Brigitte Lamberts

El Gustario de Mallorca und das tödliche Gemälde


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Begierde? Er ist sich nicht sicher. Besitz ist seinem Chef wichtig, aber nicht um jeden Preis.

      Das Krachen des Hammers beweist ihm auf schmerzliche Art sein Versagen. Auftrag nicht erfüllt, eine Enttäuschung für seinen Auftraggeber und eine Schande für ihn selbst. Er lässt den Kopf sinken und starrt zu Boden. Die Stimme der Frau neben ihm dringt nur allmählich an sein Ohr. Hat sie ihm eine Frage gestellt? Der Chinese sieht zu ihr auf, ihre Lippen bewegen sich. »Do you know him?«, liest er ihr vom Mund ab. Sie meint den Sieger des Bietergefechtes. Niedergeschlagen schüttelt er den Kopf. Hinter ihnen wird getuschelt. »Schon wieder dieser Condé. Woher kommt das viele Geld? So vermögend ist der mallorquinische Adel doch gar nicht mehr.«

      Palma. Santa Catalina. Aus den Lautsprechern des alten Kastenwagens tönt blechern die Stimme von Juanes. Doch das hält Manuel, Lucía und Sven keineswegs davon ab, das Lied »La camisa negra« schief und schrill mitzusingen. Manuel klopft mit den Fingern den Takt auf dem Lenkrad, Lucía trällert etwas zu hoch und Sven brummt eher, als dass er die Melodie hält. Er hat auf dem Rücksitz den schlechtesten Sitzplatz und wird jedes Mal, wenn Manuel eine Kurve zu forsch nimmt, nach links oder rechts geschleudert. Im Szeneviertel Santa Catalina, dem ehemaligen Fischerviertel von Palma, sind die Straßen eng und verwinkelt. Hier gibt es wunderschöne Häuser mit Jugendstilornamenten, zwar kleiner als in der Altstadt, dafür mit morbidem Charme. Kaum hat Manuel die nächste Ecke genommen, sehen sie schon eine der runden Glastüren der Markthallen. Nach wenigen Metern tritt Manuel abrupt auf die Bremse und Sven prallt unsanft mit dem Kopf gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes. »Mensch, pass doch auf«, schimpft er und fasst sich an die Stirn. Sein Freund dreht sich grinsend nach hinten und fährt mit Schwung in die Parklücke. Dann schaltet er den Motor aus und die Musik verstummt. »So, das hätten wir geschafft«, bemerkt er zufrieden, denn selbst um diese frühe Uhrzeit ist hier kaum ein Parkplatz zu finden, schon gar nicht direkt vor dem Markt.

      »Wollen wir uns aufteilen oder gehen wir zusammen?«, fragt Manuel.

      »Zusammen, dann macht es mehr Spaß«, schlägt Lucía vor, doch Sven gibt zu bedenken: »Dann dauert es länger.«

      »Ist doch egal. Wir sind gut in der Zeit«, erwidert die Mallorquinerin. Gemeinsam steuern sie gleich im ersten Gang den Stand mit Fleisch und frischen Wurstwaren an. Lucía holt einen Zettel aus der Hosentasche ihrer Jeans.

      »Ich brauche zehn sobrasadas.« Manuel deutet auf mehrere, fast 60 Zentimeter lange Würste, die von einem Haken herunterhängen. »Nimm die llonganissa, die eignet sich gut zum Grillen und Frittieren«, erläutert er.

      »Ich brauche aber auch einige als Beigabe zum gedünsteten Rebhuhn«, stellt Lucía klar. »Was meinst du, soll ich die botifarró nehmen?« Sie zeigt auf kleine, dunklere Würstchen, die in einer Glasvitrine liegen. »Die botifarró ist besonders gut für Eintöpfe. Aber denkst du, die geben meinem Rebhuhn die zusätzliche Würze?« Manuel nickt ihr zu. Sven schmunzelt. Es ist doch immer wieder ein Genuss, mit den beiden auf den Markt zu gehen. Manuel reserviert sich noch schnell zwanzig Lammschultern, die er auf dem Rückweg abholen wird. Auf Svens Kommentar, ob er die so zubereiten will wie die alte Köchin im Bergbauernhof Es Verger oberhalb von Alaró, die Bier und viel Wasser in die Bräter gibt, grinst er nur vielsagend. Und schon weiß Sven, sein Freund wird es ganz anders machen. Der nächste Stand bietet Gemüse und Salate, präsentiert wie auf einem Gemälde: Fast schon künstlerisch sind die glänzenden Auberginen zu kleinen Türmen aufgestapelt und die getrockneten Paprika hängen wie Girlanden von der Decke. Lucía ist kaum zu halten und ordert gleich mehrere unterschiedliche Salatköpfe, Tomaten, Paprika, Zucchini und Auberginen. Sie schaut erneut auf ihren Zettel, dann deutet sie auf einen großen, flachen Bastkorb, der bis zum Rand gefüllt ist mit pimientos, den kleinen grünen Bratpaprika. Nachdem sie ihre Einkäufe in einer großen Einkaufstasche verstaut hat, steuern die drei den Fischstand an. Beeindruckend liegt hier auf mehr als zwanzig Metern all das, was einem Fischliebhaber das Herz aufgehen lässt. Sven erblickt einen großen Berg der auf Mallorca so beliebten Goldmakrele. Die llampuga fällt durch den glänzenden, goldenen Schimmer ihrer Haut sofort ins Auge. Gleich daneben liegen zwei prächtige Exemplare des círvia, Sven schätzt die Zitronenfische auf jeweils stattliche fünfzig Kilogramm.

      Ehe er sich weiter umschauen kann, eilt Emilio, der Fischverkäufer, auf die drei zu.

      »Was kannst du mir heute anbieten?«, fragt Manuel ihn interessiert. Wie immer fährt sich der wortkarge Mann erst einmal über seine Bartstoppeln.

      »Ich möchte bitte zwei Kilo caragols«, drängelt sich Lucía mit ihrer Schneckenbestellung vor. Emilio zieht eine Augenbraue hoch. Das geht ihm eindeutig zu schnell.

      Lucía weiß den Blick richtig zu deuten und geht zwei Schritte zurück. Dabei stößt sie mit Sven zusammen, der nach hinten stolpert.

      »Aua!«, hören sie eine helle Frauenstimme.

      Sven springt zur Seite, dreht sich um und schaut in das schmerzverzerrte Gesicht einer jungen blonden Frau. »Entschuldigung«, stammelt er, »das war keine Absicht.« Sie hüpft auf einem Bein und massiert sich den Fuß, der in einer Sandale steckt.

      Manuel ahnt, dass sie sich gerade noch eine bissige Bemerkung verkneifen kann. In ihren Augen liest er so etwas wie »Trottel«. Doch dann winkt sie ab. »Geht schon. Alles halb so schlimm.«

      Sven ist die Situation überaus peinlich, das merken seine Freunde sofort. Und er wäre nicht Sven, wenn er seiner Entschuldigung nicht sogleich eine Wiedergutmachung nachschieben würde. »Darf ich Sie als Entschädigung zu einem cortado einladen?« Die junge Frau schaut ihn von oben bis unten an und überlegt kurz, dann nickt sie huldvoll. Lucía verdreht die Augen und Manuel zuckt nur kurz mit den Schultern. Sven ist erleichtert und blickt sich um. »Hier ist gleich die Bar Ostra, dort gibt es die besten Austern des Marktes, wollen wir die zusammen probieren?« Manuel verzieht das Gesicht, dann legt er den Arm um Lucía und flüstert ihr zu: »Mit unserem El Gustario brauchen wir bis heute Abend nicht mehr zu rechnen.« Lucía schaut ihn verwundert an. Dann sehen sie, wie ihr Freund mit ausgestrecktem Arm auf zwei freie Barhocker an der Theke des Standes zeigt. Sie grinst. »Das glaube ich auch.«

      Palma. Mercat de Santa Catalina. Die Hocker an der langgezogenen Theke und die wenigen kleinen Tische rechts von der Bar sind längst besetzt, die Geräuschkulisse schon recht laut. Doch Sven und die junge blonde Frau, die sich als Sara vorgestellt hat, scheint das nicht zu stören, sie unterhalten sich angeregt. Fast macht es den Eindruck, als gäbe es das Treiben um sie herum gar nicht. Sie haben verschiedene Austernsorten probiert, nur mit Zitrone beträufelt. Sven erklärt die Unterschiede bei den Schalentieren und wie wichtig die Wasserqualität bei der Züchtung ist. Auf ihre Frage, ob er auf Mallorca leben würde, erzählt er ausführlich, wie es dazu gekommen ist: dass er vor rund zwei Jahren den Auftrag bekommen hat, als Gastrokritiker einen besonderen kulinarischen Reiseführer über Mallorca zu schreiben, er deswegen für drei Monate auf die Insel gereist sei und danach einfach nicht mehr wegwollte.

      »War es eine Schönheit der Insel oder die mallorquinische Küche?« Sie zwinkert ihm zu. Sven lacht, dann legt er den Kopf leicht schräg und denkt kurz nach.

      »Ich habe Mallorca immer schon geliebt, aber geblieben bin ich wegen meiner neuen Freunde.«

      »Freundschaft, das ist wie Heimat.«

      »Stimmt! Könnte von Tucholsky stammen.«

      »Ist von ihm.«

      Sven grinst belustigt. »Wollen wir nicht zum ‚Du‘ übergehen? In Spanien spricht sich jeder mit dem Vornamen an.«

      »Gerne«, erwidert sie.

      Sven genießt Saras Gegenwart und ihr geht es offensichtlich ähnlich.

      »Und du?«, fragt er, »machst du Urlaub auf Mallorca?«

      »Ja, zwei Wochen habe ich mir freigeschaufelt.«

      »Wann bist du angekommen?«

      »Heute früh.« Sara lacht. »So früh, dass ich mein Hotelzimmer noch nicht