Alexia Meyer Kahlen

Heart to heart


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es mit Blaulicht ins Krankenhaus. Wieder endlose Tests und Untersuchungen, bis der Oberarzt schließlich Entwarnung gab. Die Wirbelsäule und der Schädel waren unverletzt.

      »Du hast dir eine ordentliche Gehirnerschütterung zugezogen, kleine Schwester«, waren die ersten Worte, die sie wieder klar vernahm. Paula blickte in die besorgten Gesichter von Johannes und ihren Eltern, die sich um ihr Krankenbett versammelt hatten.

      »Sie wollen dich noch bis morgen zur Beobachtung hierbehalten, dann kannst du wieder nach Hause«, fügte ihre Mutter hinzu.

      Paula hörte gar nicht richtig hin. »Was ist mit Bogart?«, schoss es aus ihrem Mund.

      »Der Tierarzt checkt die Beine noch mal gründlich durch, und die Osteopathin habe ich auch gleich angerufen, damit sie sich den Rücken anguckt. Aber für mich sieht es so aus, als wäre er noch mal mit einem blauen Auge davongekommen«, ließ ihr Vater jetzt hören. »Genau wie du.«

      Paula stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Wo ist mein Handy?«

      »Du hast jetzt erstmal handy- und pferdefrei. Der Arzt sagt, dass du dich ein paar Wochen schonen musst«, ermahnte sie ihre Mutter.

      »Ein paar Wochen?«, rief sie aus. Sofort lief wieder eine Welle von Schmerz und Schwindel durch ihren Kopf. Paula versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und möglichst normal weiterzusprechen. Warum klang ihre Stimme nur so schleppend?

      »Ich muss Anne anrufen und ihr sagen, dass es mir gut geht. Ich will auf keinen Fall, dass Horst Ernst und die Kader-Kommission denken, ich sei aus dem Rennen.«

      »Ich würde mal sagen, du bist aus dem Rennen, kleine Schwester«, meinte Johannes. »Und komme jetzt bitte nicht auf die Idee, die Hans-Günther-Winkler-Halla-der-Ritt-meines-Lebens-Nummer abzuziehen.«

      »Ich will keine Nummer abziehen, sondern einfach nur tun, was ich tun muss«, gab Paula zurück. Sie kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, das unangenehme Stechen auszuschalten, das vom Tageslicht in ihren Augen verursacht wurde. »Wenn Bogart okay ist und der Arzt mir irgendwas gegen diese blöden Schmerzen gibt, sehe ich kein Problem darin, in Warendorf an den Start zu gehen.«

      »Es ist die Halla-Nummer«, wandte Johannes sich trocken an seinen Vater.

      Frank Lippold ging erst gar nicht auf Paulas Worte ein und wandte sich an seinen Sohn: »Woher kennst du überhaupt die Geschichte von Hans Günther Winkler und seiner Halla? Das ist doch nun echt lange vor deiner Zeit.«

      »Finde ich einfach cool, wie sie ihn damals in Stockholm fehlerlos durch den Parcours getragen hat, obwohl er komplett ausgeschaltet war«, zuckte Johannes mit den Schultern. »Wenn dein Pferd so was für dich tut … Respekt!«

      »Hallo? Was redet ihr da?« In Paulas Stimme mischten sich Ärger und Verzweiflung. Sie wandte sich an ihre Mutter. »Mama, kannst du bitte mit dem Arzt reden, dass er mir was gibt und ich morgen reiten kann? Du weißt, was diese Qualifikation für mich bedeutet!«

      »Das müssen wir gar nicht diskutieren«, gab ihre Mutter resolut zurück. »Du brauchst jetzt Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Ich rufe nachher im DOKR in Warendorf an und sage, dass du morgen nicht an den Start gehst.«

      Da saß sie nun. »Du kannst alles tun, was deine Symptome nicht verschlimmert«, hatte ihr der Arzt bei der Entlassung mitgegeben. Sie durfte also draußen mit Familienhund Boomer spazieren gehen und Löcher in die Luft starren. Einmal am Tag besuchte sie Bogart auf der Weide, der gar nicht so traurig über die unverhoffte Pause zu sein schien.

      Ihr Handy wurde ihr nur stundenweise von ihrer Mutter ausgehändigt, und wenn Paula ehrlich war, strengte es sie nach kurzer Zeit auch ziemlich an, sich auf die kleine Schrift zu konzentrieren. Oft schlief sie auf dem Sofa einfach ein.

      Dafür lag sie nachts wach und starrte in die Dunkelheit. Wie sollte sie sich nun verhalten? Anne anrufen und hören, wie es gelaufen war und was man am Bundesstützpunkt über sie gesagt hatte? Doch der Gedanke, dass die Freundin nun vielleicht im Kader war, schien Paula unerträglich. Oder sollte sie direkt Horst Ernst, den Cheftrainer des Jugendperspektivkaders, anrufen und ihn fragen, ob sie noch eine Chance bekam? Doch was sollte sie ihm sagen? Ich bin bei einem einfachen Geländesprung vom Pferd gefallen?

      Ehrlich gestanden wusste sie selbst gar nicht genau, was passiert war. Es schien, als sei Bogart irgendwie am Sprung hängen geblieben und habe sich überschlagen. Eigentlich hatten sie beide ein Riesenglück gehabt, dass ihnen nicht mehr passiert war. Paula versuchte, sich dazu zu bringen, es so zu sehen, doch irgendwie gelang es ihr nicht. Die Enttäuschung war einfach zu groß, dass die Tür, auf die sie so lange gestarrt hatte, sich wieder geschlossen hatte, als sie eben im Begriff war hindurchzugehen.

      3.

      Ich bin drin. Annes kurze Textnachricht platzte mitten in ihre nachmittägliche Döse- und Schlummerzeit. Paula hatte plötzlich das Gefühl, als würde in ihrem Magen ein Feuer brennen.

      Sie sammelte sich einen Moment und textete zurück. Schön für dich. Herzlichen Glückwunsch.

      Dann kam erst mal nichts. Sie starrte aufs Handy, als wolle sie es hypnotisieren.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit schrieb Anne: Wie geht es dir?

      Gut, tippte Paula zurück. Anne sollte bloß nicht denken, dass sie aus dem Feld geschlagen war. Wie war’s denn so?

      Sofort kam zurück: Wann bist du wieder einsatzfähig? Ich habe gehört, wie Horst zum Assistenztrainer gesagt hat: Die kleine Lippold hätte ich gerne noch dabei.

      Paula stockte der Atem, und sie ignorierte den Stich, dass Anne den Cheftrainer jetzt offenbar schon duzte.

      Sofort tippte sie ins Handy: Ich bin einsatzfähig. Jetzt. Sofort.

      Cool, textete Anne zurück. Horst meldet sich sicher bei dir. Es gibt noch eine Nachquali in drei Wochen.

      Die Worte tanzten vor Paulas Augen und in ihrem Kopf: Nachquali in drei Wochen. Da war sie, ihre zweite Chance. Und sie würde sie ergreifen, egal, was irgendwer sagte.

      Paulas Kopfschmerzen waren von Tag zu Tag besser geworden, und so staunte ihre Mutter nicht schlecht, als sie zehn Tage nach dem Unfall wieder in Reitsachen am Frühstückstisch saß.

      »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

      »Ich muss Bogart wieder ins Training nehmen. Wir haben ja nur noch zwei Wochen, und ich kann förmlich zusehen, wie er jeden Tag mehr Muskeln abbaut.«

      »Papa und ich haben deiner Teilnahme an dieser Nachqualifikation nur unter der Bedingung zugestimmt, dass dein Kopf wieder vollkommen in Ordnung ist.«

      »Ist er«, gab Paula schnell zurück. Sie verschwieg, dass sie immer noch mit Übelkeit kämpfte, nachts schlecht schlief und dementsprechend tagsüber müde war.

      »Ich würde das lieber erst noch mal mit Dr. Kopp abklären, ob du wirklich schon wieder reiten kannst. Du würdest mit einer Bänderzerrung am Sprunggelenk doch auch nicht gleich wieder Sport treiben.«

      »Paula schon«, kam von Johannes, der gerade die große Wohnküche betrat. »Guten Morgen allerseits.«

      »Mann, du nervst«, giftete Paula ihren Bruder an.

      »Ich habe dich auch lieb«, gab Johannes grinsend zurück. »Was hältst du davon, wenn ich dein Olympiapferd einfach mal ein bisschen longiere. Ich kann ihn auch freispringen lassen. Dann hast du nicht so einen Stress mit dem Gesundwerden.«

      Paula war hin- und hergerissen, was sie Johannes auf sein großzügiges Angebot antworten sollte. Sie spürte, dass sie von ihrer Konzentrationsfähigkeit und Reaktionszeit her noch nicht wieder die Alte war. Aber sie hatte nur noch knapp zwei Wochen, um sich und Bogart wieder in Topform zu bringen.

      »Johannes kann Bogart doch heute einfach mal ein bisschen vom Boden aus arbeiten lassen, er hat ja jetzt zehn Tage gestanden. Und morgen setzt du dich drauf und beginnst, ihn wieder anzutrainieren«, schlug ihre Mutter