nur im Sinne einer rückwärtsgewandten Brauchtumspflege. Sie schafft so etwas wie gläubige Kultur, mit den Kapellen und Kreuzwegstationen, den Bildern an den Häusern und dem Bittgang über die Flur, in den Segnungen von Fahrzeug und Vieh, Wohnung und Schule, in den Zügen der Beter zu den heiligen Orten, im Andenken, das man mit nach Hause nimmt, mit dem Kreuzlein, das man dem Kind um den Hals hängt. Auch in unserer so nüchternen Zeit ist Volksfrömmigkeit entstanden. Ich erinnere nur daran, dass in meiner Kindheit am Heiligen Abend die Friedhöfe alle im tiefsten Dunkel lagen. Nach dem Krieg begann man, Kerzen für die Gefallenen in die Fenster zu stellen, dann wanderten die Lichter auf die Gräber, und heute ist der Friedhof ein einziges großes Lichtermeer, und wenn man bedenkt, dass die Kirche in der zweiten Weihnachtsmesse das Thema „Lux et Origo“ feiert, Licht und Ursprung der Welt, dann hat diese Volksfrömmigkeit der erleuchteten Gottesacker einen tiefen Hintergrund im christlichen Glauben.
Viele Formen der Volksfrömmigkeit sind außerordentlich wichtig für Gemeinschafts- und Gemeindebildung. Das gilt für Familie und Pfarre, Jugendgruppe oder Altersheim. Man mag an den Martinszug der Kinder, die Bergfeuer junger Menschen, die Wallfahrt der Familie oder das Herbergsuchen denken – fast alle Formen der Volksfrömmigkeit schließen einen Weg zum andern hin ein. Deshalb gehört gesunde Volksfrömmigkeit und ihre Pflege, ja ihre schöpferische Weiterentwicklung auch zum Bild einer modernen Großstadtpfarre.
Diese so liebenswürdigen und sinnenhaften Verankerungen des Glaubens scheinen mir in einer Zeit wie der unseren besonders wichtig, da ja der immer deutlicher heraufdämmernde Priestermangel eine Einschränkung liturgischer Vollzüge wie der heiligen Messe notwendigerweise nach sich zieht.
Fehlentwicklungen
Aber der so freundliche Bauerngarten der Volksfrömmigkeit zeigt auch Neigung zum Wuchern, und man muss ein wenig auf der Hut sein. Vielleicht darf ich kurz andeuten, in welche Richtung die Fehlentwicklungen der Volksfrömmigkeit durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag gegangen sind.
Es gibt die uralte Versuchung zur Magie. Magie, die so alt wie die Religion in der Menschheitsgeschichte zu sein scheint, will die Gottheit mit bestimmten Praktiken zwingen. Es geht nicht um das tiefreligiöse Vertrauen, sondern um das Beherrschen von Tricks, die Segen bringen und Fluch abwehren. Bestimmte Riten, bestimmte Gebete, bestimmte Wiederholungen werden ganz sicher „nützen“. Wenn man’s falsch macht, nützt es nichts. Wenn man dieses Gebet nicht sagt oder diese Wallfahrt nicht mitmacht, ist die Mutter Gottes „beleidigt“. Die Welt wird mit Dämonen und bösen Geistern erfüllt, gegen die eben ganz bestimmte Frömmigkeitsformen „helfen“. Man sage nicht, das alles habe es nur im Mittelalter gegeben. Die tiefsten Ängste des Menschen sind zeitlos, zeitlos ist auch der untaugliche Versuch, sich davon zu befreien, und zeitlos ist das Bestreben, diese Bedürfnisse finanziell auszunützen. Auch heute gehen Leute um, die mit geheimen Rezepten die Geldtaschen für sich öffnen. Und das geheime Rezept hat etwas besonders Bestechendes. Das schlichte Vertrauen auf den gütigen Gott reicht bei weitem nicht aus. Darum wuchern in der Kirche Bewegungen mit geheimen und geheimsten Offenbarungen, die sich mit Vorliebe auf naive Fromme stürzen, und ich weiß, warum ich diesen Taschendieben im Volke Gottes entgegentrete. Es ist eine magische Entartung von Volksfrömmigkeit, wenn bei irgendeiner Unterlassung oder vernünftigen Änderung in der Kirche in den religiösen Vollzügen sofort auf daraus entstehende Flüche und böse Folgen hingewiesen wird. So hat zum Beispiel eine sich sehr fromm gebärdende Broschüre ein Autobusunglück in Zirl und den Dammbruch bei Stava1 in Trient der Rache des Anderl von Rinn2 zugeschoben. Bei solchen Vorstellungen wandert der christliche Glaube zurück in die dämonenerfüllten Urwälder des Steinzeitmenschen, dessen Religiosität wesentlich von der Besänftigung und Lähmung böser Geister geprägt war. Volksfrömmigkeit kann auch heidnisch werden.
Eine zweite Gefahr der Volksfrömmigkeit ist die Wucherung des Nebensächlichen. Auch diese Gefahr ist nicht ohne Aktualität. Unwichtiges wird zur Hauptsache hochgespielt und somit das Wesen des Christentums verdunkelt. Irgendein Heiliger nimmt eine Rolle ein, die nur dem Welterlöser zukommt. Eine im Detail auf ihre Echtheit kaum überprüfbare Privatoffenbarung wird wichtiger als das Wort Gottes. Eine Segensformel gilt mehr als das Mysterium der Eucharistie, ein Weihwassertropfen wird wichtiger als die Frömmigkeit des Herzens.
Es gibt also dieses Wuchern in Richtung Primitivisierung, Veräußerlichung, Magie. Das muss man wissen, und darum braucht der bunte Bauerngarten das Jäten, sonst werden bald einmal die Brennnesseln ins Kraut schießen.
Zum Schluss möchte ich auf drei Formen der Volksfrömmigkeit hinweisen, die bei uns aktuell und lebendig sind, und die gleichzeitig einen tiefen Bezug zu den zentralen Wahrheiten der Heilsbotschaft haben.
Da ist einmal die Wallfahrt. Sie drückt das hoffende Unterwegs-Sein des Christen aus, das mühsame Wandern und das doch Vertrauen-Können. Der Blick vom Georgenberg hinunter in die stundenlange Lichterschlange durch Wald und Schlucht offenbart eine der schönsten Formen von Volksfrömmigkeit.
Und dann gehört hierher die Krippe. Sie stellt das Mysterium der Menschwerdung in das Leben der Familie, in die heilige Zeit, in eine säkularisierte Welt. Und sie hat in unserer Zeit einen nie erwarteten Aufschwung genommen.
Und zum Dritten muss ich in Tirol die Herz-Jesu-Verehrung nennen. Sie führt – wenn sie richtig geübt wird und nicht nur an Äußerlichkeiten hängen bleibt – hinein in das innerste Wesen des erlösenden Gottes, „dessen Herzens Sinnen von Geschlecht zu Geschlecht geht, ihre Seelen dem Tod zu entreißen und sie im Hunger zu nähren …“3
Er soll und muss also weiterblühen, der Bauerngarten der Volksfrömmigkeit, auch in neuen Formen, aber man darf nicht auf das Unkraut vergessen, und dass die wuchernden Stauden den Blick auf das Eigentliche des christlichen Glaubens nicht verstellen dürfen.
Geleise in die Zukunft der Heimatkirche
PRIESTERTAGUNG
BRIXEN (1992)
Vor einiger Zeit ist in Österreich eine Befragung durchgeführt worden (Europäische Wertestudie), in die einige Tausend Katholiken einbezogen waren. Man hat diese Leute gefragt, was sie mit dem Begriff Kirche alles verbinden. Dazu bot man ihnen eine Reihe von Kombinationen an. Auf die Kombination „Kirche – Zukunft“ haben ganze drei Prozent bekannt, dass sie diese Begriffe miteinander verbinden würden. Ich bin mit allen Statistiken, die das Innere des Menschen betreffen, immer sehr vorsichtig gewesen. Aber zum Nachdenken bringt es einen doch, dass heute mit dem Begriff „Kirche“ Zukunft kaum verbunden wird. Unter Papst Johannes XXIII. war Kirche eindeutig mit Zukunft verbunden. Heute ist es anders. Das mag verschiedene Gründe haben. Ein Grund ist sicher, dass an den Steuerrädern und Kommandostellen der Kirche durchwegs ältere Herren tätig sind. Da ist es verständlich, dass der Blick eher zurückgewendet ist. Das gehört irgendwie zum Altwerden dazu. Man unterliegt auch der Gefahr einer Vergangenheitsverklärung. Gesundbleiben und Altwerden ist nicht nur ein biologischer Vorgang, sondern ist auch wesentlich bestimmt von einer geistigen Einstellung. Es gibt jugendliche Greise und greise Jugendliche. Ich weiß, dass hier eine ganze Reihe jugendliche Greise sind. In meiner Diözese sterben wenige am Pensionsschock. Das hat auch Vorteile.
Mir sind von früher her Werke von Futurologen bekannt. Futurologie ist eine sehr vielseitige Wissenschaft. Man kann aber viel weniger voraussagen, als man gemeinhin meint. Man kann wohl technische Dinge voraussagen, die Ressourcen der Erde berechnen, Bevölkerungspyramiden erstellen und auch herausarbeiten, was für soziale Probleme darin liegen. Aber schon bei der Wirtschaft wird man ganz vorsichtig. Wie oft müssen doch wirtschaftliche Daten korrigiert werden. Man kann in Italien und auch in Österreich mit relativ gesicherten Verhältnissen doch nicht alles voraussagen. Die Wissenschaft von der Zukunft ist sehr zurückhaltend, besonders in Bezug auf die Vorhersage geistiger Entwicklungen. In diesem Bereich kann man fast nichts voraussagen. Hier ist alles viel unsicherer als die Wettervorhersage. Die in den letzten Jahrzehnten erfolgten Veränderungen in der Kirche hätten wir nie voraussehen können.
Aber diese Zurückhaltung gegenüber allen Aussagen über die