Georges Simenon

Maigret und die Schleuse Nr. 1


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      Mal drohte, brüllte und fluchte er, dann wieder fragte man sich, ob er das alles nicht bloß zu seinem Vergnügen tat.

      »Das vor allem wollte ich Ihnen sagen! Denn ich habe das Recht, jeden zu verdächtigen: meine Frau, meinen Sohn, meine Tochter, ihren Mann, die Rose, das Dienstmädchen, Gassin …«

      »Seine Tochter …«

      »Auch Aline, wenn Sie wollen!«

      Doch das klang ein wenig anders.

      »Und ich möchte noch etwas sagen. Ich gebe Ihnen die Erlaubnis, all diese Leute, die mir gehören, so lange in die Zange zu nehmen, wie Sie wollen. Ich kenne die Polizei. Ich weiß, sie wird selbst noch in den Mülleimern der Leute herumschnüffeln. Wir können sogar gleich damit anfangen. Jeanne! Jeanne!«

      Seine Frau erschien, erstaunt und ängstlich.

      »Komm schon rein, verflucht noch mal! Wie soll man dich jemandem vorstellen, wenn du dich wie ein Dienstmädchen benimmst? Trink ein Glas. Aber ja doch! Stoß mit dem Kommissar an. Und nun rate mal, was der Kommissar wissen will.«

      Sie war blass und nichtssagend, schlecht angezogen und schlecht frisiert, schlecht gealtert wie die Möbel im Wohnzimmer. Die Sonne blendete sie. Und nach fünfundzwanzig Jahren Ehe zuckte sie immer noch zusammen, wenn ihr Mann die Stimme erhob.

      »Er möchte wissen, worüber wir beim Abendessen mit Berthe und ihrem Mann gesprochen haben.«

      Sie versuchte zu lächeln. Die Hand mit dem Champagnerglas zitterte, und Maigret sah die von der Küchenarbeit rissigen Finger.

      »Antworte. Aber trink zuerst.«

      »Wir haben über alles Mögliche gesprochen.«

      »Das ist nicht wahr.«

      »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, ich weiß wirklich nicht, was mein Mann meint.«

      »Oh doch, oh doch! Komm, dann helfe ich dir auf die Sprünge …«

      Sie stand aufrecht neben dem roten Sessel, in dem Ducrau so tief versunken war, dass er beinahe damit verschmolz.

      »Berthe hat damit angefangen. Erinnere dich. Sie hat gesagt …«

      »Émile!«

      »Nichts da, Émile! Sie hat gesagt, sie fürchte, schwanger zu sein, und in diesem Fall könne Decharme nicht bei der Armee bleiben, weil er dort zu wenig verdiene, um eine Amme und alles andere Notwendige zu bezahlen. Ich habe ihm geraten, Erdnüsse zu verkaufen. Stimmt’s?«

      Mit einem kümmerlichen Lächeln versuchte sie ihn zu entschuldigen.

      »Du solltest dich ausruhen.«

      »Und was hat der Schwachkopf da vorgeschlagen? Antworte! Was hat er vorgeschlagen? Dass ein Teil des Vermögens sofort aufgeteilt wird, weil man es eines Tages doch wird tun müssen. Mit seinem Anteil möchte sich Monsieur in der Provence niederlassen, wo das Klima, wie es scheint, für seine Nachkommenschaft ausgezeichnet ist. Und wir könnten ihn in den Ferien dort besuchen.«

      Er geriet nicht in Wut. Er brauste nicht auf. Im Gegenteil, er setzte die Wörter hart und bedächtig aneinander, eins nach dem anderen.

      »Was hat er noch hinzugefügt, als ich schon dabei war, meinen Hut aufzusetzen? Ich will, dass du es selbst wiederholst.«

      »Ich weiß es nicht mehr.«

      Sie war den Tränen nahe. Sie stellte ihr Glas hin, um nichts zu verschütten.

      »Sag es!«

      »Er hat gesagt, du würdest anderswo genug Geld ausgeben …«

      »Er hat nicht anderswo gesagt.«

      »Für …«

      »Nun?«

      »Für Frauen.«

      »Und weiter?«

      »Für die da oben.«

      »Haben Sie gehört, Herr Kommissar? Haben Sie noch Fragen an sie? Ich sage Ihnen das, weil sie gleich heulen wird, und das ist nicht unbedingt erfreulich. Du kannst gehen!«

      Er seufzte wieder, ein langer Seufzer, wie er nur aus seiner gewaltigen Brust kommen konnte.

      »So, da hätten Sie schon eine kleine Kostprobe! Wenn es Sie amüsiert, brauchen Sie nur allein weiterzumachen. Morgen werde ich wieder aufstehen, ganz gleich, was der Arzt sagt. Sie finden mich wie jeden Morgen ab sechs Uhr auf der Werft. Trinken Sie noch ein Glas? Sie haben vergessen, sich ein paar Zigarren einzustecken. Gassin hat eben wieder fünfhundert Stück für mich in seinem Schiff geschmuggelt. Sie sehen, ich verheimliche Ihnen nichts.«

      Er erhob sich mühsam, wobei er sich auf die Armlehnen seines Sessels stützte.

      »Ich danke Ihnen für Ihre Hinweise«, sagte Maigret, der nach einer möglichst banalen Formulierung gesucht hatte.

      Ducraus Augen lachten. Die des Kommissars ebenfalls. So sahen sie sich mit einer gewissermaßen verhaltenen Heiterkeit an, vielsagend, möglicherweise herausfordernd. Vielleicht war es auch eine merkwürdige Art von Anziehung.

      »Soll das Mädchen Sie hinausbegleiten?«

      »Danke, ich finde den Weg.«

      Sie gaben sich nicht die Hand, und auch das war wie eine stumme Vereinbarung. Ducrau blieb am offenen Fenster stehen, seine Gestalt dunkel vor dem hellen Hintergrund. Er musste erschöpfter sein, als er zugeben wollte, denn sein Atem ging schnell.

      »Viel Glück! Vielleicht angeln Sie sich ja die zwanzigtausend Franc.«

      Als Maigret an der Küchentür vorüberkam, hörte er Schluchzen. Er erreichte den Treppenabsatz, ging einige Stufen hinunter, blieb in dem Sonnenstrahl stehen, der ein wenig gewandert war, und zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche. Es war das ärztliche Gutachten, in dem es unter anderem hieß:

      Ein Selbstmordversuch ist auszuschließen, denn kein Mensch kann sich an der Stelle, wo sich die Verletzung befindet, selbst einen Messerstich zufügen.

      Im Halbdunkel der Loge bewegte sich etwas. Es war die eben zurückgekehrte Concierge. Auf der Straße dann trat er in ein Bad aus Hitze und Licht, Lärm, farbigem Staub und Bewegung. Die Straßenbahn der Linie 13 hielt und fuhr sogleich weiter. Die Tür des Bistros rechts öffnete sich mit einem Klingeln, während eine Ladung Kieselsteine aus der Mühle des Steinbrechers rollte und ein kleiner Schlepper mit blauem Dreieck ein lautes Tuten ausstieß, offenbar wütend, weil ihm das Schleusentor vor der Nase geschlossen wurde.

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