öffentlichem Interesse, bis es sich vor einer Polizeikamera abspielt.

       Der verurteilende Blick

      Es ist dieser Moment, in dem eine Vereinbarung getroffen und Geld übergeben wird, auf den Prostituierte reduziert werden, und so ist es kein Zufall, dass auch das Hauptaugenmerk der Justiz auf diesen Moment gerichtet ist. In den meisten Fällen muss es für die Ordnungsmacht gar nicht erst zu sexuellen Handlungen kommen, der Verhaftungsgrund liegt bereits vorher vor. In einigen Ländern, wie beispielsweise in Großbritannien und Kanada, sind die sexuellen Handlungen selbst gar nicht strafbar. Die »Kommunikation zum Zwecke der Werbung« und oft sogar der »Vorsatz zur Kundenwerbung« dagegen sind in vielen Rechtssystemen bereits verboten.

      Die Prostitution ist daher also oft ein rein sprachliches Vergehen.

      In manchen Städten ist sie auch ein Aufenthaltsvergehen. So hat die Polizei in Washington, DC, beispielsweise das Recht, Menschen in Gewahrsam zu nehmen, die sich in Gruppen von zwei oder mehr Personen in ausgewiesenen Sperrbezirken aufhalten. Auffällig viele transsexuelle Frauen aus dem New Yorker