Wein natürlich«, kam Lucius mir zuvor, »deshalb heißt es auch Weinkontor.«
»Aber vorhin …«
Meine Aufmerksamkeit begann langsam nachzulassen und daher bekam ich das Ende des Satzes nicht mit, was mich später ziemlich ärgerte. Die Stimmen im Raum verschmolzen zu einem unverständlichen Klangteppich und alles drehte sich um mich herum.
»Das ist der zehnte Becher«, waren die letzten Worte, die ich Jucundus sagen hörte und wer weiß, vielleicht waren es die letzten Worte, die er jemals gesagt hat.
Mein benebelter Blick streifte den Sklaven und ich fragte mich, ob er wohl den Aberglauben seines Herrn teilte. Man hätte ihn eigentlich mittrinken lassen sollen!
Meine Lider fielen immer wieder zu und mein Kopf wurde schwer und schwerer. Langsam, aber sicher sank er auf die Tischplatte hinab. Dann verschwamm alles um mich und ich schlief ein.
Lautes Gelächter weckte mich wieder und ich fragte mich, wie spät es wohl war. Mit einer wahrhaft titanischen Anstrengung riss ich meinen bleiernen Kopf wieder hoch.
»Ich jedenfalls habe für heute genug«, verkündete ich dann in die verdutzte Runde. »Schließlich habe ich einen anstrengenden Tag hinter mir.«
Ich warf meinem Bruder Lucius einen vorwurfsvollen Blick zu, denn ich hatte den Verdacht, dass er nur gefaulenzt hatte, während ich an der Mosel gewesen war. Anderenfalls hätte ich ihn am Nachmittag im Handelskontor antreffen müssen.
Aber Lucius zeigte keinerlei Reue, sondern zuckte nur mit den Schultern. Ich dachte an Cato den Älteren, der vorgeschlagen hatte, das Forum Romanum mit spitzen Steinen zu pflastern, um die Müßiggänger zu vertreiben, aber das war ziemlich lange her.
»Bleib doch noch etwas«, bat mich mein Bruder mit schleppender Stimme und ich fragte mich ernsthaft, warum er das tat. Denn ich war alles andere als unterhaltsam, so müde und mehr als halb betrunken, wie ich war. Mir wurde in diesem Augenblick bewusst, dass ich mich den ganzen Abend lang so gut wie gar nicht am Gespräch beteiligt hatte.
»Du bleibst statt meiner. Du kannst die Familienehre hochhalten, was das Trinken betrifft«, erwiderte ich und erhob mich mühsam wie ein alter Mann von meinem Stuhl.
Mit weichen Knien schwankte ich durch den Schankraum und fand erst im dritten Anlauf die Tür. Die Nacht war bitter kalt, aber der eisige Wind, der vom Rhein herwehte, tat mir gut, denn er vertrieb die schlimmste Trunkenheit. Doch er half nicht gegen die quälende Müdigkeit, die mich nicht verlassen wollte.
Das flackernde Licht von Öllampen erhellte hie und da ein Fenster. Da ich vergessen hatte, eine Fackel mitzunehmen, musste ich halbblind durch die Finsternis tappen. Daher bemerkte ich einen auf dem Weg liegenden Gegenstand zu spät. Ich strauchelte, ruderte mit den Armen in der Luft und fiel fast hin, ehe ich laut fluchend das Gleichgewicht einigermaßen zurückerlangte.
Ein Fensterladen des Hauses, vor dem sich dieses Drama abgespielt hatte, wurde geöffnet und eine schrille, weibliche Stimme beschwerte sich über die nächtliche Ruhestörung. Einige Sekunden später wurde der Inhalt eines Nachttopfes hinausgeschüttet und verfehlte mich nur knapp. Während ich weitertaumelte, streifte ein kalter Hauch mein Gesicht und ich begann am ganzen Körper zu zittern. Mit aller Willensanstrengung, die ich aufbringen konnte, schleppte ich mich weiter. Doch meine Beine waren wie aus Teig und die Straße schwankte.
Krampfhaft umklammerte ich meinen ledernen Geldbeutel, denn mit dem letzten Rest meines Verstandes befürchtete ich, beraubt zu werden und setzte einen Fuß vor den anderen. Aber eine lähmende Benommenheit nahm immer mehr von mir Besitz. Apathisch trottete ich weiter durch dunkle Gassen, an leeren Plätzen vorbei und um stinkende Straßenecken herum.
Irgendwie schaffte ich es, mich bis über die Schwelle unseres Hauses zurückzuschleppen. Dann brach ich zusammen. Das letzte, was ich noch wie durch einen Schleier wahrnahm, war, dass mir eine Öllampe vor das Gesicht gehalten wurde und sanfte Hände mich emporhoben.
2. Der Tag nach dem Fest
Am nächsten Tag wurde ich kurz nach dem Morgengrauen unsanft aus dem Schlaf gerissen, denn es trommelte jemand an die Tür meines Gemachs. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich in tausende Stücke zerspringen und ich fragte mich, warum man mich nicht schlafen ließ.
Ich rief nicht »Herein«, sondern drehte mich verärgert mit dem Gesicht gegen die Wand und drückte mir das Kissen auf die Ohren.
Trotzdem wurde kurze Zeit später die Zimmertür lautstark aufgerissen. Ich rollte mich wutentbrannt zurück und sah das blasse, übernächtigte Gesicht meines Bruders durch den Türrahmen lugen. Schon wollte ich ihn mit einem Fluch zum Orcus schicken, als ich zu meinem namenlosen Schrecken bemerkte, dass sein Gewand mit Blutflecken besudelt war. Auch sonst sah er mit dunkel umschatteten Augen und kreidebleichem Gesicht schrecklich aus. Seine Locken waren mit Lehm verschmiert und seine Kleidung klebte ihm am Körper.
Trotz meiner Müdigkeit begriff ich, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein musste.
»Was um der Götter Willen ist passiert?«, fuhr ich ihn an.
»Jucundus ist tot«, stammelte Lucius leise, während ich mir die brennenden Augen rieb und gähnte. »Ich bin vorhin am Rheinufer aufgewacht. Jucundus hat neben mir gelegen. Seine Augen waren ganz glasig und er hatte eine Wunde in der Brust. …. ich weiß wirklich nicht, wie ich dorthin gekommen bin …« Meinem Bruder versagte für einen Augenblick die Stimme. Dann holte er tief Luft, schluckte und platzte dann los: »Und in der Hand hielt ich ein blutiges Messer.«
Ich schloss die Augen wieder um tief durchzuatmen. Dann massierte ich mir mit den Fingerspitzen die Schläfen. Noch immer quälte mich ein rasender Kopfschmerz. Also brauchte ich einen Moment, bis ich die volle Tragweite der Worte begriffen hatte. Mein ehemaliger Mitsklave, den ich schon seit meiner Kindheit kannte und mit dem ich erst vor wenigen Stunden in einer üblen Absteige gezecht hatte, war tot. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre: Mein Bruder hatte irgendetwas damit zu tun.
»Hast du ihn umgebracht?«, entfuhr es mir in hilfloser Wut.
»Nein«, rief mein Bruder empört aus. »Wie kannst du das nur denken! Aber ich habe leider keine Ahnung, wer es war!«
Jucundus ist tot, murmelte ich, aber mein benebeltes Hirn konnte noch immer den Sinn dieser Worte nicht fassen.
»Und was hast du mit dem Messer gemacht?«, wollte ich dann wissen. Noch immer hatte ich das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. Eine Welle der Übelkeit stieg unvermittelt in mir hoch.
»Das habe ich natürlich in den Rhein geworfen.«
So natürlich fand ich das nicht, aber mein Bruder hatte sicherlich das Richtige getan, sich der Mordwaffe zu entledigen. Ich verkniff mir also einen boshaften Kommentar und forderte Lucius auf, mir alles so genau wie möglich zu erzählen. Aber mein Bruder erinnerte sich an gar nichts, außer daran dass er am Vorabend einen über den Durst getrunken hatte und dann am Rheinufer neben der Leiche des Jucundus aufgewacht war.
Tief in meinem Inneren fragte eine nagende Stimme, ob er den Viehhirten nicht doch im Suff erstochen hatte. Jucundus konnte eine ziemliche Nervensäge sein, aber eine derartige Gewalttat passte nicht zu meinem faulen Bruder.
»Hat dich jemand am Rhein gesehen?«, erkundigte ich mich bei Lucius, nachdem ich meine Gedanken wieder etwas geordnet hatte.
»Nur eine Frau. Sie hat mich mit ihren schrillen Schreien aufgeweckt. Als ich die Augen geöffnet habe, hat sie mich angestarrt. Dann ist sie davongerannt und ich habe mich ebenfalls aufgerappelt, bevor sie mit einem Beamten wiederkommen konnte.«
»Kanntest du sie?«, fragte ich meinen Bruder schlecht gelaunt, denn es gefiel mir gar nicht, dass es eine Zeugin gab. Warum musste mir Lucius immer soviel Ärger machen?
»Nein«, antwortete er, »aber so stark, wie sie geschminkt war, wird es sich um eine Prostituierte gehandelt haben.«
»Na großartig! Bald weiß es jeder einzelne Soldat beider Legionen!«
Lucius