Steven C. Hayes

Sprache als psychotherapeutische Intervention


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Leid in Beziehung stehen.

      In allen geschilderten Fällen ist die Bandbreite möglicher Verhaltensweisen, die den Betroffenen zur Verfügung stehen, deutlich eingeengt. Dies geschieht durch einen symbolischen Stimulus, der über Verknüpfungen schmerzhafte Emotionen auslöst. Während das kleine Mädchen ein paar Sekunden vorher lustig über alles spricht, verringert das Hören des Wortes »Katze« unmittelbar ihren Handlungsspielraum. Es ist, als ob ein Alarmsignal ihr nahelegt, alles fallen zu lassen und möglichst schnell zum Notausgang zu rennen. Vergleichbar ergeht es den Patienten, die bei Konfrontation mit dem Wort »Wasser« oder »sexuelle Gewalt« aufhören zu lesen, nicht mehr zur Schule gehen, nicht mehr sprechen oder keine Videos mehr ansehen.

      2.2.3 Hilfreiche versus problematische Vermeidung

      Symbolische Stimuli schränken das Verhaltensrepertoire ein. Das ist in vielen Fällen vollkommen angemessen. Wettervorhersagen, die Anwohner dazu aufrufen, ihr Haus während eines Sturmes nicht zu verlassen, sind nützlich, wenn Sie in einer Region leben, in der Wirbelstürme häufig vorkommen. Das Beachten dieser Hinweise verringert die Handlungsmöglichkeiten: Die Betroffenen können sich nicht mehr uneingeschränkt frei bewegen. Trotzdem ist es eine weise Entscheidung, bei Sturmwarnung zu Hause zu bleiben. Hier ist symbolische Kontrolle vorteilhaft, weil sie Unheil verhindert. Manchmal kann Sprache Menschen überlisten und sie dazu bringen, harmlose (oder gar vorteilhafte) Stimuli zu vermeiden. Das bringt sie dann von einem vorteilhafteren Weg ab.

      Betrachten Sie folgendes Beispiel: Sie wandern in einem Wald und beschließen nach einigen Stunden, den Heimweg anzutreten. Unglücklicherweise verirren Sie sich. Als Sie auf eine Kreuzung treffen, finden Sie keinen Wegweiser, der anzeigt, welcher der drei Wege zurück zu Ihrem Auto führt. Sie entscheiden sich rein zufällig für einen Weg und hoffen, dass er Sie sicher zu Ihrem Auto führen wird. Sie nehmen den Weg nach links, aber nach 10 Minuten geraten Sie in einen Sumpf und sinken tief ein. Glücklicherweise können Sie nach Ästen greifen und sich herausziehen. Bei ihrer Rückkehr zur Kreuzung treffen Sie auf einen anderen Wanderer, der sich ebenfalls verlaufen hat. Natürlich erzählen Sie ihm sofort, dass er den linken Weg nicht einschlagen soll, damit er nicht auch in den Sumpf gerät.

      Lassen Sie uns an dieser Stelle innehalten und analysieren, was bisher geschehen ist. Sie haben die Folgen Ihres Handelns durch direkte Exposition erfahren (Sie folgten dem linken Pfad und gerieten in einen Sumpf). Der andere Wanderer erlernt diese Konsequenz durch Sprache (er hört: »Wenn Sie diesem Pfad folgen, werden Sie in einen Sumpf geraten.«). Sie beide werden in Zukunft den linken Pfad meiden. Ihre Vermeidung ist das Ergebnis von direktem Lernen, während seine Vermeidung auf relationalem Lernen beruht (die symbolische, wenn-dann-Beziehung zwischen dem linken Pfad und dem Hineinfallen in den Sumpf).

      Fahren wir mit dem Beispiel fort: Sie erzählen dem anderen Wanderer, dass Sie Ihren Weg zurück zu Ihrem Auto suchen. Er sagt Ihnen dann, dass er weiß, wo der Parkplatz ist. Er bietet Ihnen an, Sie dorthin zu bringen. Sie folgen ihm entlang des Hauptweges, anstatt den rechten oder linken Weg zu nehmen. Nun ist es an Ihnen, durch Sprache zu lernen, und die direkte Erfahrung des anderen Wanderers zu nutzen. Sie wandern weitere Stunden und erreichen endlich den Eingang zum Wald. Es ist spät und wird schon dunkel. Ihr Begleiter läuft zu seinem Wagen, erleichtert darüber, dass er nach dem langen Ausflug endlich am Ziel ist. Aber trotz der schwachen Beleuchtung erkennen Sie sofort, dass dies nicht der Eingang ist, an dem Ihr Auto steht. Der andere Wanderer hat Sie zu dem Eingang im Osten gebracht, an dem er sein Auto geparkt hatte und nicht zum Zugang im Norden, an dem Ihr Auto steht. Es stellt sich heraus, dass Sie den Weg nach rechts hätten nehmen müssen, um zu Ihrem Wagen zu gelangen. Jetzt wäre ein sehr langer Marsch nötig, um nach Hause zu gelangen. (Sie sollten lieber den anderen Wanderer bitten, Sie im Auto mitzunehmen!).

      Dieses Beispiel verdeutlicht drei Arten von Vermeidung. Zwei davon sind im Allgemeinen nützlich, während die dritte grundsätzlich problematisch ist. 1) Sie lernen, Gefahr zu vermeiden, indem Sie direkt mit den Konsequenzen Ihres Verhaltens konfrontiert werden. Sie lernen durch das Einsinken im Sumpf den linken Pfad in Zukunft zu meiden. 2) Der andere Wanderer lernt durch Sprache, Gefahr zu vermeiden. Sie raten ihm davon ab, den linken Pfad zu wählen. Obwohl er diesen Weg nie eingeschlagen hatte, weiß er dadurch, dass er ihm nicht folgen soll. 3) Als der andere Wanderer Ihnen sagt, dass Sie den Hauptweg und nicht den rechten Weg wählen sollen, lernen Sie durch Sprache, etwas zu vermeiden was eigentlich gut für Sie wäre. Sie entscheiden sich für etwas, das nicht hilfreich ist. Diese letzte Art der Vermeidung ist problematisch, da sie willkürlich den Kontakt mit vorteilhaften Konsequenzen verhindert.

      2.2.4 Sprache behindert den Erfolg von Erlebnis-Vermeidung

      Die symbolische Generalisierung von Vermeidung hat Vor- und Nachteile. Menschen können Gefahren und Probleme vermeiden, ohne sich ihnen jemals auszusetzen. Das ist ein klarer Vorteil. Sprache ermöglicht es also, eine große Menge von nützlichem Vermeidungsverhalten zu erlernen. Menschen sparen dadurch viel Zeit, Energie und Leid. Sie passen ihr Verhalten an, ohne zunächst direkt negative Konsequenzen erleben zu müssen. Menschen lernen, ihre Finger nicht in Steckdosen zu stecken, nicht zu schnell zu fahren, nicht unfreundlich zu Polizisten zu sein oder wichtige Termine nicht zu verpassen. Gleichzeitig führt Sprache aber dazu, dass Menschen Gefahren vermeiden, die nur konstruiert sind. Wenn Menschen alles glauben, was andere oder sie selbst sich sagen, dann wird die Funktion von Ereignissen und die Art der Interaktion mit ihnen stärker durch Sprache beeinflusst, als durch die intrinsischen Merkmale dieser Ereignisse. Sprachprozesse sind vermutlich die Ursache für die Neigung von Menschen, das Erleben von schmerzlichen Gedanken, Emotionen und Wahrnehmungen zu vermeiden.

      In den vorangegangenen Abschnitten haben wir gesehen, dass symbolische Stimuli (z. B. Wörter) dieselben physiologischen, kognitiven und emotionalen Reaktionen hervorrufen können wie die tatsächlichen Objekte und Ereignisse. Dies beruht auf den wechselseitigen und sich in einem Netzwerk organisierenden Eigenschaften symbolischer Beziehungen. Wenn Gedanken und Worte an schmerzhafte Erlebnisse erinnern, erleben Menschen schnell besonders unangenehme Momente erneut. Wenn Opfer eines Unfalls oder eines Gewaltverbrechens den Ort des Geschehens aufsuchen, macht sie das häufig unruhig, traurig oder ängstlich. Das geschieht auch dann, wenn sie nur an den Ort und das, was dort geschah, denken. Viele Menschen machen die Erfahrung, dass sich die Muskeln anspannen oder der Herzschlag schneller wird, wenn sie an einen Vortrag am Arbeitsplatz oder in der Schule denken. Bei Menschen, die an einem substanzbezogenen Problem leiden, bewirkt der bloße Gedanke an die Substanz, dass sie konsumieren wollen. Es ist logisch, Schmerz vermeiden zu wollen. Symbolische Generalisierung führt gleichzeitig dazu, dass Menschen ständig schmerzhaften Stimuli ausgesetzt sind. In der Folge konzentrieren sie sich darauf, symbolische Formen von Leid zu vermeiden, sogar dann, wenn keine Gefahr besteht. Wie setzen Menschen das um? Sie versuchen zu vergessen oder nicht daran zu denken. Sie dissoziieren. Sie drücken es weg. Sie versuchen positiv zu denken. Sie weigern sich, über bestimmte Themen zu sprechen. Sie tun so, als gäbe es diese Stimuli nicht.

      Die schwierigste Aufgabe ist jedoch, einen sicheren Ort zu finden, an dem kein symbolischer Stimulus vorhanden ist. Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit, die nüchtern bleiben wollen, ziehen es vor, Alkohol zu meiden. Sie bevorzugen Restaurants, die keinen Alkohol ausschenken oder Wohnlagen, in denen es nicht möglich ist, schnell Alkohol zu kaufen. Sie gehen Menschen aus dem Weg, die Alkohol trinken, oder Situationen, in denen Alkohol angeboten wird. Opfer von Gewalt bevorzugen Orte, an denen das Risiko von Gewalt gering ist, wie z. B. ein Haus mit verschlossenen Türen. Menschen, die sich vor Verunreinigung oder Ansteckung fürchten, halten sich lieber an einem Ort auf, der hygienisch sauber ist, und beschäftigen sich unermüdlich damit, ihn sauber zu halten. Trotz all dieser Anstrengungen können Menschen in einem mit Türen gesicherten, sterilen, alkoholfreien Raum unter Druck geraten, weil sie Erinnerungen an Gewaltsituationen oder Angst vor Ansteckung haben oder einen Drang nach Alkohol spüren. Psychologische Funktionen (z. B. Suchtdruck, Erschrecken, Ekel) breiten sich durch symbolische Beziehungen auf alles aus, mit dem sie in Berührung kommen, einschließlich Gedanken und Empfindungen. Wenn sie sich in einem vollkommen sterilen Umfeld aufhalten, denken sie beispielsweise plötzlich an ein Krankenhaus. Daraus können sich Gedanken an Krankheiten ergeben, die wiederum Emotionen von Angst oder Ekel auslösen. Die Absicht, eine Sache zu tun, um eine