die Generalprobe am Vortag des Festes (das pastorale Personal war sehr gereizt); am Festtag schließlich ein Mix aus Aufregung, Freude und Ängsten; nach der Feier eine festliche Jause mit Fototermin; insgesamt ein schöner, heiterer Tag. Oder verlief der Tag unglücklich und endete in einem Familiendrama? Möglich, dass gar keine Erinnerungen da sind, weil der Tag innerlich in weite Ferne gerückt ist oder weil Sie nicht getauft sind.
Bei »Kommunion« denken Katholiken gewöhnlich an das Sakrament der Eucharistie, besonders an dessen ersten Empfang. Allerdings: Menschen, denen dieses Umfeld fremd ist, kommunizieren dennoch. Sie tun dies, weil sie gar nicht anders können, nämlich anderen Menschen in der Welt zu begegnen, Beziehungen einzugehen und diese zu kultivieren, Gemeinschaft zu schaffen. Der Mensch ist, so sagt es das christliche Menschenbild, von Gott dazu geschaffen, zu kommunizieren. Das Wort »Kommunion« kann also auch umfassender gebraucht werden. Hier liegt der Ansatzpunkt dieses Buches. Der Begriff »Kommunion« taugt sogar als Schlüsselbegriff christlicher Spiritualität. Jeder Mensch ist zu einer heiligen Kommunion, nämlich zur vollen Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott berufen. Diese Gemeinschaft findet in der sakramentalen, eucharistischen Kommunion – »heilige Kommunion« im engeren Sinn – einen Vorentwurf. Die sakramentale Kommunion wiederum hat sich im alltäglichen Einsatz für die Gemeinschaft in Gesellschaft und Kirche zu bewahrheiten.
Um dies zu entfalten, lesen wir zunächst in den Zeichen der Zeit. Menschen legen heute mehr als früher Wert auf ihre Individualität, und dies zu Recht. Zugleich empfinden es viele als entscheidend, Mitglied – wenn auch anonymes – einer Community zu sein. So gibt es in westlichen Gesellschaften derzeit beides: Tendenzen zum Individualismus ebenso wie neue und alte Formen von Gemeinschaft.
INDIVIDUALISMUS UND REALE EINSAMKEIT
Individualismus ist ein Merkmal unserer Zeit. Soziologen belegen, dass in unseren spätmodernen Gesellschaften der Individualismus besonders stark ausgeprägt ist. Dagegen gibt es berechtigte politische und christlich-kirchliche Kritik. Aber zunächst ist das Gute daran zu sehen. Denn diese Tendenz unterstreicht etwas, was dem christlichen Menschenbild immer schon wichtig ist: Der einzelne Mensch, das Individuum ist in seinem Stehen vor Gott unvertretbar. Neben der biblischen Tradition war es nicht zuletzt Ignatius von Loyola, der am Beginn der Neuzeit diverse philosophischtheologische Entwicklungen spirituell auf den Punkt brachte, indem er pointiert nach dem Willen Gottes »für mich« fragte. In der Freiheit des Individuums liegt viel politischer Sprengstoff. Es liegt auf der Hand, dass totalitäre Systeme schon im Ansatz versuchen, das Individuum zu schwächen.
Die zunehmende Individualisierung führte dazu, dass Herkunft und Milieu immer weniger die persönliche Identität bestimmen. Dies wird einerseits als Freiheitsgewinn erlebt. Anderseits ist das mit Heimatverlust verbunden. Damit steigt der Druck, sich zu definieren. Auf diesen Bedarf antwortet, um ein Beispiel zu nennen, die boomende Tattoo-Szene. Sie liefert Vorlagen für die – ganz individuelle – Selbstinszenierung (und gliedert damit wieder in eine Community ein).
Aber alle »Ismen« haben ihre Kehrseite. Ungebremster Individualismus führt in die Vereinzelung. Ob auf privater, beruflicher oder wirtschaftlicher Ebene: Wenn nur mehr »Ich-AGs« ihre Egoismen durchsetzen, zerfällt der gesellschaftliche Zusammenhalt. Solidarität ist nur möglich, wenn das »Ich« dem »Du« und dem »Wir« Raum lässt. Nicht zuletzt: Vereinzelung bedeutet Einsamkeit. Damit sind hier nicht die positiven Aspekte von Einsamkeit und deren spirituelle Früchte gemeint. Es geht um das Lebensgefühl, das der Gelähmte am Teich von Betesda so ausdrückt: »Herr, ich habe keinen Menschen« (Joh 5,7). Freundschaften, Beziehungen und Partnerschaften sind generell fragiler geworden. Die Suche nach einem Lebenspartner muss keineswegs glücken.1 Viele gehen mit dem Eindruck durchs Leben, nirgendwo einen Ort zu haben, d. h. wenigstens einen Menschen, dem man sich anvertrauen und mit dem man gut sprechen kann. Das Internet kann hier viel bewirken und Menschen real miteinander vernetzen – oder die Einsamkeit nach dem Chat noch drückender erleben lassen … Neben individualistischen Tendenzen gibt es gegenwärtig eine Reihe von Phänomenen, die in die andere Richtung zeigen: Sie führen das Individuum über sich hinaus – zum Du, in die Gruppe, in den engeren Zusammenhalt.
NEUE UND ALTE FORMEN VON GEMEINSCHAFT
Stichwort Internet: Die neuen sozialen Netzwerke (Facebook, Twitter etc.) ermöglichen Aufnahme in eine – wenn auch virtuelle – Gemeinschaft. Damit kommen sie einem elementaren Bedürfnis des Menschen entgegen, dies begründet ihren rasanten Aufstieg. Wer will nicht »Freunde haben«, eingebettet sein in einen stetig wachsenden Kreis liebevoller Menschen? Hier geschieht blitzschnell kommunikative Vernetzung, die der Information, der politischen Befreiung (»Arabischer Frühling«) – und fallweise dem Mobbing dient. Bei aller Virtualität, die auch Illusion sein kann und bei aller Unverbindlichkeit: Nicht selten finden Menschen auf diesem Weg einen Weg zueinander.
In der jüngsten Vergangenheit war am Beispiel »Stuttgarter Bahnhof« abzulesen, dass der Widerstand einende Kraft hat. Der Kampf gegen ein ungeliebtes Projekt führte mitteleuropäische Individualisten zusammen. Die Empörung hatte man gemeinsam. Die Gegnerschaft schuf Gemeinschaft; Alter, Geschlecht, Beruf, Religion, Konfession, selbst politische Einstellung traten für eine Weile in den Hintergrund.
Ferner: Hat nicht der Sport immer noch erstaunliche gemeinschaftsfördernde Kraft? Ob Olympiade oder Fußball-Champions-League, sportliches Kräftemessen hat seit der Antike seinen Ort im Stadion. Ein gefülltes Stadion, mitunter als »Hexenkessel« bezeichnet, hat etwas von einem Sakralraum. Um beim Fußball zu bleiben: Es ist heiliges Spiel mit klar umrissenen paraliturgischen Regeln, mit Schola und Chorgesang. Ein Torerfolg führt zur innigen Umarmung von Spielern und intensiviert das Wir-Gefühl bis hin zu einem mystischen Aufgehen des Einzelnen in der Masse der Fans. Hier lassen sich unschwer Ähnlichkeiten mit einem – profanisierten, versteht sich – Gottesdienst aufspüren.
Noch eine Beobachtung: Unter vielen jungen Menschen steht das gemeinsame Essen hoch im Kurs. Schon das gemeinsame Kochen im Vorfeld wird zelebriert. Dafür nimmt man sich Zeit. Gewiss: Fast Food lässt sich manchmal nicht umgehen. Aber das Bewusstsein, dass das gemeinsame Mahl mehr ist als ein zweckorientiertes Meeting zur Nahrungsaufnahme, bleibt so lebendig.
Die Beispiele, wie sich Gemeinschaft heute darstellt, ließen sich vermehren. Die Formen sind vielfältig, ob neu oder alt, ob Versuch oder altbewährtes Modell. Ein Ergebnis ist: Der Mensch kann nicht anders, als zu kommunizieren. Er tut dies vorwiegend über das Medium der Sprache, aber darüber hinaus »unter vielerlei Gestalten«. Noch die selbstgewählte Isolation (extremer Individualismus) ist als Verweigerung von Kommunikation eine Form kommunikativen Verhaltens. Dies ist für unser Thema wichtig. Denn wenn es darum geht, christliche Spiritualität zu bestimmen, fallen hier Vorentscheidungen.
DER MENSCH GENÜGT SICH NICHT
Die biblisch-christliche Überlieferung sagt: Der Mensch ist von Gott her auf Beziehung angelegt. Der Mensch genügt sich nicht. Das Geheimnis »Mensch« lichtet sich, wenn sich der Mensch vom Anderen her und auf den Anderen hin versteht und loslässt. So gesehen ist Kommunion (im oben beschriebenen, weit gefassten Sinn) jedem Menschen eingeschrieben. Darum ist jeder Mensch rastlos auf der Suche nach gelingender Beziehung, nach Umarmung und Verschmelzung, nach Gemeinschaft. Dabei will der Mensch auch wirklich ankommen, und zwar endgültig. Bliebe tatsächlich »der Weg das Ziel«, wäre dies höllisch! Das hat Folgen für das Thema Identität und Selbstsuche: Wer sich auf Beziehung zum Du (Mitmensch, Welt, Gesellschaft, Gott) einlässt, findet sich. Wer Beziehung riskiert, gewinnt – sogar im Scheitern! Wer die Ich-AG zum Prinzip erklärt, bleibt tatsächlich allein. Darum ist festzuhalten: »Heilige Kommunion« als Grundfigur christlicher Spiritualität ermutigt zum Sich-vertrauensvoll-Loslassen auf ein Du hin. Wann immer ein Mensch es wagt, sich für ein Du zu öffnen, ist dies in der Sicht des Glaubens als Hinweis auf den Geist Gottes zu lesen, der solches ermöglicht. »Ich will ohne dich nicht leben«: Was wie ein abgeschmackter Satz eines Melodrams klingt, zählt in Wahrheit zu den Basics