Von Kuehnelt-Leddihn Erik

Die falsch gestellten Weichen


Скачать книгу

Zusammenarbeit des Dreierbundes zum ersten- und zum letztenmal aus.

      Mit der Eroberung des überwiegend albanischen Kosovo-Gebietes war auch das Schlachtfeld in die Hände der Serben gefallen, auf dem die Unabhängigkeit des alten Serbiens in einer bitteren Niederlage ihr Ende gefunden hatte. Sultan Murad besiegte damals den König Lazar Hrebeljanović, wurde aber darauf in seinem Zelt von einem Serben (Obilić oder Kobilić) erdolcht. Dieser Tag, der Veitstag (Vidovdan), der 28. Juni 1389, spielt in der serbischen epischen Dichtung und in Liedern eine große Rolle. Im Osten Europas sind es oft nicht die Siege, nicht die Triumphe, die das Herz bewegen oder auch geistige Zäsuren hinterlassen, sondern Niederlagen und Katastrophen. Die polnischen und ungarischen Nationalhymnen drücken dies sehr deutlich aus.10) Das tragische Lebensgefühl des Ostens reagiert eben anders als das unsere. Und darum war auch die Eroberung des Amselfeldes durch die Serben die Erringung einer nationalen Gedenkstätte, die nun nationalistisch umgestaltet werden sollte.11)

      Das alles aber gab dem serbischen Nationalgefühl einen gewaltigen Auftrieb – fünf Jahre nach der bosnischen Annexionskrise.12) Doch hatte jetzt das Königreich in seiner Bevölkerung mindestens ein Drittel Nichtserben. Nun richteten sich die Blicke der Nationalisten auch nordwärts und westwärts, so zum Beispiel nach Südungarn, das in Wellen von flüchtigen Serben zuerst mit ungarischer, dann aber auch mit österreichischer Hilfe besiedelt worden war. (Durch die Verwüstungen der Türken war ein Großteil der Magyaren in der Bácska und im Banat ermordet, verschleppt oder vertrieben worden.) Zu einer weiteren Expansion Serbiens ermunterten aber auch die „Pan“-Ideen: nicht so sehr der Panslawismus, sondern der „Jugoslawismus“, dem sich allerdings die „artfremden“ Bulgaren nie anschlossen.13) Es wurde die These vertreten, daß Serben, Kroaten und Slowenen eigentlich eine Nation bildeten, wobei allerdings die Serben die zahlreichsten waren. Zwar kamen die Serben und Kroaten aus benachbarten Gebieten im Norden des Slawentums,14) aber sie machten geschichtlich verschiedene Entwicklungen durch, was auch ihren Charakter sehr anders prägte. Die Mehrzahl der Kroaten hatten nie als Kmeten unter dem türkischen Joch gelebt. In Agram hatte man nie eine Moschee gebaut (wie zum Beispiel in Belgrad, Erlau oder Fünfkirchen). Die Kroaten waren katholisch, die Serben gehörten der Ostkirche an. Die Kroaten sind ein mitteleuropäisches Volk von Seefahrern, die Serben orthodoxe Inlandbewohner der Balkanhalbinsel. (Die Montenegriner sind Serben mit eigener Geschichte.) Auch scheint selbst ein gewisser Rassenunterschied zu bestehen: Manche Männer und Frauen sind zweifellos visuell Serben oder Kroaten. Die Slowenen sind kulturell Österreicher. Vergessen wir nicht, daß das Slawentum slowenischer Prägung einmal bis ins Salzkammergut15) und nach Osttirol hereinreichte. Bayrische (manchmal aber auch fränkische oder alemannische) Siedler hatten Rumpfösterreich germanisiert. (Graz hieß – im Unterschied zu Windischgraz – „Bairisch-Graetz“!) Die Slowenen, die sich ähnlich kleiden wie die Alpenbewohner und auch eine sehr ähnliche Musik haben, sind die einzigen nichtgermanisierten Österreicher. Zwischen einem Slowenen aus der Südsteiermark, aus Südkärnten oder der Oberkrain und einem Montenegriner aus Andrijevica oder einem Moslem aus Sarajevo besteht ein himmelweiter Unterschied, genau so zwischen einem Isländer und einem Südtiroler oder einem Elsässer und einem Ostpreußen.

      Doch nicht nur der territoriale Appetit der Serben wurde durch die Annexion von Fremdvölkern vermehrt, sondern auch jener der Rumänen. Die südliche Dobrudsha war von Bulgaren und Tataren bewohnt. Der Überfall Rumäniens auf Bulgarien war ein besonders häßlicher Akt, der sich allerdings im Jahre 1916 mit dem Überfall auf Siebenbürgen wiederholen sollte. Das östliche Ungarn hatte auch weder zur Moldau noch zur Walachei gehört. Auch hier konnten nur rein ethnische Ansprüche erhoben werden, wobei noch zu bemerken ist, daß ein Land, das „Rumänien“ heißt, seinen Namen nur einer Sprachschöpfung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts verdankt.16) Doch dieser Dolchstoß Rumäniens sollte sich in unserem Jahrhundert noch etliche Male wiederholen.

      Rumänien gehört geschichtlich, aber nicht (wenn man von der Dobrudsha absieht) geographisch zum Balkan. Und sagen wir es hier gleich auch deutlich: Man darf keineswegs hochnäsig auf den Balkan herabblicken, der schließlich die Wiege unserer Kultur und Zivilisation ist. Zwar gibt es dort viel Korruption, Grausamkeit, schlechte Organisation, Unehrlichkeit und Tücke, doch daneben auch viel Tapferkeit, Opfermut, männliche Entschiedenheit, Intelligenz, Ritterlichkeit und künstlerische Begabung. Ein Montenegriner wie Milovan Ðilas, der immer wieder gegen die Belgrader Machthaber protestierte, immer wieder die schweren Gefängnisstrafen auf sich nahm, seine früheren Irrtümer offen bekannte und nie klein beigab, wäre bei uns in Westeuropa nur äußerst selten zu finden.

      17. DAS PROBLEM ITALIEN

      Was geschah in Italien im vorigen Jahrhundert? Dort sehen wir bald die nationaldemokratische Idee des Risorgimento mit betontem Linksdrall entstehen, doch fehlte in Italien anders als in Deutschland die Reichsidee. Die Vertreter des Risorgimento träumten nicht von einem italienischen Staatenbund (nach dem Muster des Deutschen Bundes), sondern von einer zentralistischen italienischen Gesamtmonarchie – wenn nicht von einer demokratischen Republik. Diese Sehnsucht nach einem liberal-progressiv-laizistischen Einheitsstaat, von der Französischen Revolution und der Freimaurerei inspiriert, war in den verschiedenen Teilen des Landes und den Klassen unterschiedlich vertreten. Zwei der reichsten und wirtschaftlich entwickeltsten Regionen, die Lombardei mit Mailand und Venetien, gehörten zu Österreich und wurden vorzüglich verwaltet.1) Das nicht minder fortschrittliche Königreich Sardinien, aus Savoyen, Piemont, der früheren Republik Genua und Sardinien bestehend, war einer französischen Dynastie untertan, von der sich aber die gemäßigten Elemente des Risorgimento die Einigung Italiens erwarteten. Zwischen Österreich, Sardinien und dem Kirchenstaat gab es eine Reihe von kleinen Fürstentümern, von denen das Großherzogtum Toskana (mit der Hauptstadt Florenz), von einer Nebenlinie des Hauses Habsburg-Lothringen regiert, das größte war. Auch hier war die Verwaltung ausgezeichnet und seit den Tagen Leopolds II., des späteren Kaisers, höchst „progressiv“.2) Weniger erfolgreich war die Verwaltung des Kirchenstaats, der sich in einer schwachen S–Kurve vom Po bis zum Tyrrhenischen Meer herunterzog. Das tägliche Leben in diesem Land war für die meisten Bewohner keineswegs schlecht; es hatte sogar einige ausgezeichnete Institutionen, wie zum Beispiel die Spitäler,3) und das Justizwesen war ausgesprochen mild. Zerfahren und zerrüttelt war eher das Königreich der Beiden Sizilien mit der Hauptstadt Neapel, damals die größte Stadt Italiens (Rom stand bis 1900 an dritter Stelle). Eine große Agrarreform hatte unter Joachim Murat, König von Neapel und Schwager Napoleons, stattgefunden, aber die reichen Grundbesitzer kauften die Parzellen fauler Bauern fleißig wieder auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam eine eher radikale Agrarreform. Doch schon damals rührte sich die Mafia in Sizilien und die Camorra am Festland.4) Dazu gab es noch eine Reihe von politischen Geheimbünden, wie zum Beispiel die Carbonari, die sich über ganz Italien ausbreiteten.

      Es muß aber gesagt werden, daß diese lokalen Regierungen bei der Masse der Bevölkerung nicht unbeliebt waren. Die von der Idee des Risorgimento Begeisterten gehörten eher den gehobeneren Schichten an, dem großen und dem kleineren Bürgertum, wie auch einem Teil des Adels und nicht zuletzt des Klerus. Der Welschtiroler Graf Antonio Rosmini-Serbati, Gründer des Rosminianer-Ordens, war ein glühender italienischer ‚Patriot‘ und das war auch der sehr katholische Manzoni. Deshalb war es nicht völlig überraschend, als sich 1846 die Hoffnungen der Liberalen auf den neuen Papst, Pius IX., konzentrierten, der schließlich in Rom, im Herzen Italiens, residierte und durch seine durchgreifenden Reformen im Kirchenstaat unter den Anhängern des Risorgimento sich zahlreiche Freunde geschaffen hatte. Ja, ein päpstliches Korps, verstärkt durch Freiwillige, war 1848 nach Norditalien gezogen, um gegen die Österreicher zu kämpfen, aber die Niederlage der Sardinier führte auch zu dessen Rückberufung. Doch Pius IX. fühlte sich dann durch die Ermordung seines Ministers Rossi (ein Opfer der Radikalen) so tief getroffen, daß er den Liberalen jeden Zuspruch verweigerte. Dies führte zu einem Aufstand in Rom, worauf der Papst in die Festung von Gaeta flüchtete. Französische Truppen befreiten ihn aus diesem Exil erst zwei Jahre später. (Auch glaubte Louis Napoleon, damals noch Präsident, durch diese Aktion einen Stein im Brett der Kirche zu bekommen.) Es war aber somit auch offenbar, daß die päpstliche Herrschaft nur mehr durch