(Jakob van Hoddis, 1911)
1
Prolog in China
Die Stadt Wuhan ist über 8.000 Kilometer von Wien entfernt und hat gleich viel Einwohner wie Österreich. Trotzdem wusste ich – und sicher auch die meisten Menschen in Europa – bis vor Kurzem nicht, dass sie überhaupt existiert. Als dort am 17. November 2019 der erste Fall von COVID-19 dokumentiert wurde, blieb dies weitgehend unbeachtet. Erst am 31. Dezember verständigte China die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Fälle von Lungenentzündungen unbekannter Ursache.1 Drei Wochen später, am 21. Jänner 2020, zählte die WHO bereits 314 bestätigte COVID-19-Fälle, davon 309 in China.2 Am 23. Jänner sind es 830, und ganz Wuhan wird in Quarantäne geschickt. Gleichzeitig wird das soziale, aber auch wirtschaftliche Leben mittels eines »Lockdowns« fast vollkommen stillgelegt.3 Der Mathematiker Adam Kucharski schätzt, dass es Ende Jänner bereits zehn Mal mehr Erkrankungen gegeben hat, als offiziell bestätigt.4 Andere schätzen, dass es sogar 40 Mal mehr waren.5
Anfang März kamen Forscher der Universität Southampton zu dem Ergebnis,6 dass eine Vorverlegung der strikten Maßnahmen um eine Woche, also auf den 16. Jänner, die Anzahl der infizierten Personen in Wuhan um 66% reduziert hätte. Bei einer Vorverlegung von zwei Wochen wären es 86% und bei drei Wochen sogar 95% gewesen. Rückblickend hätte somit die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 schon in China unterbunden werden können. Welche gesundheitlichen, psychischen, sozialen und ökonomischen Schäden wären der Welt erspart geblieben, wenn das gelungen wäre? Wir werden es nie erfahren.
2
Europas Fehleinschätzung
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht am 09. Jänner eine erste Risikoabschätzung zur SARS-CoV-2 Epidemie in China.1 Der Ausbruch wird als ein lokales Ereignis eingeschätzt, eine Reisewarnung ausgesprochen und die Gefahr einer Einschleppung nach Europa als niedrig klassifiziert. Die Leitung des Europäischen Labornetzwerks für aufkommende virale Erkrankungen2 bezeichnet die europäischen Kapazitäten und Fähigkeiten einer Diagnostik auf Coronaviren als ausreichend. Eine am 26. Jänner aktualisierte Risikoabschätzung3 des ECDC empfiehlt allen Mitgliedsländern, ihre Testkapazitäten zu überprüfen und gegebenenfalls auszubauen. Verdachtsfälle sollen über das Europäische Frühwarn- und Reaktionssystem (EWRS) gemeldet werden. Eine Kontaktverfolgung von positiv getesteten Fällen wird empfohlen, eine Quarantäne für asymptomatische Personen jedoch nicht. Am Ende des Dokuments wird noch auf die vielen Unsicherheiten und offenen Fragen eingegangen.
Wie wäre die Risikoabschätzung des ECDC Anfang Jänner 2020 ausgefallen, wenn alle heutigen Informationen zur Verfügung gestanden hätten? Wo würde die Europäische Union (EU) heute stehen, wenn es einen abgestimmten Pandemieplan mit allen erforderlichen Kapazitäten und ab Mitte Jänner eine gemeinsame Überwachung gegeben hätte? Welche gesundheitlichen, psychischen, sozialen und ökonomischen Schäden wären Europa erspart geblieben, wenn eine gemeinsame Eindämmungsstrategie erfolgreich gewesen wäre? Wir werden es nie erfahren. Am 28. Jänner werden in Rom zwei chinesische Touristen positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Am 23. Februar war Italien mit 76 bestätigten Fällen bereits das meistbetroffene Land außerhalb von Asien.4
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