Prozess nachlassender Illusionen und gewonnener Einsichten. Haarfärbepräparate, Implantate oder operativ gestraffte Tränensäcke machen beim weisen König einfach keinen Sinn.
Dieses Krippen-Bild will verdeutlichen, dass das Leben des Menschen eine Hinreise zu Gott ist. Das ist die entscheidende Bewegung unseres Lebens. Im Grunde geht jeder Mensch, bewusst oder unbewusst, diesen Weg der Gottsuche in seinem Leben nach. Die Tiefenpsychologie und die Lebenserfahrung älterer Menschen bestätigen das.
In jungen Jahren gleichen wir dem jungen König in der Darstellung: Wir sind noch weit weg von dem Kind in der Krippe. Zu stark sind wir von unseren Lebensumständen und Lebenserwartungen geprägt. Geld, Karriere, Status und Prestige, teure Unterhaltungselektronik, exotische Reisen, gute Kleidung und schöne Autos – die Reittiere unserer Zeit! – erscheinen uns als erstrebenswerte und glückverheißende Güter im Leben. Gott als Stern und Wegweiser haben wir in dieser Lebensphase meist nicht im Auge, ja er berührt uns kaum.
Später gleichen wir dem König in der Lebensmitte: Nach oft turbulenten Jahren der Jugend, Ausbildung, Berufswahl, Familiengründung und des Hausbaues schleicht sich Unbehagen ein. Wir beginnen zu bemerken, dass all das, wofür wir hart gearbeitet haben, doch nicht ganz ausreicht für ein glückliches und erfülltes Leben. Bei vielen läutet jetzt der Midlife-Crisis-Alarm. Wir beginnen zu fragen, zu hinter-fragen, und suchen nach einem Stern, der Orientierung und Sinn im Leben gibt und uns an ein Ziel führt. Ein Prozess, der typisch ist für Menschen in den mittleren Lebensjahren.
Zuletzt gleichen wir dem alten König, der vor dem Kind in der Krippe kniet – das Leben hat ihn offener, großzügiger, bereiter gemacht, etwas von sich zu geben und anderen zu helfen. Im Kind in der Krippe betet er den Ursprung und das Ziel menschlichen Daseins an. Er hat endgültig gefunden. Diese Erfahrung ist stärker als jeder Altersgeiz und lässt den weisen König die Hände öffnen, weil er weiß, dass man mit vollen Händen nicht beten kann.
Der Volksmund sagt auf unübertrefflich kluge Weise: „Junge Sünder, alte Beter!“ und zeichnet damit dieses Bild der drei Könige vor der Krippe. Der Volksmund kennt aber auch die umgekehrte Variante: „Junge Beter, alte Sünder!“ Und er warnt damit vor jungen Fanatikern, deren Glaube und Gottesbeziehung nicht die gesunde Frucht eines Reifeprozesses sind, sondern Spiegelbild eines übersteigerten geistlichen Ehrgeizes sein können. Einem solchen Ehrgeiz fehlt oft die wahre geistliche Substanz. Junge „Himmelsstürmer“, die davon betroffen sind, entwickeln gegenüber ihren Mitmenschen eine herablassende, unbarmherzige Haltung, die sie mit zunehmenden Jahren zu „alten Sündern“ werden lässt. Und wenn sich erst die eigenen jahrzehntelang ausgeblendeten Defizite und Begierden solcher Menschen zu Wort melden, ist der Absturz in die Unerlöstheit keine Seltenheit.
Im Weg der Weisen, der drei Könige aus dem Osten, ist der natürliche Weg der Gottsuche eines jeden Menschen vorgezeichnet. Es ist auch unser Weg. Dieser Weg der Hingabe braucht Zeit, kennt Um- und Irrwege, hat aber ein sicheres Ziel. In ihm kommt unser Herz zur Ruhe.
A wie AUFERSTEHUNG
Oder: Es kommt weder auf die Stärke der Dioptrien noch auf die Körpergröße an.
Mit den modernsten optischen Geräten ist der Mensch imstande, in die schwindelerregenden Weiten des Mikro- und des Makrokosmos zu blicken. Doch weder Elektronenmikroskop noch Hubble-Teleskop ermöglichen ihm eine sinnstiftende Zusammenschau der Dinge jenseits wissenschaftlicher Einzelerkenntnis. Mit dem Verweis auf den „kleinen Mann“ Zachäus und die spielenden Kinder französischer Dörfer erinnert der Bischof mit der starken Brille die Teilnehmer einer Krankenwallfahrt nach Lourdes daran, dass das Gefühl und die Perspektive der Christen viel feinfühliger sein können als der Verstand scharfsinnig sein kann. Nur mit den Augen des Herzens sieht man gut. Und nur, wer gut sieht, bewegt sich auf sicherem, angstfreiem Pfad.
Ein kleiner Mann auf einem Baum: Zachäus, der Zöllner, von dem uns die Bibel erzählt. Der Tag, an dem er Jesus begegnet, verändert sein ganzes Leben, lässt ihn im wahrsten Sinne des Wortes neu geboren werden – als neuer Mensch feiert er einen neuen Geburtstag. Dazu erzählt uns der Evangelist Lukas, dass Zachäus, der von kleiner Gestalt war, zwei äußere Bewegungen vollzogen hat, die entscheidend für dieses neue innere Leben waren und die auch uns nach 2000 Jahren zeigen, worauf es bei der Nachfolge Jesu ankommt.
Der erste Schritt: Hinaufsteigen, um besser sehen zu können. Zachäus löst sich aus der Alltagsperspektive, wo er als kleiner Mann mit einem verpönten Beruf seelisch unterzugehen droht, und wechselt hinauf in eine neue Perspektive. Er sehnt sich nach einem neuen Blickwinkel, er will diesen Jesus sehen, von dem alle reden, und er findet ihn schließlich auch.
Der zweite Schritt: Heruntersteigen, um gemeinsam mit Jesus gehen zu können. Erst indem Zachäus nicht in der Beobachtung und im sicheren Abstand von der Welt verweilt, sondern wieder vom Baum heruntersteigt, kann er sich gemeinsam mit Jesus auf den Weg durchs Leben machen. Üben auch wir in unserem Leben diese beiden Schritte ein! Suchen wir Orte, die es uns erlauben, ungestört auf Jesus zu schauen, und lassen wir uns immer wieder auf den Weg in die Gemeinschaft ein! Suchen wir die Kontemplation, aber pflegen wir stets auch die konkrete Aktion!
In einigen französischen Dörfern wird bis heute folgender Osterbrauch gepflegt: Wenn am Ostersonntag in der Früh zum ersten Mal die Kirchenglocken läuten, laufen Kinder und Erwachsene schnell zum Brunnen in der Mitte des Dorfes. Dort waschen sie sich mit dem kühlen, klaren Brunnenwasser die Augen aus. Sie wollen „Osteraugen“ bekommen: Osteraugen, aus denen alle misstrauischen, alle verachtenden, alle neidischen und berechnenden Blicke verschwunden sind; Osteraugen, aus denen der Schleier der Angst, der Resignation und der Hoffnungslosigkeit weggespült ist; Osteraugen, aus denen Trägheit, Desinteresse und Gleichgültigkeit gegenüber Gott und den Menschen herausgewaschen sind.
Die Osterevangelien und dieser alte Brauch sagen uns: Auferstehung kann man nicht mit Worten erklären, sondern man kann die Wahrheit, dass Jesus Christus nicht im Tod geblieben ist, nur durch österliche Menschen erfahren. Menschen, denen man es an ihren Augen ansieht, dass sie aus dieser Wahrheit leben, dass sie mit Jesus zu einem neuen Leben auferstanden sind. Es sind also – von den ersten Jüngern bis in unsere Zeit – immer konkrete Menschen, die ohne große Worte Auferstehung bezeugen. Es sind Menschen, denen die Osterfreude aus den Augen schaut, die im wahrsten Sinn des Wortes in ihrem Leben Jesus „im Blick“ haben: Menschen mit Osteraugen.
Osteraugen können entdecken, dass im Menschen Jesus von Nazareth das Leben endgültig zum Durchbruch gekommen ist; ein – trotz Leid und Tod am Kreuz – erfülltes und gelungenes Leben, so wie Gott sich wahres Leben vorstellt. Osteraugen verschließen sich nicht vor der Not. Sie nehmen die vielen Todessignale in unserer Welt wahr, sie haben einen Blick dafür, wo das Leben zu kurz kommt oder auf der Strecke bleibt, wo einer mundtot gemacht wird, wo einer unter die Räder kommt. Sie erkennen, wo wir aufstehen müssen gegen Ungerechtes, Eingefahrenes und Erstarrtes.
Osteraugen lassen sich aber auch leichter zudrücken. Sie sehen die eigenen Fehler und können deshalb über die Schwächen der Anderen gelassen hinwegsehen. Osteraugen sehen weiter. Sie bleiben nicht auf das Schwierige und Unsympathische fixiert, das uns an unseren Mitmenschen immer zuerst auffällt; sie bleiben nicht an Krankheit, Leid, Tod haften, sondern schauen hinter die Fassade des vordergründig Abstoßenden und entdecken den Anderen, so wie Gott ihn sich gedacht hat. Sie sehen einen Weg, wo vorher keiner war, und sie sehen im Ende schon wieder einen neuen Anfang. „Erlöster müssten die Christen aussehen, damit man an ihren Welterlöser glauben kann.“ Vielleicht hätte Friedrich Nietzsche diesen Vorwurf nicht formuliert, wenn er mehr Christen mit Osteraugen begegnet wäre.
Vielleicht könnten wir als Kirche gelassener sein, wenn immer mehr Christen – Geweihte und Laien – den Auferstandenen wirklich „im Blick“ hätten. Denn diese Perspektive wäre die heute so notwendige Neuevangelisierung! Die Mitte unseres Glaubens und unserer Kirche ist und bleibt dieser Auferstandene und unsere lebendige Beziehung zu ihm durch Gebet, Gottesdienst und tätige Nächstenliebe.
B wie BEICHTE
Oder: