Laura Zimmermann

Meine Augen sind hier oben


Скачать книгу

nette Schwester kennenzulernen. Übrigens, ich bin mir ziemlich sicher, dass der goldige Engel einen winzigen Zwerg aus Glas gestohlen hat. Der ist mir aus vielen Gründen, die alle sehr erwachsen und vernünftig sind, sehr wichtig und ich habe mich gefragt, ob ich ihn wiederhaben kann? Geschwister, stimmt’s?«

      Ja. Das klappt bestimmt. Er wird wahrscheinlich sagen: »Ich habe mich schon gefragt, wo der kleine Kerl herkommt!«, und einen Kasten hervorziehen, in dem Brummbär sicher in Dodo-Daunen gewickelt liegt. »Ich habe einfach schon mal seinen Hut abgeschliffen und auch den kleinen Splitter in seiner Spitzhacke repariert. Ich hoffe, das ist okay.« Und dann wird er mir sagen, dass er schon immer mit jemandem ausgehen wollte, der größere T-Shirts trägt als er.

      »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du den Neuen kennst.« Ich fahre zusammen, als Maggie neben mir ihr Tablett auf den Tisch knallt.

      »Meinst du Jackson?« Ich sage es so, als gäbe es massenweise neue Schüler und nicht so, als hätte ich ihn gerade dabei beobachtet, wie er zusammen mit Max Cleave und einem anderen Zwölftklässler aus der Schulmensa gegangen ist.

      »Er hat meinem Bruder erzählt, dass du der erste Mensch bist, den er hier kennengelernt hat. Er hat gesagt, dass du sehr hilfsbereit warst.«

      »Hilfsbereit? Na ja, wie man’s nimmt. Ich musste meine Mom zu dem Treffen begleiten. Du weißt ja, wie sie ist. Das ist so nervig.« Falsch. Nichts, um das sie mich je gebeten hat, war so wenig nervig, wie Jackson zu treffen. »Warum gibt Max sich mit einem Zehntklässler ab?«

      »Max möchte, dass Jackson im Frühjahr Baseball spielt. Sie brauchen einen neuen Feldspieler an der zweiten Base, oder so ähnlich, weil dieser Wieheißternoch von der Schule abgegangen ist und Max den Typ mit dem fusseligen Bart nicht gut findet.«

      »Ich glaube, er spielt hauptsächlich Tennis.«

      Maggie zuckt mit den Schultern. Sport interessiert sie nicht die Bohne. Als ich einmal gesagt habe, dass ich zu Tylers Eishockeyspiel gehe, hat sie gefragt: »Im Winter?«

      »Wie ist er denn so?«

      »Jackson?«

      »Nein, Max«, sagt sie sarkastisch.

      »Ach so. Ja, nett.«

      Maggie wirft mir einen missbilligenden Blick zu. »Nett?«

      »Ich meine, er ist freundlich. Und lustig.« Sie guckt mich weiter an. »Ich weiß es nicht. Ganz offensichtlich ist er besser darin, Freunde zu finden, als ich?« Sie hört nicht auf, mich anzugucken. »Ich kann ihn dir vorstellen.«

      »Warum hast du mir nichts von ihm erzählt?«

      »Ich dachte, ich hätte ihn erwähnt.«

      Sie sieht skeptisch aus, aber bohrt nicht weiter nach. »Vielleicht hast du das und ich habe es vergessen.«

      Ein tiefer, erleichterter Seufzer entfährt mir.

      Dann sagt sie noch: »Findest du ihn nicht irgendwie süß? Den Neuen?«

      »Oh. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, antworte ich. Jetzt seufzt sie, weil sie denkt, ich denke nie darüber nach.

      Es ist nicht so, dass ich nicht darüber nachdenke. Ich denke darüber nach und dann denke ich an die vielen Gründe, warum ich lieber nicht darüber nachdenke.

      8

      Als wir in der Mittelschule waren, hatten Maggie und ich immer eine Zahnbürste bei der anderen zu Hause stehen. Falls wir in letzter Minute entschieden, beieinander zu übernachten, war das das Einzige, was wir nicht miteinander teilen konnten. Maggie hätte im Notfall aber auch gar nicht oder mit dem Finger geputzt. Bei mir war es zu sehr Gewohnheit, als dass ich es hätte auslassen können, nicht einmal für einen Tag. Auf meiner Zahnbürste bei ihr zu Hause stand »GEW«. Und um ihre bei uns zu Hause war ein winziges gelbes Haarband um den Griff gewickelt, um sie zu kennzeichnen. Als würden die Bissspuren nicht ausreichen.

      Alles andere konnten wir teilen: Schlafanzüge, Kissen, Gesichtsseife, Handykabel, Stoffgeschöpfe, Dornwarzenmittel, Haarbürsten und Kleider. Heute ist die Vorstellung, irgendwelche Klamotten mit Maggie zu tauschen, lächerlich. Abgesehen von dem gewaltigen Unterschied im Umfang unserer Oberkörper, bin ich zudem noch fast zehn Zentimeter größer als Mags und neun davon sind nur Beine. Es kommt einem nicht so vor, weil ich immer eine krumme Haltung habe und weil Maggie immer so aufrecht dasteht, als wollte sie bei einer Anti-Waffen-Kundgebung den Überblick behalten.

      Das letzte Mal, dass ich etwas von Maggie getragen habe – von einem Stirnband mal abgesehen –, war an dem ersten Wochenende, nachdem wir in die neunte Klasse gekommen waren. Donna und Doria waren schon eingezogen, hatten sich aber noch nicht so unverschämt breitgemacht wie heute. Ich bin am Freitag nach der Schule zu Maggie gegangen und aus Freitag wurde Samstag und aus Samstag wurde Sonntag. Meine Kleider von freitags bis zum Sonntagsfrühstück zu tragen, war zu viel des Guten. Als ihre Mutter uns losschickte, um Bagels zu besorgen, lieh ich mir also ein Tanktop und eine Jeansjacke. Darunter trug ich noch immer einen der BHs, die ich im Sommer mit Mom gekauft hatte (es war das letzte Mal, dass wir zusammen Unterwäsche gekauft haben), einen hellblauen Balconette-BH mit Lochspitze, süß, nicht sexy, der nachträglich betrachtet schon längst hätte aussortiert werden sollen. Ich war entweder zu naiv, um zu kapieren, dass er nicht mehr passte, oder zu beschämt, um es zuzugeben, oder beides.

      Maggie verzichtete zu der Zeit schon auf Gluten, also war es an mir, die Bagel-Auswahl für die Cleave-Familie zu treffen, während sie im Café nebenan die Getränke besorgte und Max mit laufendem Motor im Auto wartete. Das war ja schon stressig genug. Aber dass diese Familie zu allem und jedem eine entschiedene Meinung vertrat, setzte mich noch mehr unter Druck.

      »Du siehst aus wie jemand, der dringend einen Bagel braucht.« Der Typ hinterm Tresen war ein, zwei Jahre älter als ich, mit einem Kopf voller Locken, die von seiner Bagel-Laden-Kappe in Schach gehalten wurden. Falls das mit dem Bagel-Laden keine Zukunft hatte, könnte er auch für Abercrombie modeln. Er schenkte mir die Andeutung eines gierigen Lächelns.

      »Ich brauche tatsächlich einen Bagel oder vielmehr ein Dutzend davon.«

      »Ein Dutzend heißt dreizehn. Die meisten denken, das bedeutet zwölf, aber hier sind es dreizehn. Du bekommst einen Extrabagel.«

      Heute würde ich wohl sagen: »Das nennt sich Bäckersdutzend und ist nichts Besonderes. Das ist überall so. Vierzehn Bagels, das wäre etwas Besonderes.« Aber seine Wangenknochen waren so markant und seine Arme sahen aus, als hätten sie viel schweren Bagel-Teig geknetet, und ich war noch hoffnungsfroh, was Buben, Busen und Bagels anging. »Ich liebe Extrabagels!«, piepste ich.

      Ich bestellte jeweils zwei von den Klassikern: Natur-, Mohn-, Ei-, Sesam-, Alles-Bagel. Was die restlichen anging – würde Maggies Mom Leinsamen-Apfel schmecken? Pfeffer-Parmesan? Mochte ihr Bruder Zimt-Rosine?

      »Hast du jemanden, mit dem du all diese Bagels teilen kannst?«, sagte er und machte mir schöne Augen. Ich kaufte ihm alles ab.

      Ich lehnte mich über den Tresen und überlegte, wer welcher Bagel-Typ in der Familie Cleave war. Mir gefiel, dass der Typ mit mir flirtete, selbst wenn seine Sprüche schrecklich waren. Pfeffer-Parmesan, Zimt-Rosine, die Jacke steht mir wohl. Noch einen Sesam-Bagel, mit einem einfachen Bagel kann man nichts falsch machen, meine Haare sehen wirklich besser aus, wenn ich sie nicht wasche. Vollkorn ist langweilig, versuch etwas Neues.

      Wo er wohl zur Schule geht? Ich konnte mich nur dafür entscheiden, mich weiter nicht zu entscheiden.

      Eltern und Lehrer mochten mich schon immer. Mit den meisten Mädchen verstand ich mich gut, außer sie hassten Maggie so sehr, dass sie auch auf mich wütend waren. Aber Jungs, vor allem ältere Jungs, hatten mich noch nie bemerkt. Oder zumindestens merkten sie nie, dass ich ein Mädchen war. Aber vielleicht wurde das jetzt anders. Oder vielleicht gefiel diesem Typen im Bagel-Laden einfach, wie selbstständig ich über das Frühstücks-Schicksal von bis zu dreizehn Menschen entschied. Bialy, Honig-Hafer, Salz, vielleicht ist er jeden Sonntag hier.

      Während ich über den Tresen