Meinhard Rauchensteiner

Das kleine ABC des Staatsbesuches


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miteinander – über nationale Folklore hinaus gelingt, dann ist immerhin auch eine am Papier bereits bestehende zivilisatorische Errungenschaft näher gerückt.

      Ja, liebe Leserin, lieber Leser, Sie merken, der Ton ist nicht auffallend unbeschwert. Doch seien Sie deswegen nicht beunruhigt. Der Textkorpus selbst – wenngleich ergänzt, korrigiert und überarbeitet in jeder Form – eignet sich weiterhin als Abendlektüre nach anstrengenden Arbeitstagen. Kurzum: Wir meinen es eh nicht so ernst.

      Meistens.

      Bon voyage!

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      AN DEN LESER

      Waren Sie schon einmal auf Staatsbesuch? Nein? Wie auch, Sie sind ja auch kein Staat. Die Zeiten, in denen ein schüchternes »L’état, c’est moi« ausreichte, um bei ein paar Millionen Untertanen Eindruck zu schinden (und sie eben also zu unterdrücken), sind ja dankenswerterweise mit wenigen (?) Ausnahmen vorbei. Und all jenen, die es dennoch probieren, seien die Errungenschaften der Pharmaindustrie empfohlen, die nicht nur Symptome von vulgärem Schnupfen, sondern auch jene von strukturellem Cäsarismus durch sedierende Mittel zu lindern weiß. Und sei es auf Privatrezept.

      Also gut, Sie sind kein Staat. Das muss aber entgegen dem eingangs Gesagten noch lange nicht bedeuten, dass Sie nicht auf Staatsbesuch gewesen sein könnten. Einige haben es probiert und nur in den seltensten Fällen bereut. Denn einerseits erfreuen Staatsbesuche die mitreisenden Delegationsmitglieder durch oft geradezu nostalgische Reminiszenzen an unvergessene Schullandwochen (»In welchem Stock bist Du untergebracht?«, »Wo treffen wir uns morgen Früh?«, »Hast Du einen Balkon?«, »Wo ist der Bus?« …), zum anderen aber muss man entgegen einer weit verbreiteten Meinung doch festhalten, dass ein Staatsbesuch kein Wellnessurlaub ist. Zugegeben, beide haben Ähnlichkeiten: Sie sind Ausnahmesituationen, sie versammeln meist wenig miteinander bekannte Menschen (dort Delegationen, hier Familien), der Aufenthalt im hoteleigenen Schwimmbecken ist zeitlich begrenzt (dort durch das offizielle Programm, da durch den Radiumgehalt des Wassers), und das Abendessen ist vor 22 Uhr einzunehmen (dort wegen des Staatsbanketts, da wegen der Kinder). Abgesehen allerdings von solchen Äußerlichkeiten ist ein Staatsbesuch grundverschieden von jeder Art Lustbarkeit. Arbeit eben – und wer wird schon so vermessen oder einer protestantischen Ethik verpflichtet sein, Lustgewinn aus Arbeit ziehen zu wollen? Lassen wir die Kuh im Dorf!

      Dennoch gilt es festzuhalten: Auch der Normalsterbliche kann an einem Staatsbesuch teilnehmen. Denn zuallermeist umfassen Staatsbesuche ein respektables Grüppchen von 70 bis 140 Personen, die ihre jeweiligen Interessen in diesem Rahmen zu vertreten suchen und ihre Aufgabe erfüllen. In manchen Ländern wird diese Gruppe in erster Linie von Sicherheitsbeamten gestellt, paranoid weniger ambitionierte Länder füllen die Plätze im Flugzeug – und also in der Delegation des Staatsoberhauptes – mit Wirtschaftstreibenden, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Künstlern und, ach ja, Journalisten auf. Das ergibt eine heiter-heterogene Mischung, die sich in wenigen Tagen zu einer verschworenen Einheit schmiedet. Autopoiesis einer sonst nicht mehr darstellbaren Gemeinschaft.

      Nach einigen Staatsbesuchen erscheinen Mitwirkenden die Abläufe und Eigentümlichkeiten wie eine zweite Haut, und sie selbst bewegen sich wie Fische im zwischenstaatlichen Wasser, selbst wenn sich dieses Wasser abseits repräsentativer Herrlichkeit als Sumpf zu erkennen gibt. Hier eine »Ethnologie der eigenen Kultur« zu wagen, aus dem Selbstverständlichen herauszutreten, die eigenen Pirouetten als Teil einer größeren Choreografie zu beschreiben zu versuchen, ist das Unterfangen, das dieser schmale Band zur Aufgabe gestellt sich (beachte: spät im Satz auftauchendes reflexives »sich« à la Adorno) hat.

      Für all jene, die nach der Lektüre Lust auf die Wirklichkeit dieser Unwirklichkeit bekommen haben und denen es gelingt, qua Profession an einem künftigen Staatsbesuch teilzunehmen, bietet der Band ein paar leere Seiten im Anhang, worin eigene Beobachtungen und fröhliche Ergänzungen aufgezeichnet werden können.

      Viel Vergnügen, Ihr Reisebegleiter

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      EINLEITUNG

      Als Beamter, da hat man nur die Wahl – Anarchist oder Trottel.

      (ARTHUR SCHNITZLER)

      Das Leben ist eine viel zu wichtige Angelegenheit, um ernsthaft darüber zu reden.

      (OSCAR WILDE)

      Ein Staatsbesuch ist die höchste Form, die gegenseitige Wertschätzung zweier Staaten auszudrücken. Deswegen gibt es auch keinen offiziellen Staatsbesuch, einen inoffiziellen folgerichtig schon gar nicht. Schlicht und einfach – und in ebendieser Schlichtheit erhaben: Staatsbesuch. Der Genitiv wird daher auch mit e gebildet. Nicht »des Staatsbesuchs«, nein, »des Staatsbesuches«, damit die beinahe aufdringliche Anhäufung von Zischlauten durch den eingeschobenen Vokal in Wohlklang aufgelöst wird. Eine phonetische Brausetablette.

      Der Staatsbesuch existiert nur auf Ebene der Staatsoberhäupter, Besuche auf Regierungsebene (oder zwischen Präsidenten diverser Vereine) gelten nicht als Staatsbesuche, wenngleich sie mitunter – vor allem in den Medien – als solche bezeichnet werden.

      Freilich gibt es neben dem Staatsbesuch – oder besser unter ihm – auch andere Besuche, die auf allerhöchster Ebene stattfinden: Den – in absteigender Reihenfolge – Offiziellen Besuch, den Offiziellen Arbeitsbesuch, den Arbeitsbesuch und den Besuch. Diese Formen zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie einen Teil jener Elemente oder Bausteine aufweisen, die für den Staatsbesuch charakteristisch, unabdingbar, ja eine conditio sine qua non sind. Schließlich kommen noch häufig multilaterale Treffen vor, bei denen sich mehrere Staatschefs und -chefinnen irgendwo treffen und irgendwas besprechen. Noch weiter unten in der zwischenstaatlichen Hackordnung gibt es gar keinen Besuch und auch kein Treffen mehr, sondern nur einen Aufenthalt, z. B. wenn eines der zahlreichen Wintersport-Happenings vom Fürsten von Monaco, der Präsidentin von Lettland oder sonst wem »besucht« wird. Adolf Schärf, der übrigens der erste österreichische Bundespräsident war, der überhaupt Auslandsvisiten unternahm, nannte diese Aufenthalte noch korrekterweise »offiziöse Besuche«. Schließlich gilt es noch zu erwähnen, dass die Anzahl von Staatsbesuchen per anno in manchen Ländern limitiert ist – in der sparsamen Schweiz etwa, wo nur zwei pro Jahr stattfinden dürfen, oder in Japan, wo dem Tenno immerhin jährlich drei zugestanden werden. Über diese Zahl hinausgehende Visiten werden entsprechend anders benannt und entsprechend unanders abgewickelt.

      Kein Wunder also, dass es gar nicht so viele Staatsbesuche gibt, wie das ein »Prinz aus Dänemark« vielleicht zunächst vermuten mag.

      Damit der Staatsbesuch nicht im »administrativen Augiasstall« (Karl Kraus) mündet, existiert ein Reglement, das international üblich, nicht aber verbindlich ist. Woher es kommt und wieso es diese und keine andere Ausprägung angenommen hat, ist nicht eruierbar. Man macht das eben so. – Wobei das Wort »man« bereits andeutet, dass der Urheber, die causa efficiens, nicht identifizierbar ist (und damit auch klar wird, dass das häufig kritisierte »man« ja eben jene negative Konnotation aufweist, die es durchaus fragwürdig erscheinen lässt, weswegen es denn ein »frau« auch noch geben soll. Genügt es nicht, dass sich das Maskulinum durch einen Ausdruck völlig hilfloser Anonymität disqualifiziert? »Verfallenheit an das Man« nannte Heidegger diese Form der Anonymität. Dass es Frauen erstrebenswert erscheint, an diesem uneigentlichen Modus des Daseins teilzuhaben, erscheint unwahrscheinlich.). Das immer zweckdienliche »Handbuch zur Einrichtung und Führung eines Hofhalts« von Carl Otto Unico Ernst von Malortie aus dem Jahr 1842 bemerkt dazu lapidar: »Alles beruht auf willkürlichen Gebräuchen.«

      Was dergestalt als »Protokoll« für zwischenstaatliche Beziehungen aus den unpersönlichen Nebeln der Großmachtpolitik auf uns gekommen ist, soll kein Korsett, kein »spanischer Stiefel« sein, sondern ein Haltegriff für den gesitteten Umgang mit Freunden. Damit wird den formalisierten Abläufen dieser Besuche letztlich die Funktion von sozialen Ritualen zugewiesen, die eben nicht zwischenmenschlich,