Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Box 14 – Arztroman


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hat er Gefühl?«

      »Ja, aber er zeigt es nicht. Er hat früh eine große Verantwortung übernehmen müssen.«

      »Würden Sie mir erzählen, wie Sie diese Brüder kennengelernt haben?«

      »Ja, gern. Ich werde Ihnen alles sagen. Ich möchte so sehr hoffen, daß Peter geholfen werden kann.«

      »Haben Sie heute abend Zeit?«

      Bevor Stefanie antworten konnte, läutete das Telefon. Sie nahm den Hörer auf.

      »Entschuldige, Stefanie, daß ich dich anrufe«, tönte Ralphs Stimme an ihr Ohr, »aber ich wollte dich fragen, ob es dir recht wäre, wenn wir den Abend bei uns verbringen. Peter scheint es nicht gutzugehen.«

      »Okay, ich komme«, erwiderte sie etwas zu hastig. »Bis dann, Ralph.«

      Sie legte langsam den Hörer auf und blickte Professor Weissenberger an.

      »Das war Ralph Reinhold. Er hat mich noch nie hier angerufen. Wir waren für heute abend verabredet. Peter geht es nicht gut, hat er gesagt, aber ich bin überzeugt, daß er nicht die geringste Ahnung hat, was ihm fehlt. Was kann ich denn nur für Peter tun, Herr Professor?« fragte sie bedrückt.

      »Seien Sie nett zu ihm, Stefanie, so nett, wie es Ihnen möglich ist. Mehr kann ich nicht sagen.«

      »Darf ich mich auch mit der Anamnese befassen?« fragte sie.

      »Erst erzählen Sie mir von Ihren beiden Freunden, wenn das nicht zu indiskret ist.«

      »Indiskret überhaupt nicht. Eigentlich war ich ganz froh, daß es zwei waren, weil ich mich nicht entscheiden und schon gar nicht binden wollte. Es sind zwei sehr ungleiche Brüder. Es war sehr interessant für mich, denn man kann da seine Studien machen. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich Hals über Kopf verlieben und blindlings in ihr Unglück tappen.«

      »Es könnte auch das Glück sein«, sagte Professor Weissenberger.

      »Vielleicht bin ich dazu nicht geschaffen. Meine Kindheit war nicht gerade sonnig. Meine Eltern ließen sich scheiden. Ich pendelte zwischen Vater und Mutter hin und her, und bei keinem fühlte ich mich wohl. Mein Vater beklagte sich über meine Mutter, meine Mutter über meinen Vater. Wer nun eigentlich recht hatte, wußte ich nie. Wahrscheinlich wollten sie beide mir noch vormachen, daß jeder das Beste für mich wollte. Dann heirateten sie beide wieder. Sie haben mein Studium bezahlt. Ich war froh, als ich ihre finanzielle Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen mußte, denn andere bekam ich ohnehin nicht. Da faßte ich den Entschluß, niemals ein Kind in die Welt zu setzen. Man hat es verflixt schwer, seinen Weg zu finden in solch einem Fall.

      Mit der Zeit konnte ich mir auch einiges leisten. Ich bin gern in den Bergen, im Sommer und auch im Winter. Sie setzen einem Grenzen, machen einem bewußt, daß man über manche Hindernisse nur mit äußerster Ausdauer hinwegkommen kann.

      Gesellschaft habe ich eigentlich nie gesucht. Aber dann lernte ich Ralph und Peter kennen. Wir stellten fest, daß wir alle in München daheim sind, daß wir unsere Stadt lieben und auch gemeinsame Interessen haben. Sie waren richtig urig und kehrten ihr Geld nicht heraus. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich herausbekam, daß sie so reich sind. Sie brauchen nicht zu denken, daß mir das imponierte. Ich fand es nett, daß sie sich nicht so aufspielten.«

      »Darin sind sie sich also gleich«, warf Professor Weissenberger ein.

      »Ja, darin sind sie sich sehr ähnlich. In letzter Zeit habe ich jedoch feststellen müssen, daß Peter sehr großzügig mit dem Geld umgeht.«

      »Ein psychologischer Affekt dieser Krankheit«, sagte Professor Weissenberger. »Wie reagiert der Bruder?«

      »Überhaupt nicht. Er ist sehr nachsichtig mit seinem Bruder. Der ist halt der Kleine.«

      »Erzählen Sie weiter, Stefanie«, bat Professor Weissenberger, als sie in Schweigen versank. »Das ist höchst interessant für mich. Es ist ja auch nicht ganz einfach für ein sehr attraktives Mädchen, zwei Männer gleichzeitig im Zaum zu halten.«

      Stefanie stieg das Blut in die Wangen. »Es ist verflixt schwierig«, gestand sie ein, »aber diese Freundschaft bedeutet mir viel.«

      »Aber Sie würden sich doch für den Stärkeren entscheiden, für Ralph Reinhold«, sagte der Professor sinnend.

      »Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Man muß Peter helfen, er ist krank. Er ist ein lieber Junge. Er könnte nie gemein sein.«

      »Ralph eher?« fragte er.

      »Dazu ist er zu stolz. Er würde sich zurückziehen. Er hat ja auch seine Arbeit.«

      »Immerhin kommen Sie da in eine verzwickte Situation, Stefanie«, sagte er nachdenklich. »Es ist nicht so leicht, einen kranken Menschen zu täuschen. Vielleicht sollte man zu einem gewissen Zeitpunkt den Bruder aufklären.«

      »Ralph hängt sehr an Peter«, sagte Stefanie deprimiert. »Entschuldigen Sie bitte, aber mir geht das sehr nahe.«

      Er spürte, daß sie jetzt allein sein wollte. »Wir werden uns noch mit der Anamnese beschäftigen, wenn ich Herrn Reinhold untersucht habe«, sagte er. »Jetzt versuchen Sie abzuschalten, Stefanie.«

      Das aber konnte sie nicht, und er wußte es. Stefanie war kein oberflächliches Mädchen, und sie wußte über diese Krankheit zu gut Bescheid, um sich nicht einzureden, daß es gar so schlimm nicht sein müsse.

      Stefanie fuhr nach Hause, Professor Weissenberger beschäftigte sich mit Dr. Nordens Untersuchungsergebnissen. Erst seit einem Jahr war Peter Reinhold bei Dr. Norden in Behandlung. Immerhin konnte man daraus schließen, daß es sich bei ihm um die schleichend verlaufende chronische Form der Krankheit handelte. Aber wann hatte sie begonnen? Wie lange konnte die Lebensdauer noch sein? Drei, vier Jahre oder gar zehn? Aber war das ein Leben, das möglicherweise durch Bestrahlungen zu verlängern war? Dann konnte man ihn nicht mehr täuschen, dann mußte er mit dieser Krankheit leben und leiden, und die, die ihm nahestanden, würden mitleiden.

      Er wußte, wie schwer das war, er hatte es selbst durchlebt. Es war für ihn entsetzlich gewesen, seiner Frau und seinem Kind nicht helfen zu können, da man in manchen Fällen der perniziösen Anämie doch mit Leberextrakten helfen konnte. In diesen beiden Fällen hatten sie versagt. Er rätselte heute noch darüber nach, warum das Knochenmark jegliche blutbildende Tätigkeit versagt hatte. Er hatte sein Leben den Kranken geweiht, der Forschung, da er Glück nicht mehr empfinden konnte. Es schmerzte ihn, daß nun auch die junge lebensfrohe Stefanie so direkt mit diesem Leid konfrontiert wurde.

      *

      Daniel Norden kam pünktlich nach Hause, aber verständlicherweise nicht gerade frohgestimmt. Fee hatte dafür Verständnis. Sie hoffte, daß ihn das Konzert auf andere Gedanken bringen würde. Sie waren schon lange in keinem Sinfoniekonzert mehr gewesen. Schandbar wäre das, hatte Katja gesagt, da sie doch einen berühmten Pianisten, der sich auch als Dirigent bereits Lorbeeren verdient hatte, zur Familie zählten.

      Katja und David Delorme waren nun auch schon drei Jahre verheiratet, und mancher Befürchtung zum Trotz, war ihre Ehe überaus glücklich, obgleich David sehr umschwärmt wurde. Katja, zuerst sehr eifersüchtig, hatte sich daran gewöhnt. Sie wußte jetzt, wie sehr David sich nach der häuslichen Ruhe sehnte, wenn er wieder mal eine Tournee oder auch nur ein Konzert hinter sich gebracht hatte.

      Für die, die es nicht anders wußten, galten Fee und Katja als echte Schwestern. Sie waren es erst geworden, als Anne, Katjas Mutter, Dr. Cornelius geheiratet hatte, aber das Wort Stiefschwester war für beide aus dem Wortschatz total gestrichen. Eine tiefe Zuneigung

      verband sie, in der keinerlei Eifersucht aufkommen konnte.

      David, der gebürtige Engländer, hatte hier eine neue Heimat gefunden, eine Familie, der er sich ganz zugehörig fühlen konnte und die ihn für seine armselige, lieblose Kindheit entschädigte.

      Er hatte Mäzene gefunden, die sein großes Talent gefördert hatten, seine Karriere vollzog sich in einem komentenhaften Aufstieg. Aber er wurde nicht eitel und