Othmar Wokalik

Der Beute auf der Spur


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ihnen ein Bär entgegentritt, auf den Boden werfen, denn er lässt sie, wenn sie den Kampf aufgeben, regelmäßig am Leben.28

      Trotz aller „aufgeklärter“ Volten in der Moderne ist diese mythische Beziehung zwischen Mensch und Tier lebendige Gegenwart, hat sich doch erst vor Kurzem auch die Filmindustrie dieses Themas angenommen. Der Film mit dem Titel „Der 13. Ritter“ flimmerte nicht nur über die Kinoleinwand, sondern auch über die Bildschirme des Fernsehens. Er zeigte in epischer Form den Kampf der Ritterschaft (Heldenepos) gegen „wilde Leute“, die in Höhlen wohnen und beim Kämpfen ein Bärenfell samt Bärenhaupt tragen.

      Die bedeutendste deutsche Minneallegorie („Jagd nach Liebe“) des Hadamar von Laber (um 1300–1360) wurde 2005 als konzertante Aufführung (Clemencic Consort) in Form einer CD auf den Markt gebracht. Als Medium zur Darstellung seiner Allegorie wählte Hadamar die Jagd. Beim Aufbruch zur Jagd (nach der Geliebten) gruppiert der Jäger seine Hunde; jeder seiner Hunde verkörpert eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmtes Gefühl des Jägers. Bezeichnenderweise trägt der Leithund den Namen „Herz“. Augenfällig im Sinne der hier behandelten Thematik ist die Tatsache, dass Tiere, nämlich die Hunde des Jägers, als Symbole menschlicher Regungen auserkoren wurden.

      Das Mittelalter

       Jagdkulturelle Einflüsse auf das frühmittelalterliche Europa

      Der Begriff des Mittelalters erscheint im Rückblick auf die Geschichte Europas einigermaßen vielschichtig. Schon der Beginn dieses Zeitalters wird in der Forschung sehr unterschiedlich datiert. Lediglich der Umstand, dass die wesentlichen Kriterien des abendländischen Mittelalters sich allmählich entwickelten und ebenso allmählich verschwanden, ist unbestritten. Ursprünglich wurde die Bezeichnung (Mittelalter) für das Zeitalter zwischen dem Altertum und der Neuzeit, später für die Zeit zwischen dem Ende der Antike und deren Wiedergeburt, also der Renaissance, verwendet, um letztlich als brauchbarer Begriff überhaupt in Frage gestellt zu werden. Man glaubte, ein Mittelalter in entsprechenden Phasen auch in anderen Kulturen entdeckt zu haben. In der Folge fand der Begriff des Mittelalters aber wieder Eingang in die europäische Geschichtswissenschaft; er hatte sich aus systematischen Gründen als unentbehrlich herausgestellt, lediglich der Streit um die zeitlichen Begrenzungen von Früh-, Hoch- und Spätmittelalter erwies sich letztlich als unfruchtbar.

      Unser Fokus im Folgenden sind die jagdkulturellen Einflüsse auf das frühe europäische Mittelalter: Nach dem Ende des Römischen Reiches kam der Welthandel mit der vormals westlichen Reichshälfte, dem Weströmischen Reich, zum Erliegen; Byzanz (vormals Konstantinopel) wurde von nun an zum Mittelpunkt der Handelsbeziehungen mit Asien. Nur die Luxusgüter des Fernen Ostens gelangten über den Seeweg und die alten Handelsstraßen weiterhin bis Europa.

      Diese kommerziellen Berührungspunkte hatten das Kennenlernen fremder Kulturen, eingeschlossen deren Jagdgebräuche und Jagdtechniken, zur Folge. Kostbare altpersische Teppiche, auf denen die prunkvollen Hofjagden des „Großkönigs“ abgebildet waren, Silberschalen mit prachtvollen Darstellungen der Jagd auf Löwen, Panther, Bären, Keiler, Hirsche, Büffel, Wildstiere, Wildesel, Gazellen, Antilopen und Widder erreichten als hervorragende Leistungen des höfischen Kunsthandwerkes in Persien die gehobenen Stände Europas.

      Die ersten Kontakte Europas mit dem Großpersischen Reich waren allerdings weniger erfreulich; sie waren kriegerischer Natur. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. eroberten die Perserkönige Kyros II. und Kambyses II. ganz Kleinasien, Babylonien und Ägypten; unter Daraios I. wurde diese Expansionspolitik fortgesetzt und erst den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen der griechischen Stadtstaaten gelang es, eine Unterwerfung auch Griechenlands durch die Großkönige zu verhindern.

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      Falknerei-Jagdteppich des Herzogs von Devonshire, um 1420 (Victoria und Albert-Museum, London). Wie auf diesem Jagdteppich zu sehen ist, jagten Wohlhabende und Adlige im späten Mittelalter mit Pferden und Hunden (Foto: Henry Townsend).

      Im „Kompromissfrieden“ des Kallias (449 v. Chr.) blieben die ionischen Küstenstädte zwar unter der persischen Oberhoheit, aber die Ägäis und zum Teil die Küste Kleinasiens waren für die persisch-phönikische Flotte gesperrt. Die Handelsbeziehungen zwischen dem Abendland und Persien blieben aber trotz politisch-militärischer Turbulenzen intakt. Selbst unter den Sassaniden (3.–7. Jh. n. Chr.) und auch unter der Herrschaft der arabischen Kalifen waren die hochwertigen Produkte der Metallkunst aus Persien eine begehrte Handelsware; vorrangiges Thema dieser Handwerkskunst war nach wie vor die Jagd. Die Darstellungen der Jagdszenen zeigten eine andersartige künstlerische Gestaltung als die assyrischen und altägyptischen. Ihr vorrangiges Thema war die Löwenjagd, besonders aus der Zeit Schapurs II. Der Iran ist dieser altpersischen Tradition des Metallhandwerkes bis heute treu geblieben, wie auf der Jagdweltausstellung 1971 zu sehen war. Dieses altpersische Kunsthandwerk mit seinem Zentrum Damaskus überdauerte auch die Eroberungen der Kalifen von Bagdad (7.–11. Jh. n. Chr.). Im Jahre 635 erstürmten die Araber Damaskus; es wurde ein Zentrum der Waffenschmiedekunst. Damaszener Dolche und Degen waren und sind infolge ihrer hervorragenden Verbindung von Härte und Elastizität weltberühmt und Wunschtraum vieler Jäger und Sammler. Das Einlegen von Edelmetalldrähten ergab prunkvolle Jagdwaffen, deren Schönheit durch Tauschierung noch erheblich gesteigert wurde. Griffe, Schäfte und auch Beschläge waren mit Juwelen und Edelsteinen zusätzlich verziert. Diese prunkvollen Waffen waren als repräsentatives Geschenk in aller Welt gefragt.

      Importiert wurde im Zuge dieser umfangreichen europäisch-fernöstlichen Handelsbeziehungen auch das Wissen um die Verwendung des Pferdes bei der Jagd, eine Jagdpraxis, die damals in Persien einen seltenen Höhepunkt erreicht hatte. Die bei den Persern und Arabern perfektionierte Kunst, reitend zu jagen, diente als Vorbild der frühmittelalterlichen Jagd in Europa.

      Die persischen Großkönige („Herrscher über alle Menschen vom Anfang bis zum Untergang der Sonne“) und ihre Prunkjagden wurden zu Lehrmeistern der höfischen Jagd. Besonders die schon erwähnten Achämenidenkönige Kambyses und Kyros sahen in der Jagd – ähnlich den Babyloniern und Assyrern – nicht nur ein Vergnügen, sondern auch eine Vorübung für den Krieg. Bei den persischen Prunk-Treibjagden kamen 7.000 bis 8.000 Menschen zum Einsatz, deren Aufgabe es war, das Wild von weit her zusammenzutreiben; es waren dies vermutlich die größten Treibjagden in der Geschichte der Jagd.

      In großen Wildparks mit einer genau reglementierten Wald- und Jagdwirtschaft wurden Rehe, Hirsche, Sauen, Wildesel und Antilopen in großer Zahl gehalten. Aufgabe des Personals war überwiegend die Hege der Wildtiere bis zum Beginn der Hofjagden. In eigenen Baumschulen wurden fremdländische Pflanzen kultiviert, damit die Tiere über dementsprechende und ausreichende Äsung verfügten.

      Die Begleiter des Großkönigs waren mit Speer, Säbel sowie Pfeil und Bogen bewaffnet. Die Jagd begann, sobald der König den ersten Schuss abgegeben hatte. Das Wild wurde überwiegend im Reiten mit Pfeil und Bogen erlegt.

      Diese kurze Reminiszenz zeigt den nicht unerheblichen östlichen bis fernöstlichen kulturellen und eben auch jagdkulturellen Einfluss auf das europäische frühe Mittelalter. Die Anfänge des Mittelalters, die Frühperiode, begannen mit der Gründung des Frankenreiches unter den Merowingern, einer Sippe der salischen Franken (842–911 n. Chr.). Sie war die bedeutendste und folgenschwerste Reichsgründung der Germanen, die sich in der Folge als die belebende Kraft, sowohl der germanischen wie auch der abendländischen Geschichte, erwies.

       Das Jagdrecht im frühen Mittelalter

      Was das (germanische) Jagdrecht im frühen Mittelalter anbelangt, stehen einander zwei Lehrmeinungen gegenüber. Die eine, ältere, betrachtet das Jagdrecht als Ausfluss des Grundeigentums, d. h. als Zubehör von Grund und Boden; die jüngere Theorie gelangt zu dem Ergebnis, das Jagdrecht der germanischen Stämme sei mindestens bis zur Institutionalisierung von Bannforsten ein Recht auf freien Tierfang gewesen.

      Vor allem Lindner, der sich am ausführlichsten